Mehr als alpines Fitnesscenter

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"Oben auf dem Berg angekommen - bleib nicht stehen!" Diese Weisheit des Zen-Meisters sollte zum Motto für eine Zukunft der Berge werden. Eine Perspektive, die nicht maximalen Profit als Gipfelsieg versteht, sondern die langfristige Erhaltung der Lebensgrundlage der Gebirgsbewohner. von kurt luger

Die Alpen - ein Sehnsuchtsraum, aber auch eine menschengemachte Problemzone. Obwohl im Zentrum Europas, bleiben sie Gipfel des Vergnügens an der Peripherie des politischen Interesses. Die Technisierung der Gebirge, die leichte Erreichbarkeit, der Erlebnishunger der Stadtbewohner, wachsender Wohlstand und Freizeitbedürfnisse machen den Bergtourismus zu einem unverzichtbaren Wirtschaftsfaktor der Alpenländer.

Trotz der Millionen Alpenbesucher und einer entsprechend hochgerüsteten Freizeit-Infrastruktur sollten wir nicht von einem uniformen Bild der "zugerichteten" Alpen ausgehen - zugerichtet auf die Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung. Zwischen der Postkartenromantik und dem kulturkritischen Blick, der nur ein 181.000 Quadratkilometer großes überfordertes Gebirge sieht, liegt ein weites Spektrum der Erkenntnis. Es lässt Spielraum für eine regionalspezifische Analyse und korrigiert den Eindruck, die Alpen seien in ihrer Gesamtheit nur ein Vergnügungspark Europas.

Räumliche Konzentration

Alpengeographische Studien rücken dieses Bild zurecht: 40 Prozent der Alpengemeinden haben praktisch überhaupt keinen Tourismus, auf fünf Prozent der Gemeinden konzentrieren sich 46 Prozent aller touristischen Betten. Das heißt, die Hälfte der Hotelinfrastruktur entfällt auf nur 300 der Gemeinden, die großen Städte wie Chamonix eingeschlossen. Wir haben es also mit einer extremen räumlichen Konzentration auf wenige Gebiete zu tun, und die Umgebung von Berchtesgaden oder das Salzburger Land sind typische Beispiele dafür. Echte Tourismusgemeinden, das sind solche mit touristischer Monostruktur ohne nennenswerte Auspendler, die sich oft aus hochgelegenen Bauerndörfern entwickelt haben, gibt es etwa 600, also zehn Prozent aller Alpengemeinden. Dort leben nur acht Prozent der Bevölkerung und die tatsächlich touristisch genutzte Fläche ist nicht größer als rund 10.000 Quadratkilometer.

Trotz dieser Relativierung sind die Alpen eine der größten und wichtigsten Tourismusregionen der Erde. Hier wird ein relevanter Teil des Tourismusgeschäftes abgewickelt, die Auswirkungen reichen weit über die steilen Hänge und pittoresken Wanderwege hinaus. Aufgrund des Tourismus kann man im Falle der Alpen keineswegs von einer benachteiligten Region sprechen. Aber die Disparitäten sind so gravierend, dass sich die Bewohner aus 18 Prozent der Alpenfläche zurückziehen.

Älpler sind Städter im Kopf

Mit dem Aufkommen der Industrialisierung und dem generellen Bedeutungsverlust der alpinen Landwirtschaft beginnt ein Prozess des ökologischen, ökonomischen wie sozialen Niederganges großer Teile der Piemontesischen und Ligurischen Alpen, aber auch einzelner Gebiete in den französischen Südwestalpen. Auch Slowenien, Österreich und die Schweiz sind stellenweise betroffen. Heute leben rund 60 Prozent der Alpenbevölkerung in Städten und Ballungsräumen, teilweise am Alpenrand, zumeist in begünstigten Tallagen.

Die Alpenbewohner werden auch zu Städtern im Kopf. Diese Entwicklung ist nicht allein auf den Tourismus zurückzuführen, sondern auch auf die gesellschaftliche Modernisierung im allgemeinen, auf die größere Durchlässigkeit der Lebensstile und die Verringerung der kulturellen Kluft zwischen Stadt und Land. Vor allem die Jugend will auf städtische Annehmlichkeiten nicht verzichten.

Sicher ist der Tourismus auch für eine Überforderung des Gebirges verantwortlich. Aber überall eine sanfte Tour zu verordnen, ohne auf die Tragfähigkeit der Infrastruktur Bedacht zu nehmen, führt eher zu wirtschaftlichen Problemen, als zu ökologischen Lösungen. Ein Umdenken in Richtung nachhaltiger Entwicklung - die weit über den Tourismus hinaus geht - ist erforderlich. Drei Beispiele:

" Die Verkehrsbelastung. Ein erheblicher Anteil des Verkehrs in den Alpen ist hausgemacht, also lokaler Berufs- und Ausflugsverkehr. Natürlich erreicht der alpenquerende Güterverkehr absurde Ausmaße, natürlich ist der Alpentransit der Sonnenanbeter im Sommer für die Menschen an den großen Nord-Süd-Verbindungen ein Horror. Aber alleine um ihren kulinarischen Genüssen zu frönen, legen die Schweizer jährlich zwei Milliarden Personenkilometer mit dem Auto zurück. Es bedarf also alpenweiter wie lokaler Maßnahmen, um den Umweltverbrauch substanziell zu vermindern.

" Die Almwirtschaft: Sie wird immer unbedeutender und täglich geben einige Bauern ihre Höfe auf - eine Konsequenz des in Europa geförderten Agrobusiness. Der Bergbauer ist chancenlos, seine Hängesind zu steil, die Kühe zu sportlich für große Milchleistungen - der Ertrag reicht nicht zum Überleben. Hat der Bauer nicht etliche Parzellen Baugrund oder große Waldreserven, die ihn wirtschaftlich autonom machen, bleibt ihm nur die Hoffnung auf den Tourismus, wenn er Bauer bleiben will. Mit Urlaub auf dem Bauernhof kann er ein Zusatzeinkommen erwirtschaften. Die Bildung von Destinationen in enger Kooperation mit der lokalen Wirtschaft und bei Mobilisierung der kulturellen Ressourcen wird daher empfohlen.

Verödung bremsen

In den Alpen beweist es sich, dass es regionsspezifischer Nachhaltigkeitsstrategien bedarf, um Verstädterung und Verödung zu bremsen.

" Der Tourismus selbst. Er hat in den Alpen eine wichtige Aufgabe, weil er praktisch die einzige wirtschaftliche Aktivität darstellt, die im Gebirgsraum dezentrale Arbeitsplätze schafft bzw. erhält. Experten raten, Tourismus als Motor einer integrativen Strategie zu sehen, aber in Verbindung mit lokalen und regionalen Ressourcen wie Handel, Gewerbe, Landwirtschaft usw. Dem widersprechen die Vorstellungen von großräumigen Funktionsteilungen in Europa, die in den Alpen einen reinen Freizeitraum, eine Art alpines Fitnesszentrum sehen - ergänzt durch Wassernutzung, Deponiegebiete und Transitkorridore, die Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung in der Region.

Ein Vergleich der Alpen mit anderen Gebirgsräumen hilft uns, die Kriterien für eine nachhaltige Entwicklung klarer zu bestimmen. Die starke Verflechtung zwischen den Alpen und den umliegenden Industriegebieten, geben den Alpen eine Sonderstellung gegenüber den Anden in Lateinamerika oder dem Himalaja in Asien. Letztere liegen nicht einige Autostunden von florierenden Großstädten entfernt, die von erholungs- und spektakelsüchtigen Wohlstandsbürgern bewohnt sind. Im Unterschied zu den Alpen sind sie extrem arm an Rohstoffen, sieht man von der Nutzung der Wasserkraft und einzelnen Erzvorkommen ab. Sie sind weniger dicht besiedelt, wenngleich im Himalaja die Dörfer bis auf 4.500 Meter hinaufreichen und auf Grund des Bevölkerungsdrucks auch völlig ungeeignete Hänge mit Terrassen bewirtschaftet werden.

"Für Arme"-Tourismus

In den Berggebieten der Entwicklungsländer dominiert die Subsistenzwirtschaft, aber in vielen Regionen reichen die Bodenerträge nur noch 6 bis 7 Monate für die Eigenversorgung, und die Familien werden gezwungen, zusätzliches Einkommen etwa durch Tagelöhnerarbeiten zu erwirtschaften. Die ökologische Belastung der Wälder erfolgt in erster Linie durch illegalen Holzschlag und Holzschmuggel bzw. durch die Übernutzung der Wälder durch die Einheimischen selbst, die Holz meistens als einzige Energiequelle nutzen. Es besteht ein Teufelskreis der Armut, der zu Umweltschäden führt. Auch im Himalaja ermöglicht der Tourismus zusätzliches Einkommen, und in der Katmandu Declaration on Mountains, die anlässlich des Internationalen Jahres der Berge kürzlich publiziert wurde, wird der "Pro-poor"-Tourismus direkt angesprochen. Es wird ein "sustainable ecotourism" empfohlen, der unmittelbar der lokalen Bevölkerung in den Dorfgemeinschaften dienen soll. Der Schutz der Biodiversität und der Umwelt kann leichter bewältigt werden, wenn die Bauern selbst für ihre Wälder und Almen verantwortlich sind, aber auch Nationalparks und Schutzzonen sind erforderlich, um die extremen Belastungen abzubauen.

Kostenwahrheit gefordert

"Oben auf dem Berg angekommen - bleib nicht stehen!" Diese Weisheit des Zen-Meisters könnte zum Motto für eine Zukunft der Berge werden. Es steht stellvertretend für eine Perspektive, die nicht den maximalen Profit als Gipfelsieg versteht, sondern die langfristige Erhaltung der Lebensgrundlage der Bewohner der Gebirge. Der sichere Abstieg ins Tal gehört sowohl zur beglückenden Bergtour wie zum Verständnis des Tourismus als Beitrag zur Nachhaltigkeit. Die ganzheitliche Sichtweise ist gefordert - zumindest die Kostenwahrheit. In den Bergen der Welt hat der Shareholder Value keinen Platz. Vielmehr geht es darum, alle Stakeholder, die Ansprechgruppen, diejenigen, denen die Berge Lebensraum sind, in die Entscheidungen einzubeziehen. Nur so lässt sich der Gedanke der nachhaltigen Entwicklung verankern.

Der Autor ist Professor für Interkulturelle Kommunikation und Tourismuswissenschaft an der Universität Salzburg sowie Vorsitzender von Öko Himal, Gesellschaft für ökologische Zusammenarbeit Alpen-Himalaya.

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