Mehr Güter - weniger Freude

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Über die notwendige Wende zum Weniger

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Über die notwendige Wende zum Weniger

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Kann man heute von einer spezifischen Schöpfungsverantwortung der Christen sprechen? Oder sollte man evangelisch, nicht von Christen sondern von Menschen guten Willens sprechen?

Ich habe kein Rezept, weder auf ethischer noch auf ökologischer Ebene. Jedoch führe ich seit einiger Jahren ein Bildungsprogramm für Jugendliche und für Erwachsene, das Ethik im Supermarkt heißt und sich mit den ganz alltäglichen Konsumgütern und unserem Konsumverhalten auseinandersetzt.

Ich tue dies, weil es mir klar geworden ist, dass die umwelt-ethische Problematik sich prinzipiell auf einen einfachen Punkt reduzieren lässt: auf die Wende zum Weniger. So drückt es auch der Publizist Bernd Ulrich in seinem empfehlenswerten Buch "Deutsch, aber glücklich - Eine neue Politik in Zeiten der Knappheit" aus. Die Welt ist nur in unserer Phantasie unendlich. Tatsächlich ist die Welt begrenzt, der globale Umweltraum ist knapp. So haben wir die Aufgabe diesen nicht unendlichen Umweltraum - ja diese Knappheit, nicht diese Fülle - besser und gerechter zu teilen.

Was die Schöpfungsverantwortung der Christen anbelangt, bin ich etwas verwirrt. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, ich weiß nicht mehr, wovon ich rede. Ich will nicht urteilen und noch weniger verurteilen. Ich möchte nur meine Verwirrung zum Ausdruck bringen.

In den USA wird ein Mensch von Staat getötet, weil er einen Mensch getötet hat, der wiederum Menschenleben in Form von Embryonen getötet hatte. Alle Beteiligten an dieser Lebensvernichtung bekennen sich als Christen und schwören auf der Bibel. Soll ich, ja darf ich, mir anmaßen zu urteilen, welcher dieser Christen schöpfungsverantwortlich agiert und welcher nicht?

Im Name Christi versucht ein deutscher Abgeordneter menschliches Leben zu schützen, in dem er durch das angestrebte Verbot von Tabakwerbung die aggressive Kommunikationspolitik einiger weniger Tabak- und Lebensmittelkonzerne einschränken will. Im Namen Christi kämpft ein deutscher Gesundheitsminister, bundesweit und im Alleingang europaweit, konsequent für den Erhalt von Tabakwerbung.

Im Namen Christi kämpfen Christen und entscheiden Christen pro und contra Atomkraft, im Namen Christi pro und contra Genmanipulation und Patentierung von Bakterien, Pflanzen und Tieren. Im Namen Christi kämpfen Christen pro und contra weiteres Wachstum von Energieströmen, Stoffströmen und Wirtschaft in den reichen Industrieländern, pro und contra Ökosteuer ...

Hat die Regierungsverantwortung der Christen etwas mit der Schöpfungsverantwortung der Christen zu tun? Ich weiß es nicht. Ich maße mir nicht an, diese Frage politisch oder religiös zu beantworten. Als einfacher Weltbürger und als Umweltwissenschaftler sei mir jedoch ein Kommentar erlaubt.

Im reichen Europa verbrauchen wir etwa zehnmal mehr globale Natur und globalen Umweltraum als uns pro Kopf zusteht, nach gerechter globaler Verteilung. In diesem Punkt, kann man nicht mehr ambivalent sein, kann man sich nicht weiter auf der Karosse des "sowohl - als auch" kutschieren lassen. Für diese Karosse heißt es: "Endstation". Eine ethische Endstation für uns alle und eine Weggabelung: entweder weiterhin mit dem immer Mehr, oder Wende hin zum Weniger, entweder Wachstum oder Entwicklung.

Das sind noch nur Worte, abstrakte Begriffe. Ich will es konkreter machen. Nehmen wir das einfachste Konsumgut, das Wasser als Beispiel und den Verlust an Effizienz und Suffizienz, der unseren Umgang mit Wasser kennzeichnet.

Ich beziehe mich da auf einen grundlegenden Artikel von Jorgen Norgard von der Technischen Universität Dänemarks: Declining Efficiency in the Economy. Norgard hebt hervor, dass wenn wir die Effizienz einer Volkswirtschaft als Verhältnis zwischen Bruttosozialprodukt und Energie- und Stoffströmen definieren, dann steigt dieses Verhältnis in den Industrieländer neuerdings leicht an.

Wenn wir aber die Effizienz als Verhältnis zwischen Befriedigung unserer Bedürfnisse und den Energie- und Stoffströmen definieren, dann ist die Effizienz der industriellen Wirtschaft dabei abzunehmen. "Überquere nicht den Fluß, um Wasser zu schöpfen" (Don't cross the river to get water): Diese dänische Sprichwort ist das Fazit von Norgard. Oder, mit den Worten von Bernd Ulrich: "Wir brauchen immer mehr materiellen Wohlstand, um immer weniger glücklich zu sein." Deswegen schlägt Ulrich eine Effizienzrevolution des Gefühls vor.

Mit folgendem Beispiel aus Italien möchte ich einen typischen Effizienz- und Suffizienzverlust verdeutlichen. Um den Bedarf nach Trinkwasser zu befriedigen, werden in Italien 4.000 Milliarden Lire ausgegeben und pro Person und Jahr 120 Liter Mineralwasser - fast alles in Einwegflaschen - verkauft. In England sind es acht Liter.

Die meisten Mineralwasserquellen in Italien wurden an einige wenige chemische oder agro-chemische Lebensmittel- und Finanzkonzerne verkauft. So kann das marktführende Oligopol der Marken-Mineralwässer große Ausgaben für Werbung, Marketing, Ferntransporte und Einwegflaschen auf den Preis des Mineralwassers aufschlagen.

Die Verunsicherung, was die Qualität des Leitungswassers anbelangt, ist ironischerweise auf die Verschmutzung der Grundwasserspeicher durch die chemische und die agro-chemische Industrie zurückzuführen und auf Emissionen des Verkehrs. Ängste und Werbung treiben in Italien die Nachfrage nach Marken-Mineralwasser in die Höhe. Radio, Fernsehen, städtische Werbeflächen, Zeitungen und Zeitschriften sind mit Werbung für Marken-Mineralwasser überflutet.

Uns steht buchstäblich das Wasser (Mineralwasser) bis zum Hals.

"Wenn das Wasser in den Wolken ist, gehört es jedem. Nur wenn es durch die Felsen sickert, nur dann wird es kostbar. Nur dann wird es acqua VERA (ECHTES)": So lautet faktentreu die Werbung der Marke VERA von Nestle. Am selbem Tag trug die führende italienische Tageszeitung des Fiat-Konzerns ("Corriere della Sera") fünf ganzseitige Inserate einer einzigen Mineralwasser-Marke. Dieselbe Firma - der größter Lebensmittelkonzern der Welt - überbietet das dänische Sprichwort, indem sie sich ganzseitig rühmt, Wasser aus den Alpen bis nach Kalifornien, Tokyo und Sydney zu exportieren. Nicht nur Flüsse, sondern sogar Ozeane werden überquert, um Wasser zu schöpfen.

Eigentlich, bräuchte man nur den gesunden Menschenverstand des dänischen Sprichworts. Wenn wir jedoch mehr brauchen, um die reale Wertigkeit des Wasser wahrzunehmen, will ich mit einem Satz, der auch aus Italien stammt, schließen: Lob sei Dir, mein Herr, für Schwester Wasser Sehr nützlich ist sie, demütig, kostbar und keusch.

Thema: "Die Arbeitsgemeinschaft für Schöpfungsverantwortung" veranstaltet das Symposium "Kultur des Lebens", zu deren Entwicklung Papst Johannes Paul II. ermutigt. Die furche dokumentiert aus diesem Anlass ein Referat, das sich mit der Frage der Verantwortung für die Schöpfung auseinandersetzt.

Zum Thema Symposium 2000 - Kultur des Lebens Ort: Kardinal König Haus Freitag, 22. September: 17 Uhr Begrüßung 17 Uhr 30: Literatur und Musik zur "Kultur des Lebens" 19 Uhr 30: Über Verantwortung - von der Kunst seinem Gewissen zu folgen Samstag, 23. September 9-10 Uhr: Schöpfungstheologie: Modelle ökosozialer Bewegungen, Bilanzen der Gerechtigkeit 10-11 Uhr: Pädagogik: Ängste, Nöte, Fehlentwicklungen; Religionsunterricht 11 Uhr 20-12 Uhr 30: Medizin/Helfende Berufe 14 Uhr 20-15 Uhr 30: Bürgerinitiativen, Umweltorganisationen, der Dritte Sektor 16 Uhr: Workshops Referenten: Hubert Gaisbauer, Stephan Wehowsky, Prof. Karl Golser, Prof. Max Friedrich, Eva Maria Zeyda, Doz. Peter Weish und viele andere

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