Mehr spielerisch, lustig, paradox, friedlich

19451960198020002020

Ändert sich etwas in der Gesellschaft, so ändert sich auch etwas in der Küche, behauptet die Autorin. Was erwartet uns also?

19451960198020002020

Ändert sich etwas in der Gesellschaft, so ändert sich auch etwas in der Küche, behauptet die Autorin. Was erwartet uns also?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Art, wie eine Gesellschaft ihre Küche gestaltet, hat mit vielen Gegebenheiten in dieser Gesellschaft zu tun: mit der Gliederung dieser Gesellschaft, mit ihrer Definition von Männer- und Frauenrollen, mit der Abgrenzung von Arbeit und Freizeit, mit den Aufgaben, die privaten Haushalten und öffentlichen Einrichtungen zugewiesen werden, mit der Verteilung ihrer Ressourcen ...

Wenn sich etwas an der Gesellschaft ändert, ändert sich auch etwas an der Küche. Ich gehe in dieser Behauptung noch weiter: Ich bin der Meinung, daß sich in der Art, wie eine bestimmte Küche konstruiert ist, all das spiegelt, was diese Gesellschaft für wichtig hält, welche Werte sie verteidigen möchte und gegen welche sie rebelliert.

In unserer Gesellschaft wird sich in Zukunft vieles ändern und entsprechend werden wir auch unsere Küche ändern.

Dies betrifft einige ganz grundsätzliche Definitionen: Die Rolle, die wir Fleisch und Gemüse zuweisen, dem Süßen und der Milch, die Art wie wir Hauptspeisen konstruieren Insgesamt stellen wir dabei fest, daß wir von der klassischen Konstruktion einer Hauptspeise Fleisch als das Zentrum des Tellers und zwei Beilagen abrücken und andere Typen favorisieren: amorphe Kohlenhydrathäufchen wie sie die Nudelküche bietet - eine Speise, die friedlich ist, leicht anzueignen, leicht zuzubereiten.

In dieser Entwicklung spiegelt sich eine ganz generelle Tendenz unserer Zeit: Deregulierung, Bevorzugung des Unstrukturierten und Informellen, Abrücken von allem Aggressiven.

Wir gehen in eine Kommunikationsgesellschaft über, und entsprechend werden wir auch Ernährung in Zukunft im Sinne einer Sprache und eines bedeutungsvermittelnden Systems handhaben: außerordentlich differenziert, hoch spezialisiert je nach Anlaß, Stimmung und Ichbestandteil, den wir aktivieren möchten.

Wir werden insgesamt sicher mit der Tendenz konfrontiert, daß immer mehr Koch- und teilweise auch Eßvorgänge aus dem privaten Haushalt ausgelagert werden - in Restaurants, an den Arbeitsplätzen, in Handelsorganisationen, die immer mehr vorgefertigte Bestandteile und Mahlzeiten anbieten werden. Dies hängt im Wesentlichen mit der veränderten Rolle von Frauen zusammen, aber auch mit neuen Lebensformen und mit einer anderen Definition des Haushaltes.

Mehr Sorge wegen der Speisen Entsprechend wächst auch die Sorge der Menschen vor Nahrungsmitteln und Speisen, die sie nun nicht mehr selbst kontrollieren können.

Insgesamt werden auf den zukünftigen Märkten Angebote Gewinne erzielen, die nicht nur funktional gut sind, preiswert, vemünftig, sondern die für etwas stehen, die eine Bedeutung haben.

Diese Bedeutung kann ein Appell an den cleveren Kochenden sein: über den Computer bestellt, mit einer maximalen Bequemlichkeit auf jeder Ebene, preiswert, praktisch, funktional oder an die Körperbewußten, die alles fiir den Körper tun und für die sich Lebensmittel Medizin oder magischen Mitteln nähern, für die moralisch Bewußten, die wissen wollen, unter welchen Bedingungen die Lebensmittel produziert worden sind, die sie essen.

Lebensmittel werden die zunehmend weiblichen und kindlichen Tendenzen unserer Gesellschaft aufnehmen, sie werden spielerisch, paradox, lustig, friedlich und leicht anzueignen sein.

Auch in Zukunft werden Lebensmittel aber an die Grundfunktionen des Essens appellieren: Essen, weil man sich dadurch Lust verschafft, weil es auch einen "Hunger des Herzens" gibt, weil man Liebe und Respekt bezeugen kann, weil man Angst reduziert, weil man sich trösten kann, vor allem aber, weil Menschen, die miteinander essen, eine sehr spezifische Form der Gemeinschaft bilden: die Tischgemeinschaft. Die Zeiten werden ja nicht einfacher, und wir werden alles brauchen, was Menschen verbindet und was ihre wechselseitigen Verpflichtungen sichtbar macht.

Die Autorin ist Leiterin des Institutes für Motivforschung, Wien. Ihr Beitrag eine Kurzfassung Ihres Vortrags auf dem Oberösterreichischen Umweltkongreß (siehe oben).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung