Mein Haus ist dein Haus

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Zimmer in privaten Wohnungen sind eine alternative zu überfüllten Asylheimen. Eine Plattform bringt Flüchtlinge mit WGs zusammen.

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Zimmer in privaten Wohnungen sind eine alternative zu überfüllten Asylheimen. Eine Plattform bringt Flüchtlinge mit WGs zusammen.

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Wenn Kearsley die Tür öffnet und einen mit englischem Akzent begrüßt, spürt man gleich, dass die Wohnung im 10. Wiener Gemeindebezirk einen kleinen kulturellen Schmelztiegel darstellt. Der gebürtige Kanadier wohnt dort gemeinsam mit seiner Freundin Katharina, die ursprünglich aus Deutschland kommt. Sie haben sich gemeinsam dazu entschlossen, ihr frei stehendes Zimmer an einen Flüchtling zu vermieten. Damit wollten sie nicht nur jemandem ein Zuhause geben, sondern auch ein Zeichen der Toleranz setzen. Ihnen fiel auf, dass "Andersartigkeit", egal in welcher Form, oft auf negative Resonanz stößt. Nicht nur, aber auch in der österreichischen Gesellschaft. Und sie waren motiviert, daran etwas zu ändern. Als sie die Plattform von "Flüchtlinge Willkommen" entdeckten, meldeten sie sich sofort an. Ein besonderes Anliegen von ihnen war es, sich für Menschen einzusetzen, deren Sexualität nicht heteronormativ geprägt ist und das haben sie auch "Flüchtlinge Willkommen" mitgeteilt. Gemeinsam mit der Rosa Lila Villa, einem Community-Zentrum in Wien, stellten diese Kontakt zwischen der Wohngemeinschaft und Alexej her, der wegen seiner Homosexualität aus Russland flüchten musste.

Wegen Conchita Wurst in Österreich

Die Organisation "Flüchtlinge Willkommen" startete im Jänner mit einem neuen Ansatz. Nach dem Modell der deutschen Partnerorganisation vermitteln sie Flüchtlingen private Zimmer in Wohngemeinschaften. Damit soll die Integration verbessert und eine Alternative zu überfüllten Massenunterkünften gezeigt werden. Ob es sich nun um eine Studenten-WG handelt, die auf der Suche nach einem neuen Mitbewohner ist, oder eine Familie, die über ein freies Zimmer verfügt. Sie können sich alle auf der Homepage von "Flüchtlinge Willkommen" anmelden und werden dann mit einem Flüchtling in Kontakt gebracht. Auch die Flüchtlinge können sich auf der Homepage anmelden, oder werden in Zusammenarbeit mit anderen, auf Flüchtlingshilfe spezialisierten, Organisationen, vermittelt.

Am 8. Oktober 2014 kam Alexej nach Österreich. "Russland ist meine Heimat. Ich würde gerne wieder nach Russland zurückkehren, aber dort bin ich nicht sicher. Ich wäre überall hin gegangen, um ein sicheres Leben zu haben. Hier bin ich sicher. " Dass Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest Österreich repräsentierte und dann auch noch gewann, war für Alexej ein Zeichen dafür, dass er in Wien möglicherweise Sicherheit finden würde. Nun bekam er auch die Möglichkeit, durch ein vom ORF organisiertes Treffen, Conchita Wurst persönlich kennenzulernen.

Drei Sprachen sind in der Wohnung vertreten, und die Verständigung funktioniert aus einer Mischung aus Deutsch und Englisch. "Deunglish", wie Kearsley schmunzelnd erklärt. Der Kanadier spricht schon fließend Deutsch. Nur Russisch wird bis jetzt noch nicht gesprochen. "Aber abgesehen von den Sprachen sind wir wohl wie jede andere WG auch", meint Katharina.

Nach dem kleinen Vorzimmer kommt man gleich in ein geräumiges Wohnzimmer, in dem die drei ihre gemeinsame Freizeit verbringen. Fernseher steht dort keiner, dafür aber ein großer, runder Tisch. Katharina strickt, während Alexej auf seinem Tablet deutsche Sätze, die er noch nicht versteht, ins Russische übersetzt, und Kearsley erzählt von den Ziegen, um die er sich in Kanada oft kümmerte.

Kennenlernen ohne Casting-Situation

Voraussetzung für die Wohngemeinschaft ist, dass ein eigenes Zimmer für den Flüchtling zur Verfügung steht. Natürlich lernen sich Wohngemeinschaft und Flüchtling zuerst kennen, bevor sie sich entschließen zusammenzuziehen. Doch Casting-Situationen, bei denen der passende Flüchtling ausgewählt wird, lehnt die Organisation ab. Sollte ein Flüchtling traumatisiert sein, benötigt er professionelle Betreuung und wird nicht an eine Wohngemeinschaft vermittelt.

Die Finanzierung des Zimmers können "Flüchtlinge Willkommen" nicht übernehmen, da sie derzeit eine Non-Profit-Organisation sind. Um das Projekt weiterhin am Leben zu halten, setzen die vier Initiatoren nun auf die Crowdfunding-Kampagne "Respekt.net" und hoffen auf finanzielle Unterstützung. Einer der Jungunternehmer, David Zistl, kümmert sich um das Projekt, neben anderen Jobs und Studium.

Alexej und seine Mitbewohner fühlen sich in Österreich ganz gut aufgehoben, nur müssen sie mehr Formalitäten erledigen als andere Wohngemeinschaften, in denen ausschließlich Österreicher leben. "Wir haben uns schon an den Papierkram gewöhnt." Denn auch wenn zwei Migranten in Österreich leben, bringt das eine Menge Bürokratie mit sich. Dadurch, dass Katharina und Kearsley beide berufstätig sind, können sie sich die Wohnung leisten, und Alexej übernimmt auch einen kleinen Beitrag zur Miete. Deutsch und Englisch lernt er von seinen Mitbewohnern. Er bemüht sich darum, auch einen Deutschkurs machen zu können. "Jetzt würde ich gerne Skandinavistik studieren. Was danach kommt, weiß ich noch nicht", erzählt Alexej mit leiser Stimme. Er muss weiterhin abwarten, dass seine Heimat für ihn Sicherheit und Akzeptanz bietet.

Alternative in der Mitte der Gesellschaft

Den Flüchtlingen stehen bei subsidiären Schutz 320 Euro im Monat zur Verfügung, davon 120 Euro Mietzuschuss. Daher wird die Miete meist von der WG übernommen, die diese mit Hilfe von Mikrospenden oder anderer finanzieller Unterstützung beschaffen kann. "Flüchtlinge Willkommen" hilft mit Finanzierungsvorschlägen. Wenn ein Flüchtling im Gegensatz dazu in einem organisierten Flüchtlingsheim wohnt, werden vom Staat täglich 19 Euro (570 Euro pro Monat) für seine Versorgung zur Verfügung gestellt. Eine Differenz von 250 Euro monatlich.

"Flüchtlinge Willkommen" konnte bis jetzt drei Flüchtlinge vermitteln. Zwei in Wien und einen in Salzburg. In Deutschland wurden bereits 18 Flüchtlinge vermittelt. Durch das Zusammenleben mit Einheimischen sollen Integration und ein Kennenlernen anderer Kulturen gefördert und Vorurteile abgebaut werden. Für viele Flüchtlinge ist das Erlernen der deutschen Sprache ein großes Anliegen und kann durch täglichen Gebrauch in der WG verbessert werden. Das Zusammenleben mit einem Flüchtling ist mehr als eine Zweckgemeinschaft. Es ist eine bewusste Entscheidung für einen Fremden, der Hilfe benötigt. Die Aufgabe von "Flüchtlinge Willkommen" ist nicht nur, einen passenden Flüchtling zu finden, sondern auch die Ernsthaftigkeit der Wohngemeinschaft zu überprüfen. "Manchmal kommt es vor, dass sich jemand meldet, der bloß auf der Suche nach billigen Arbeitskräften ist", erklärt David Zistl. "Zum Glück bilden solche Leute aber die Ausnahme."

Das Projekt "Flüchtlinge Willkommen" wurde für den Migaward 2015 nominiert. Die deutsche Partnerorganisation plant, das Projekt auch in die Schweiz und nach Holland auszuweiten. Da nun auch englischsprachige Medien auf das Projekt aufmerksam wurden, bekommen die Initiatoren in Deutschland Rückmeldungen aus verschiedensten Ländern.

David Zistl und seine Kollegen wollen nicht die Aufgabe der Politik übernehmen, sondern zeigen, dass es Alternativen zu den überfüllten Flüchtlingsheimen gibt. Sie hoffen, für noch mehr Flüchtlinge eine passende Unterkunft zu finden. Über 40 Wohngemeinschaften haben sich schon auf der Plattform angemeldet.

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