Medien und Kirche, Kirche und Medien

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Die Beziehung zwischen der Kirche und den Medien ist dialektisch geprägt. Desintegration der Medien schafft neue Probleme, ehe die alten gelöst sind.

Auch wenn wir uns diesem Thema hier nicht nach wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten annähern, so wird man doch klarstellen müssen, dass, wenn hier von Kirche die Rede ist, die institutionelle Ausprägung der Kirche gemeint ist. Das ist anzumerken, weil der Kirchenbegriff undeutlich und durch die Jahrhunderte in Bewegung geblieben ist. Die "Selbstthematisierung der Kirche" in diesem Sinn ist ein vergleichsweise spätes Phänomen der Kirchengeschichte. Ähnlich verhält es sich mit dem Medienbegriff, den wir ebenfalls institutionell begreifen wollen, um der Komplexität des ganzen jeweiligen Mediensystems gerecht zu werden.

Der Verlust des Monopols

Die Beziehung der Kirche zu den Medien dürfte schon sehr früh dialektisch gewesen sein. Jedenfalls hat sich die Kirche von allem Anfang an höchst "erfolgreich" der Medien bedient, mit den Primärmedien beginnend. Rede, Gestik, Mimik und Tanz sind ohne technische Hilfsmittel ausgekommen. In der Zeit der Sekundärmedien, die technische Hilfsmittel zumindest auf Seiten des oder der Medienschaffenden voraussetzten, also etwa der Handschriften, hat die Kirche zumindest in unseren Breiten dann fast ein Monopol entwickelt, das im Wesentlichen bis zur Erfindung des Druckes hielt. Es ist vermutlich wohl kein Zufall, dass sich mit dem Verlust dieses Monopols die Situation für die Kirche in der Gesellschaft und damit ihr Verhältnis zu den Medien deutlich verändert hat.

Jedenfalls also hatte die Kirche lange Zeit systemimmanent die Kontrolle über die Inhalte, zumal - aber nicht nur - die "eigenen", die medial verbreitet wurden. Abgesehen von dieser immanenten Kontrolle bildeten sich auch Zeiten und/oder Gebiete (im mehrdimensionalen Sinn) impliziter oder expliziter Kontrolle medialer Inhalte aus.

Der Bedeutung dieser Kontrolle war sich die Kirche immer bewusst und hat sie nicht nur gepflegt, sondern entsprechend nachhaltig verteidigt, oft ohne sich dabei eine besondere Zurückhaltung in der Wahl der Mittel aufzuerlegen. Man denke nur an die Bücherverbrennungen. Missliebige Bücher wurden u. a. als blasphemisch, häretisch, ketzerisch, unmoralisch, obszön, aufrührerisch und hochverräterisch sowohl symbolisch als auch tatsächlich verbrannt.

Trotz alledem ist diese Kontrolle durch die Jahrhunderte weitgehend verloren gegangen, bei Weitem freilich nicht so schnell und so gründlich, wie man beim flüchtigen Hinsehen vielleicht glauben möchte, aber immerhin. Parallel dazu hat sich das Verhältnis von aktiver und passiver Kontrolle immer mehr zu drehen begonnen. Kontrollierte die Kirche über weite Strecken der zumindest europäischen Geschichte die Medien, immanent, implizit oder explizit, so beginnt - ich schreibe bewusst "beginnt" - sich das umzukehren, also beginnen die Medien die Kirche zu kontrollieren.

Ich spreche deshalb von einem Beginn dieser Umkehrung, weil im Allgemeinen unterschätzt wird, wie sehr die Kirche noch - zumindest implizit - Kontrolle ausübt und wie ausgeprägt eigentlich die offenbar fast genetisch eingravierte Zurückhaltung der Medien in ihrer Kontrollfunktion als "Watchdog" der Gesellschaft gegenüber der Kirche noch heute ist.

Das heißt aber eben auch, dass sich das Verhältnis von Kirche und Medien in Zukunft noch - sagen wir es einmal abstrakt - anspruchsvoller gestalten wird, als das heute der Fall ist. Und wir alle wissen, dass diese Beziehung, zumindest aus Sicht der Kirche, schon heute als hoch belastet gilt.

Wie auch immer das sein mag: Die Kirche hat reagiert. Reagiert. Die öffentliche kirchliche Kommunikation, ihr Umgang mit Medien, hat sich in den letzten Jahren in den meisten Diözesen, aber auch im Vatikan, spürbar professionalisiert. Es wurden und werden gute Leute engagiert, zum Teil erstklassige, die - neben ihrer inhaltlichen Kompetenz - mit den Gesetzmäßigkeiten der Öffentlichkeit vertraut und gewohnt sind, alle zeitgenössischen Mittel der Kommunikation "state of the art" einzusetzen. Allerdings, die Entwicklung der Medien ist nicht abgeschlossen und wartet nicht geduldig auf diesen Aufholprozess der Kirche. Die Medien differenzieren sich weiter aus und die Entwicklung der Medien beschleunigt sich weiter ungebrochen.

Kluft in den ethischen Standards

Aber das ist nicht das größte, nicht das eigentliche Problem der Kirche im Kontext von Medien. Viel bedeutender ist, dass die Kirche ihre inhaltlichen Probleme nicht selten mit Kommunikationsproblemen verwechselt und dabei übersieht, dass ihr in Wahrheit weder die gute alte Kontrolle noch die neue professionelle Kommunikationsarbeit helfen können. Das ist das eigentliche, verhängnisvolle Missverständnis, das die Beziehung der Kirche zu den Medien und die Beziehung der Medien zur Kirche belastet.

Was sind nun diese inhaltlichen Probleme, die das Verhältnis von Kirche und Medien und Medien und Kirche solcherart prägen?

Wenn, um es vereinfacht darzustellen, einstens die natürliche Spannung von Glaube und Aufklärung die Beziehung zwischen Kirche und Medien maßgeblich mit geprägt hat, so ist es heute zunehmend die Kluft zwischen den ethischen Standards der Gesellschaft und den ethischen Standards der Kirche. Das ist deshalb besonders verwunderlich, weil ja gerade die Kirche, zumal in Europa, ganz wesentlich zur Entwicklung gerade dieser ethischen Standards beigetragen hat.

Nun ist die Kirche, das sollte man bei einer solchen Betrachtung nicht übersehen, auch heute noch in wesentlichen Fragen des Menschen ethisch herausfordernd, so etwa in ihrer rigoros positiven Haltung zum Leben, dem ungeborenen wie dem behinderten und nicht zuletzt dem alten Leben. Oder etwa in den brennenden sozialen Fragen im Land, hinsichtlich der Migrationsbewegungen zwischen den Ländern und Kontinenten und im Blick auf die sogenannte "Eine Welt".

Die Kirche setzt, bei allen Fehlern im Einzelnen, heute noch oder vielleicht sogar verstärkt, Standards in der Erziehung, beginnend in den Kinderkrippen und -gärten, fortgesetzt in den Volks- und Mittelschulen. Viele Menschen, nicht nur Mitglieder der Kirche, vertrauen darauf, dass ihren Kindern in konfessionellen Bildungseinrichtungen - insbesondere in der Vermittlung von Werten - deutlich mehr mit auf den Weg gegeben wird, als das etwa in staatlichen Systemen der Fall ist.

Aber, andererseits, unterschreitet die Kirche eben in ganz entscheidenden Fragen die Standards der entwickelten, etwa europäischen Zivilgesellschaft. Ein besonders eindrückliches Beispiel von Tragweite dafür ist der Ausschluss der Frauen aus den kirchlichen Ämtern im engeren Sinn, also jenen Ämtern, die eine Weihe verlangen. Das indiziert einen Unterschied in der Würde von Mann und Frau und ist deshalb unerträglich für eine entwickelte Gesellschaft, auch wenn diese Gesellschaft selbst in dieser Frage noch erhebliche Defizite aufweist. Es ist vor allem das dogmatisch und perspektivisch, also hin in alle Ewigkeit, unterlegte Festhalten an diesem Zustand, das provoziert.

Wunsch nach Kontrolle

Ein anderes Beispiel für diese inhaltlichen Probleme ist die Auswahl der kirchlichen Eliten, bis hinauf zu Bischöfen und Kardinälen, für die es weder ein transparentes Verfahren, noch so etwas wie eine demokratische Legitimation gibt. Die absolutistische Machtfülle, mit der die Amtsinhaber dann ausgestattet sind, ist vor diesem Hintergrund wohl nur konsequent. Weniger konsequent ist, dass der Papst, als oberster Repräsentant der Kirche, immerhin in geheimer Wahl durch die wahlberechtigten Kardinäle gekürt wird und dann aber wiederum nahezu absolutistisch "regieren" kann.

Besonders sensibel reagieren die Medien auf Fälle, in denen die Kirche nicht nur ihre, was sie ja an sich auszeichnet, erhöhten ethischen Standards selbst unterschreitet, sondern gleichzeitig auch noch die oft, nicht immer, niedrigeren der Zivilgesellschaft. Kindesmissbrauch etwa, in der Zivilgesellschaft leider höchst verbreitet und überraschend, ja bedrückend zurückhaltend thematisiert, führt erst in kirchlichen Einrichtungen praktiziert zu einem globalen medialen Erdbeben. Selbst Homosexualität, in der Zivilgesellschaft zumindest formal längst akzeptiert, trägt das Potenzial in sich, zum medialen Skandal zu eskalieren, wenn sie in priesterlicher Gemeinschaft gelebt wird. Aus der gleichen Logik heraus.

Was ich damit sagen will: Es ist im Allgemeinen nicht eine grundsätzliche Feindseligkeit, die der Kirche vonseiten der Medien entgegenschlägt, sie ist auch nicht unberechenbar oder gar willkürlich, sondern folgt einem ganz einfachen, rationalen Muster, wonach insbesondere das Unterschreiten des ethischen Grundkonsenses der Zivilgesellschaft medial "bestraft" wird. Am schlimmsten kommt freilich an, wenn die Kirche ihre durch die göttliche Offenbarung aufgetragenen und/oder selbst auferlegten, oft deutlich über den zivilisatorischen Standards liegenden Ansprüche zwar ziemlich nachdrücklich verkündet, dann aber selbst mindestens ebenso deutlich unterschreitet und, zu allem Überfluss, dieses Unterschreiten, das oft ein individuelles menschliches Versagen ist, schließlich vor der Öffentlichkeit zu verbergen versucht. Was den Menschen in der Zivilgesellschaft mehr oder weniger leicht nachgesehen wird, wiegt im Kontext Kirche und ihrer ethischen Ansprüche eben spürbar schwerer.

Wir haben eingangs festgestellt, dass die Kirche im Laufe der Geschichte Medien kontrolliert hat und das da und dort auch heute noch tut, immanent, implizit oder gar explizit. Damit ist die Kirche nicht allein; das galt und gilt etwa auch für Interessenvertretungen und politische Parteien; neuerdings immer häufiger sogar für große, medienfremde Unternehmensgruppen; in Frankreich sind es etwa Rüstungskonzerne, in England russische Oligarchen. Doch eigentlich greift diese Art von Kontrolle längst zu kurz, kommt jedenfalls viel zu spät. Die klassischen Medien sind dabei, in ihrer Kontrollfunktion der Gesellschaft gegenüber, die sich hinter den Begriffen "Watchdog" und "Gatekeeper" verbirgt, abgelöst zu werden.

Die Digitalisierung und, mit ihr einhergehend, die Desintegration, also die Lösung des Inhalts von seiner bis dahin festen Verbindung mit der jeweiligen Plattform - denken Sie bitte einfach an den Inhalt einer Zeitung, der mit der Plattform Papier durch Jahrhunderte fest verbunden war -, diese Digitalisierung führt nicht nur zu einem völlig neuen Wettbewerb zwischen den klassischen Medien untereinander und zwischen den klassischen Medien und den neuen Medien, sondern führt zu einer, belegen wir es zunächst positiv, "Demokratisierung" der Medien.

Das grelle Licht der Öffentlichkeit

Und damit ist nicht nur gemeint, dass der Zugang zu den Medien für die Menschen rechtlich und technisch fast barrierefrei geworden ist - es reicht eigentlich ein besseres Mobiltelefon - sondern auch, dass die Inhalte, weil digital vorhanden, weil desintegriert, eben vollkommen beweglich geworden sind. Wie beweglich, das führt uns gerade WikiLeaks anhand geheimer Dokumente der US-amerikanischen Regierung eindrücklich vor. Sie können sicher sein, dass wir uns alle an diese neue Beweglichkeit gewöhnen müssen werden; die Kirche übrigens auch.

Diese neuere Entwicklung wird das Verhältnis zwischen Kirche und Medien, Medien und Kirche nicht wirklich verbessern, im Gegenteil. Dabei wird die Tatsache vermutlich wenig Beachtung finden, dass die institutionell verfasste Kirche nicht mehr ebenso institutionell verfassten Medien gegenübersteht, sondern entweder Einzelpersonen oder mehr oder weniger strukturierten Personengruppen.

Die Kirche und mit ihr eine ganze Reihe vergleichbarer Institutionen, bis hin zum Staat, können diese unvermeidliche Auseinandersetzung bestehen, wenn sie sich im Sinne eines - abseits der Phrase - wahrhaft gläsernen Hauses proaktiv verhalten und nicht warten, bis ihnen ihre Glaubwürdigkeit und Reputation, das so kostbare, meist ohnedies schon angeschlagene Vertrauen in die Institution Stück für Stück, Veröffentlichung für Veröffentlichung zerstört werden. Wer glaubt, sich mit Intransparenz bis hin zu aktiver Verweigerung vor dem Zugriff dieser Entwicklung schützen zu können, wird schmerzhaft aufwachen, wenn es längst zu spät ist.

Das ist übrigens ein Befund, der auf uns alle auszudehnen ist: Wir werden lernen müssen, damit zu leben, dass alles, was wir tun, das oft grelle Licht der Öffentlichkeit aushalten muss. Das stellt neue Ansprüche an uns alle, die neben den offensichtlichen und nicht zu unterschätzenden, ja existenziellen Gefährdungen doch auch einiges an positivem Potenzial in sich tragen. Die Ironie am Rande(?) ist, dass sich diejenigen Menschen leichter mit dieser neuen Welt tun werden, die sich im Wesentlichen an die Gebote der Kirche gehalten haben. Hat die Kirche selbst das auch getan? Tut sie es heute?

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