"Meinungsbildner im Gesundheitswesen"

Werbung
Werbung
Werbung

Wo stehen die Ordensspitäler heute und wo wollen sie hin? Zwischen Spitzenmedizin, teurem Gesundheitssystem und dem Platz für Werte.

Aus dem Ordinationsraum ist kein Laut zu hören und dennoch sind die Ärztin und ihr Patient in ein angeregtes Gespräch über den Gesundheitszustand des alten Mannes vertieft. Das ist Alltag in der Gehörlosen-Ambulanz, die im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien medizinische Anlaufstelle für rund 2000 gehörlose Menschen in Wien geworden ist. Durch die in Österreich einzigartige Ambulanz (gegründet 1999, weitere Standorte in Linz und bald Graz) wurde erstmals eine direkte Kommunikation zwischen Arzt und Patient ermöglicht, da Ärzte, Pfleger und weiteres Personal die Österreichische Gebärdensprache beherrschen. Bisher war ein Gehörloser immer auf einen Dolmetscher angewiesen, Missverständnisse über komplizierte Diagnosen Alltag. Der Andrang auf die Ambulanz ist seither groß, allein bis April 2006 wurde eine Besucherfrequenz von über 23.000 verzeichnet.

Das Angebot für gehörlose Menschen bei den Barmherzigen Brüdern ist nur eines von vielen, mit dem Ordensspitäler in ganz Österreich ihrem Anspruch der christlichen Nächstenliebe nachzukommen versuchen, wo Nischen im Gesundheitssystem über den allgemeinen Versorgungsauftrag der Krankenhäuser hinausgehend abgedeckt werden.

Bei Patientenumfragen in Ordensspitälern wird die hohe Zufriedenheit der Patienten betont, doch wie kann die Menschlichkeit in einem Gesundheitssystem, das von Technik und zunehmendem Spardruck geprägt ist, einen gesicherten Platz finden?

Werte und Ethikrichtschnur

"Ich sehe momentan in der ge

sundheitspolitischen Debatte die Gefahr, dass Kostensparen im Vordergrund steht und die bedingungslose Arbeit am Menschen vergessen wird", meint Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz-Gruppe, ein Zusammenschluss von sieben Ordensspitälern in Wien und Oberösterreich. Die Gruppe verstehe sich daher als "Meinungsbildner im Gesundheitswesen". Heinisch betont die intensive Wertedebatte, die in den Krankenhäusern der Vinzenz-Gruppe am Laufen ist. "Ziel ist es, dass Mitarbeiter und Patienten den Werteanspruch spüren", erklärt Heinisch: Hier gehe es nicht ums Missionieren, sondern darum, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Er nennt ein Beispiel: Im Wiener Orthopädischen Krankenhaus Speising, in dem sehr viel operiert wird, wurde die Überlegung angestellt, wo die Patienten die meiste Angst empfinden. Natürlich kurz vor der OP, noch nicht narkotisiert, wartend, allein. Es wurde nun eine Ordensschwester den Wartenden zur Seite gestellt, die den Patienten Gespräch und Zuwendung anbietet.

"Es wird noch Tausende ähnliche Sachen geben, durch welche die Menschen spüren, dass wir für sie da sind", kündigt Heinisch an. Die Vinzenz-Gruppe strebt zunächst ein inneres Wachstum an. Alle Krankenhäuser sollten im Rahmen eine häuserübergreifenden Qualitätsoffensive zertifiziert werden, zudem eine Fehlermeldestelle eingerichtet werden. Hier sollen medizinischen Fast-Kunstfehler zusammenlaufen, um aus fehleranfälligen Abläufen zu lernen. Weiters findet eine "Ethikarbeit" statt, Ziel soll eine Richtschnur für heikle ethische Situationen im medizinischen Behandlungsalltag sein. Die Vinzenz-Gruppe will sich keinem Ordensspital als Partner aufdrängen. "Wichtig ist aber, dass kein Ordensspital schließen muss. Sie sind in ihrer bedingungslosen Arbeit am Menschen und ihrem christlichen Auftrag für ein breites und gutes Gesundheitswesen unverzichtbar," so Heinisch.

Ein "Stand-Alone"-Krankenhaus ist nicht mehr zeitgemäß", betont auch Paul Aiginger, Primarius für Innere Medizin am St. Josef Spital. Die Ordensspitäler würden in Wien nicht im Konkurrenzverhältnis zu den Spitälern des Krankenanstaltenverbundes (KAV) stehen, auch nicht zu anderen Ordenskrankenhäusern. Es gibt Kooperationen mit Abteilungen, die "für gut befunden werden", auch mit dem AKH, in dem der führende Mediziner lange gearbeitet hat, bevor er ins St. Josef Krankenhaus gewechselt ist. "Hier passt die Weltanschauung", sagt er. Aber er hätte auch keine Probleme, im AKH zu arbeiten. Ist die Zukunft der Ordensspitäler neben dem Mehrwert der menschlichen Zuwendung auch die zunehmende Spezialisierung? Eine in der Fachwelt umstrittene Frage, meint der Universitätsprofessor mit Zusatzfach Onkologie und Nuklarmedizin. "Schwerpunktsetzung ja, Spezialisierung mit Augenmaß ja, aber alleinige Fachabteilungen nein", sagt er. Denn eine Abteilung muss das gesamte Feld abdecken können.

Spezialisierung mit Maß

"Der Schulmedizin wird ja jetzt schon von der Alternativen Medizin vorgeworfen, man sei zu sehr auf ein bestimmtes Organ konzentriert und sehe den gesamten Menschen nicht mehr." Das wolle man genau nicht. Die Auslastung im St. Josef Krankenhaus sei sehr gut. Besonders Entlassung- und Überweisungsmanagement des Krankenhauses in den niedergelassenen Bereich würden gut angenommen, betont der leitende Arzt.

Doch die Finanzierung bleibt für viele Ordensspitäler das vorrangige Problem, wie Adolf Inzinger, Gesamtleiter des Provinzialats der Barmherzigen Brüder, betont. Die Ordensspitäler werden trotz unumstrittener Effizienz- und Qualitätserfolge gegenüber öffentlich-rechtlichen Spitälern benachteiligt, indem sie einen gewissen Selbstbehalt tragen müssen (siehe Furche/38). Inzinger betont, dass die Barmherzigen Brüder helfen, wo sie Nischen sehen, wie etwa die Armenambulanz in Wien, wo jährlich 110.000 Menschen ohne Krankenschein unentgeltlich behandelt werden. 400 Menschen, die keine Versicherung haben, werden stationär mehrere Monate behandelt. Die enormen Kosten dafür muss der Orden tragen.

"Der Orden hilft, wenn er gerufen wird," fügt Inzinger hinzu. In Zusammenarbeit mit dem KAV und der Wiener Gebietskrankenkasse wurden zwölf neue Dialyseplätze errichtet, weitere 72 sind im SMZ-Ost unter der Führung der Barmherzigen Brüder geplant, um der akute Überbelastung in den Gemeindespitälern Herr zu werden. Auch KAV-Chef Wilhelm Marhold lobt diese Kooperation: Es würde in vielen Bereichen zum Vorteil für die Patienten mit den Ordensspitälern zusammengearbeitet, sagt er.

Die Seite entstand in Kooperation mit der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung