Mehr als eine Finanzkrise

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Im Minutentakt treffen aus aller Welt schlechte Nachrichten zur wirtschaftlichen Lage von Konzernen und Branchen ein. Damit fällt es immer schwerer, abzuschätzen, wie tief die Wirtschaftskrise geht. Das ist sicher: Sie markiert eine Wende.

Welch ein Irrtum! Fast schon hätten wir angenommen, es sei zur Krise der Wirtschaft bereits alles gesagt worden, nur eben noch nicht von allen, weswegen wir die Wiederholungen in der politischen Debatte über uns ergehen ließen. Aber nach den dramatischen Nachrichten aus den USA und aus Brüssel einerseits, der etwas flachen Debatte in der Sondersitzung des Nationalrats andererseits, ist der Parteichefin der Grünen, Eva Glawischnig, beizupflichten. Sie donnerte in den Plenarsaal: „Sie haben das Ausmaß der Krise nicht begriffen!“

Gemeint hat die Grüne die Bunderegierung, aber niemand ist ausgeschlossen, von diesem Diktum betroffen zu sein. Tatsächlich hatten nicht einmal die Wirtschaftsweisen von Davos die Verwegenheit, Umfang und Dauer der Krise abzuschätzen. Zu monströs sind die Dimensionen, die in Wahrheit auf eine Wende schließen lassen.

An den Grenzen des Wachstums

Wer sich bisher mit dem Gedanken an die Grenzen des Wachstums nicht anzufreunden vermochte, lernte diese jetzt anhand der Tatsachen kennen. In den USA meldeten 30 Fluglinien Konkurs an, rund 2400 Flugzeuge sind weltweit stillgelegt. Die amerikanischen Autokonzerne fahren ihre Produktion auf Null. Der russische Oligarch Oleg Deripaska soll nahezu 90 Prozent seines Vermögens verloren haben. Die EU-Kommission in Brüssel befürchtet für Europa den Verlust von 3,5 Millionen Arbeitsplätzen und erhob für seine Banken den entsetzlichen Befund, diese säßen auf 18 Billionen Euro an faulen Vermögenswerten. Im Vergleich mit den hiesigen analytisch-argumentativen Beiträgen zur aktuellen Wirtschaftsdebatte stimmt der Vorwurf daher: Man hat das Ausmaß der Krise nicht begriffen.

Die tieferen Ursachen der Krise könnten etwa in einer Haltung der Maßlosigkeit und Kaltschnäuzigkeit eines global agierenden Top-Managements liegen, die in diesen Tagen entblößt wird. Der Macht- und Geldrausch dieser von moralischen Geboten völlig losgelösten Kaste muss gestoppt werden, ist zu zügeln. Grenzenlose Gagen brauchen Deckelung, detto die Abfertigungen, Steuerprivilegien sind aufzuheben. Eine Politik, die das nicht erkennt, hat das Ausmaß der Krise nicht begriffen. Denn diese markiert eine Wende zu einem Paradigmen-Wechsel in der Politik: Sie muss wieder regulieren, sprich steuern, allerdings keineswegs alles selber erledigen.

Erst eine Politik, welche die Profiteure aus den Steuerparadiesen vertreibt, den Spekulationen auf Kredit den Boden entzieht, stellt wieder das her, was in Zeiten der Krise verloren zu gehen droht: die Überzeugung, dass dieses Wirtschaftssystem ein vernünftiges ist. Denn, etwas frei nach Böckenförde, nicht nur der Staat, auch die Wirtschaft benötigt Grundlagen, die sie selbst nicht herzustellen vermag: Vertrauen der Marktteilnehmer in die Verlässlichkeit einer Vereinbarung, in die Verhältnismäßigkeit von Preis und Leistung, in die Verantwortlichkeit unserer Wirtschaftsweise gegenüber Mensch und Natur.

Hoffnung auf einen neuen Zyklus

Doch genau dies droht verloren zu gehen. Es scheinen sich hier eher Missmut und Misstrauen, zwei betrübliche Aspekte des Nationalcharakters, breit zu machen. Und das trotz der sachlich richtigen Initiativen der Bundesregierung, unter anderem in Bildung zu investieren und Kurzarbeit zu finanzieren, um so das politisch Teuerste abzuwenden: hohe Arbeitslosigkeit.

Wahrscheinlich befinden wir uns am Ende eines langen Zyklus der Prosperität. Dazu kommt es, wie Nikolai Kondratieff herausfand, wenn sich der durch einen neuen Rohstoff oder eine neue Technik ausgelöste Schub an Wachstum erschöpft. Kräftig wirkende Innovationen wie die geradezu historischen des Verkehrs, der Elektrizität, des Erdöls, des Computers und des Internet sind derzeit nicht zu erkennen. Eine der Chancen läge allerdings in einem neuen Umgang mit Rohstoffen und mit Energie, in einer neuen, überlegten Haltung des Konsums. Das mag mühsam sein, aber es wäre die nötige Wende. Die wird jedoch nur vollziehen, wer das Ausmaß der Krise begreift.

claus.reitan@furche.at

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