"Meine Leber glich einer fetten Pastete"

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Drei Wochen lang ernährte sich Morgan Spurlock nur von Fast Food. Seine filmische Abrechnung mit McDonald's - "Super Size Me" - kommt am 22. Oktober in die heimischen Kinos.

Die Furche: Was war Ihre Intention beim Drehen von "Super Size Me"?

Morgan Spurlock: "Super Size Me" ist die Reise eines Mannes in die Welt des Fast Food - und der damit verbundenen Gesundheitsprobleme. Es ist außerdem ein Film über den American Way of Life und er zeigt, wie wir uns selbst zu Tode essen. 2002 hat eine Geschichte in Amerika große Aufmerksamkeit erregt: Zwei übergewichtige Mädchen wollten McDonald's verklagen. McDonald's beteuerte, dass die Fettleibigkeit der Mädchen nicht auf das Essen von McDonald's zurückführbar sei. Das Essen sei schließlich gesund und nahrhaft. Da dachte ich: Wenn es so gesund ist, müsste man es jeden Tag bedenkenlos essen können. So entstand die Idee.

Die Furche: Dann haben Sie 30 Tage lang nur Burger und Pommes Frites zu sich genommen...

Spurlock: Ja. Ich habe mich vor dieser "McDonald's-Diät" von Fachärzten untersuchen lassen, die auch während des Versuchs meine Werte ständig kontrolliert haben. Ich habe mich schon bald müde und lethargisch gefühlt, hatte rasende Kopfschmerzen, die erst mit der Zufuhr von Fast Food wieder aufhörten. Mein Cholesterinspiegel und mein Blutdruck schossen in die Höhe. In einem Monat habe ich über zwölf Kilo zugenommen.

Die Furche: War der Zustand Ihrer Leber tatsächlich so bedenklich, wie Sie das in dem Film zeigen?

Spurlock: Meine Leber glich danach einer fetten Pastete. Nach drei Wochen waren meine Werte so katastrophal, dass mir die Ärzte rieten, mit der "Diät" aufzuhören. Aber auch mein Sexualleben war plötzlich nicht mehr vorhanden. In Amerika haben wir Mittel gegen alles: Wenn jemand Erektionsprobleme hat, bekommt er Viagra. Wenn jemand Depressionen hat, bekommt er Antidepressiva. Ich war nach jedem Essen bei McDonald's total glücklich, doch die Zeit dazwischen fühlte ich mich sehr schlecht und depressiv. Warum sehen wir nicht, wie wir leben und essen, anstatt für jede Kleinigkeit Pillen einzuwerfen?

Die Furche: Wie hat McDonald's auf Ihren Selbstversuch reagiert?

Spurlock: Das ursprüngliche Ziel des Films war, genau an dem Tag ein Interview mit Verantwortlichen bei McDonald's zu bekommen, an dem ich mit der Diät aufhöre. Wir wären dann nach Chicago in die Firmenzentrale gefahren, ich hätte die Ergebnisse präsentiert und darüber mit ihnen diskutiert. Aber das hat nicht funktioniert, denn das Letzte, was eine Fast-Food-Kette will, ist ein Film über Fettleibigkeit. Aber vielleicht ist das auch gut so, denn wenn die gewusst hätten, worum es in meinem Film wirklich geht, hätten sie alles unternommen, um den Film zu verhindern.

Die Furche: Wäre das für McDonald's überhaupt möglich gewesen?

Spurlock: Selbstverständlich. Man hätte mich klagen können. Aber man hat es nicht getan. Ich war der kleine Filmemacher, der einen Film um unglaubliche 65.000 Dollar gedreht hatte, und McDonald's ist eine Firma, die 15 Milliarden Dollar wert ist. Eine Klage wäre also ziemlich dumm gewesen.

Die Furche: Immerhin hat McDonald's kurz vor dem US-Filmstart von "Super Size Me" die Zusatzoption "Super Size" bei seinen Menüs abgeschafft. Ist das nicht genug Triumph?

Spurlock: Es ist zumindest ein erster Schritt, doch es muss viel mehr passieren. Jetzt gibt es überall diese großen Salate, die mit Dressing mehr Kalorien haben als ein Big Mac. Ein Salat von McDonald's liefert dem Körper die Hälfte der täglich empfohlenen Menge an Natrium. Das kann keine gesunde Alternative sein. Außerdem: Gehen Sie einmal in einen McDonald's und zählen Sie, wie viele Leute einen Salat kaufen und wie viele Burger - das Verhältnis ist vielleicht eins zu hundert.

Die Furche: Sie haben für den Film die Regel aufgestellt, nur dann "Super Size"-Menüs zu wählen, wenn Sie Ihnen vom Verkäufer angeboten werden. Warum?

Spurlock: Weil man sonst behaupten hätte können, dass ich nur deshalb so schlechte medizinische Werte hatte, weil ich immer die größte Portion bestellt habe. Doch da ich die Auswahl den McDonald's-Mitarbeitern überlassen habe, hatte ich dieses Problem nicht. Aber ich nahm bei jeder Bestellung auch die zusätzlichen Angebote: Wollen Sie zwei Apfeltaschen zum Preis von einer? Sicher! Denn genau so leben wir in Amerika: Wir wollen mehr für weniger Geld.

Die Furche: Wie unterscheiden Sie sich in punkto Essen vom typischen Amerikaner?

Spurlock: Ich esse zumindest gesünder als der Durchschnittsamerikaner, und ich treibe sicher mehr Sport. Außerdem hatte ich das Glück, eine Mutter zu haben, die jeden Abend ein frisches Abendessen zubereitet hat. Das war schon in meiner Kindheit nicht mehr die Norm. Damals gingen schon viele Eltern mit ihren Kindern in Pizza- oder Burger-Restaurants essen.

Die Furche: Wie ist Ihr Verhältnis zu Fast Food heute, nach dem Film?

Spurlock: Es klingt verrückt: Aber ich liebe Burger! Doch ein guter Cheeseburger kommt für mich nicht von McDonald's, sondern aus Restaurants, wo das Fleisch frisch in der Küche zubereitet wird, wo man gutes Brot und frischen Käse bekommt. Nicht von einem Fast-Food-Restaurant, wo der LKW die tiefgefrorenen Fleischstücke und Zutaten bringt, die bereits vor Wochen hergestellt worden sind. Der Käse bei McDonald's sieht so als, als würde er im Dunkeln leuchten (lacht).

Die Furche: Könnte es sein, dass die Nahrungsmittelindustrie bald ebensolche Prozesse am Hals hat wie die Tabakkonzerne?

Spurlock: Die Tabakindustrie weiß genau, dass Nikotin und Teer in Zigaretten gesundheitsschädlich sind und Krebs auslösen können. Die Frage ist: Wissen auch die Nahrungsmittelkonzerne, dass das, was sie den Konsumenten da verkaufen, ebenfalls gesundheitsschädlich ist? Die Standard-Antwort lautet: Jeder weiß, dass Fast Food ungesund ist. Ich glaube aber nicht, dass die Leute wissen, wie schlecht dieses Essen tatsächlich ist. Ist es nur schlecht, weil man zunimmt? Oder ist es schlecht, weil es schwere Leberschäden, Herzkrankheiten oder Diabetes verursachen kann? Diese Konzerne haben die Menschen angelogen.

Die Furche: Viele Kritiker sehen in Ihrer Arbeit Parallelen zu Michael Moore: Sie beide präsentieren Dokus, die sehr subjektiv gefärbt sind. Ist das ein neuer Trend im Dokumentarfilm?

Spurlock: Vielleicht. Moores "Fahrenheit 9/11" hat in den USA 150 Millionen Dollar eingespielt. Das ist phänomenal. Michael Moore hat die Doku-Welt verändert. Er ist als Person unglaublich massenwirksam - was wiederum zum Erfolg der Filme beiträgt.

Die Furche: Was erwarten Sie für den Filmstart in Österreich?

Spurlock: Es wird dasselbe passieren wie überall sonst: McDonald's wird in allen Zeitungen ganzseitige Inserate schalten, in denen steht, dass alles in dem Film gelogen ist, und dass man ohnehin ein wertvolles Nahrungsangebot mit Salaten anbietet. Das ist pure Propaganda. Ich kann Ihnen sagen, wie weit der Arm dieses Konzerns reicht: Ich war in Deutschland eingeladen, wo auch zwei Reporter von Sat1 und ProSieben waren. Doch die Sender haben ihnen verboten, mit mir zu sprechen - wohl um McDonald's nicht als Werbekunden zu verlieren. Das zeigt einmal mehr, dass wir in einer Welt leben, in der es Meinungsfreiheit gibt, so lange der Werbekunde zustimmt. Über wie viele andere Geschichten erfahren wir nicht die ganze Wahrheit? Das macht mir Angst.

Das Gespräch führte Matthias Greuling.

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