Marktwirtschaft nur mit Adjektiv

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Er spricht acht Sprachen fließend, spielt Saxophon und hat ein Innsbrucker Psychologie-Diplom sowie den Pilotenschein: Kardinal Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga ist in seiner Heimat Honduras ebenso wie auf dem Weltwirtschaftsforum Davos eine Stimme gegen Armut und soziale Ungerechtigkeit, die er als "eigentliche Massenvernichtungswaffen" bezeichnet.

Die Furche: 30.000 Kinder sterben täglich, weil sie arm sind. Unvorstellbar.

Kardinal Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga: Das ist eines der schlimmsten Probleme der Welt: Wie die Wirtschaft globalisiert ist, ist es auch die Armut. Armut kann aber überwunden werden, wenn es international den Willen dafür gibt. Armut ist keine Frage der Zahlen. Wir Hirten der Kirche sehen es jeden Tag: Armut hat konkrete Gesichter - Kinder, Frauen, alte Menschen.

Die Furche: Sie bezeichnen Armut und soziale Ungerechtigkeit als "eigentliche Massenvernichtungswaffen".

Rodríguez: Ja, die wirklichen Massenvernichtungswaffen sind Armut, soziale Ungerechtigkeit - aber auch Korruption. Wir alle tragen unseren Teil zu diesem Problem bei. Ich habe eine nationale Kommission gegen Korruption geleitet und habe das aufgegeben, als ich gesehen habe, dass es keinen wirklichen Willen gegeben hat, die Korruption zu bekämpfen. Oder das Drogengeschäft, das weltweit so mächtig ist: Es geht da nicht nur um die Leute, die mit Drogen handeln, sondern auch um diejenigen, die das Drogengeld waschen - Banken und Unternehmen, die reich werden, weil sie diese illegalen und unmoralischen Finanzmittel nutzen. Das ist einer der Gründe für Ungerechtigkeit. Ein anderer Grund ist, dass es keinen fairen Handel gibt: Angesichts von Protektionismus und Handelsschranken kann man nicht von freiem Handel reden.

Die Furche: Die Befreiungstheologie, aber auch Papst Johannes Paul II. haben als Grund dieses ungerechten Systems "Strukturen der Sünde" benannt? Wer sind diese Strukturen heute?

Rodríguez: Etwa Organisationen, die Monopole hoch schätzen: Man muss über die großen Unternehmen besorgt sein, die die kleineren aufkaufen. Kleine Industriebetriebe verschwinden, und jede Unternehmensfusion hat größere Arbeitslosigkeit zur Folge: Die globalisierte Wirtschaft hat Ungleichheit und Arbeitslosigkeit in ihren Genen. Es ist daher eine Reform nötig, denn sonst wird es künftig Riesenunternehmen geben, die mächtiger als Regierungen sind. Eine andere Sorgen ist die Privatisierung: Auch wenn es zur Privatisierung eines Unternehmens kommt, steigt jedes Mal die Arbeitslosigkeit.

Die Furche: Sie schreiben in Ihrem Buch aber auch, nicht prinzipiell gegen Marktwirtschaft zu sein, der Markt sei ein gutes Prinzip des Wirtschaftens ...

Rodríguez: ... aber es gibt ein Adjektiv, das hinzugefügen ist: soziale Marktwirtschaft. Wenn man sich um die Interessen der Gesellschaft, der Armen sorgt, dann wird klar, dass ein System, das nur nach Profiten schielt, korrekturbedürftig ist. Natürlich schauen Unternehmen und Wirtschaft auf den Ertrag, das ist legitim. Aber es ist notwendig ist, die Zutat sozial dazuzugeben, damit mehr Friede herrscht.

Die Furche: Sie fordern mehr Ethik in der Wirtschaft. Meinen Sie wirklich, dass dies eine Lösung darstellt?

Rodríguez: Ja. Normalerweise wird Ethik als Hut angesehen, der von außen aufgesetzt wird, aber das stimmt nicht: Denn Ethik kommt aus dem Inneren der Person, sie ist nichts, was von der Kirche oder irgendeiner Religion aufgestülpt wird. Ethik steht für eine Hierarchie der Werte und an der Spitze dieser Hierarchie steht weder Geld noch Geschäft noch Profit, sondern die menschliche Person. Die Wirtschaft menschlicher machen heißt für mich, das aufzufüllen, was ihr fehlt: Wenn sie wählen muss zwischen Einnahmen und Personal, wählt sie die Einnahmen, selbst wenn Tausende Arbeitslose zurückbleiben. Wer in meinem Land einen Job sucht, muss oft jünger als 35 sein. Warum aber setzen Unternehmen nicht auf die Erfahrung ihrer Beschäftigten? So ist es ein Makel, ein alter Mensch zu sein! Das ist aber falsch. Ethik überlegt all diese Aspekte mit: Es ist notwendig, sie in die Wirtschaft zurückzubringen.

Die Furche: Schon vor 35 Jahren haben die Industrieländer versprochen, 0,7 Prozent des bip für Entwicklungshilfe zu verwenden. Dieses Ziel ist nicht erreicht - auch nicht von Österreich!

Rodríguez: Ich hoffe, das diese Ziele erreicht werden. Österreich ist gesegnet nach vielen Kriegen, nach vielen Schwierigkeiten seid ihr ein entwickeltes Land, und das bedeutet: es ist Zeit, einige der Wohltaten an die weiterzugeben, die viel leiden. Ich denke, dies ist ein wirklicher Weg zum Weltfrieden.

Die Furche: Auf der Welt-Agenda steht aber nicht der Kampf gegen Armut, sondern gegen den Terror an erster Stelle.

Rodríguez: Der Kampf gegen den Terrorismus ist der vierte Weltkrieg. Der dritte war der so genannte Kalte Krieg, der ganz und gar nicht kalt war. Aber was geschieht mit dem vierten Weltkrieg, der das mächtigste Land der Welt getroffen hat? Man muss nur auf einen amerikanischen Flughafen gehen: Das sind keine freundlichen Orte mehr. Man steht dort unter Angst, viele von uns meiden diese Art Folter der Leibesvisitation und des Misstrauens, das man in jedem Gesicht lesen kann. Man wird nicht als Freund angesehen, sondern als ein potenzieller Terrorist oder Feind. Und auch das hat die Wirtschaft durcheinander gebracht. All dies verbreitet Angst. So gesehen sind die Terroristen erfolgreich. Wenn wir aber zum Frieden wollen, dann reicht es nicht, an Waffen oder Krieg, sondern in Kategorien der Gerechtigkeit zu denken.

Die Furche: Vor fast 40 Jahren hat Papst Paul VI. geschrieben: "Entwicklung ist ein neuer Name für Friede." Dieser Satz gilt weiter, wenig hat sich seit damals wirklich zum Guten verändert.

Rodríguez: Die Soziallehre der Kirche wird leider nicht gehört. Ich gehöre dem Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden an: Wir versuchen da verstärkt, die Soziallehre der Kirche unter Politikern zu verbreiten.

Die Furche: Wenn Sie zugeben, dass in Ihrem Land und auf der Welt noch soviel Unrecht herrscht, und sich kaum etwas ändert: Was gibt Ihnen die Kraft, weiter für Gerechtigkeit zu kämpfen?

Rodríguez: Das ist mein Glaube. Aus meinem Glauben heraus weiß ich, dass selbst im größten Unglück Gott mich nicht verlässt. Das Licht des Glaubens gibt mir Hoffnung. Der einzige Reichtum vieler Lateinamerikaner ist heute der Glaube. Unsere Hoffnung gibt uns Kraft, den Kampf fortzusetzen, selbst wenn die Umstände gegen uns sind. 1998 hat der Hurrikan Mitch, unser Land 40 Jahre zurückgeworfen. Daraus erwuchs die größte Solidarität unserer Geschichte, sodass wir das Land wieder aufbauen konnten. Aufgrund der Medienberichte kam viel internationale Hilfe, und es ist sogar gelungen, die Korruption bei der Verteilung einzudämmen: Das ist ein positives Zeichen!

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Anwalt der Armen, politischer Kardinal

Einen "Millenniums-Fußball" überreichte Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga Bundespräsident Heinz Fischer, um an die Erreichung des un-Millenniumsziels (Halbierung der Armut weltweit bis 2015) zu erinnern. Über 30.000 Unterschriften-Karten fürs selbe Ziele hinterlegte der Kardinal im Bundeskanzleramt. Der honduranische Erzbischof gehört zu den populärsten Kirchenführern und Anwälten der Armen in Lateinamerika. Geboren 1942 in Tegucigalpa wurde er zum Lehrer ausgebildet und trat den Salesianern Don Boscos bei; nach Studien in Rom wurde er 1970 zum Priester geweiht; 1975 machte er in Innsbruck ein Diplom in Psychologie und studierte danach Musik in El Salvador, Guatemala und den usa. 1978 wurde er Weihbischof, 1993 Erzbischof von Tegucigalpa, 2001 Kardinal. In seiner Heimat setzt sich Rodríguez auch politisch für die Armen ein und ist - er spricht acht Sprachen - weltweit gefragt. Immer wieder taucht sein Name auch als "Papabile" auf.

BUCHTIPP: SOLIDARISCH LEBEN IN EINER GLOBALISIERTEN WELT. Impulse aus Lateinamerika von Kardinal Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga, Don Bosco Verlag, München 2005. 132 Seiten, brosch., zahlr. Abb., e 15,30

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