Mehr, nicht weniger Europa

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Es ist nicht mehr der militärische Krieg, der über dem Kontinent liegt. Diesen plagt eine neue Auseinandersetzung. Diese nennt sich Krise, und ihr ist nur mit einer koordinierten Wirtschafts- und Steuerpolitik beizukommen.

Geht es nach Quantität und Qualität kursierender Manifeste und Publikationen, dann ist es im öffentlichen Gespräch die Sache Europa, mit der zu befassen sich lohnt. In Tat und Wahrheit steht Europa - unvermutet für Friedenszeiten und mit dem Friedensnobelpreis in Händen - vor Schicksalsfragen. Die wesentliche lautet: Wie lässt sich die ökonomische Krise lösen, ehe daraus eine politische wird? Damit hat die nächste naheliegende Frage zu tun: Welche Politik ist erforderlich, um eine Wirtschaftskrise zu beheben?

Es geht, wie zumeist, um Geld. Es ist ein Verdienst britischer Abgeordneter, das diese Woche klar angesprochen zu haben: Multinationale Konzerne wie Starbucks, Google und Amazon würden in "unmoralischer Weise“ das Zahlen von Steuern vermeiden. Sie würden Gewinne, die sie in Großbritannen erzielen, in andere Länder verlagern. Agenturmeldungen zufolge forderte der Rechnungsprüfungsausschuss des britischen Parlaments die Regierung auf, wirksamer gegen diese Praktiken vorzugehen, was Schatzkanzler George Osborne umgehend zusagte.

Soziallehre wird ausgehebelt

Die Möglichkeiten und Strategien der Steuervermeidung durch international agierende Konzerne untergraben die Finanzierungskraft der Nationalstaaten und das Vertrauen der Bürger in ein gerechtes und faires Steuerwesen. Das hat mit dem Agieren US-amerikanischer Unternehmen in Europas Ländern zu tun: Sie erzielen auf dem Alten Kontinent an Börsen sowie durch Finanzgeschäfte seit mehr als einem Jahrzehnt enorme Gewinne. Diesen steht keine entsprechende steuerliche oder sonstige Leistung an jene Gesellschaft gegenüber, aus und mit der diese Profite erwirtschaftet werden. Hier wird nicht nur die Sozialpflichtigkeit des Eigentums aus den Angeln gehoben, nein, hier wird die katholische Soziallehre mit einem Schwung vom Tisch gewischt, der keine Verankerung in den geistigen und kulturellen Traditionen Europas mehr zu kennen scheint.

Es sind die in Europa hausgemachten Gesetze, welche die Strategien krasser Steuervermeidung erst möglich machen. Es kann den Gesetzgebern europäischer Nationalstaaten nicht entgangen sein, dass sie es sind, welche die fiskalische Schwächung ihrer Staaten zulassen. Es sind dieselben Parlamente, die dann Steuererhöhungen und Sozialkürzungen durchwinken müssen. Mit der üblen Folge, dass sich so ein Staat dann diskreditiert und delegitimiert.

Es wird wohl erforderlich sein, heute für Europa einen ähnlich großen Wurf zu wagen wie mit der Gründung der Union. Der Währungsunion hat eine Wirtschafts- und Steuerunion zu folgen. Manche der Steuersätze einander anzugleichen ist noch kaum die halbe Miete, das Wesentliche ist die Angleichung der Bemessungsgrundlagen, der Zuordnungen und der Verbuchungen. Hier klaffen Unterschiede, die Bilanzen kippen lassen.

Zukunft liegt in der Vertiefung

Europa war immer schon schwierig und ist es heute unter anderen Bedingungen. Es ist kein heißer, kein militärisch geführter Krieg, der über dem Kontinent liegt. Es ist eine anders aber wirkungsvoll geführte Auseinandersetzung, die Europa plagt. Sie ist geprägt von der Kaltschnäuzigkeit der Informationseliten, die ihre Bereicherungsfeldzüge führen. Es ist die Unverfrorenheit von Lobbys, die ihre Nähe zu Gesetzgebung und Verwaltung schamlos für ihren Vorteil nutzen. Es ist die Mittelmäßigkeit mancher politischer Führungsgarnitur, die sich mehr um ihre - objektiv - kleinen Posten denn um das große Europa sorgt. Es ist der erhebliche Anteil an Bürgern, die sich zwar von der Politik versorgen lassen, mit ihr aber nicht befassen wollen.

Eine Vertiefung der Europäischen Union ist ihr Zukunftsweg, gepflastert mit einer koordinierten Steuerpolitik, begrenzt von Sperren gegen Steuerflucht und Steuervermeidung. Die Integration Europas fand ihre Zustimmung in jenem Ausmaß, in dem sie den Menschen diente. Im selben, in dem sie das nicht tut, geht die Zustimmung verloren.

claus.reitan@furche.at

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