Menschenrechte zur Disposition?

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Bleibt uns am Ende des Jahrtausends nur der Befund, daß im vielgepriesenen Abendland Christentum und Humanität endgültig abgedankt haben?

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Bleibt uns am Ende des Jahrtausends nur der Befund, daß im vielgepriesenen Abendland Christentum und Humanität endgültig abgedankt haben?

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Die westliche Welt hält die Menschenrechte hoch. So hoch, daß die NATO seit sechs Wochen massive Strafsanktionen gegen jene unternimmt, die sich an diesen Menschenrechten brutal vergehen. Da gilt kein Völkerrecht, da gilt keine Verhältnismäßigkeit der Mittel, da werden die Menschenrechte herbeigebombt. Wo kämen wir auch hin, wenn Menschen nur wegen ihrer anderen Volkszugehörigkeit und Religion mitten in Europa von der Staatsmacht verfolgt, vertrieben und sogar getötet werden könnten?

Wie aber paßt es zusammen, daß dasselbe Europa, das erstmals in der Geschichte zum Schutz der Menschenrechte einen Krieg führt, diese Rechte aufs gröblichste mißachtet, wenn seine Bewohner selbst sich durch deren Anspruch auf Universalität und Unteilbarkeit herausgefordert fühlen? Wie ist es möglich, daß Menschen, die um Asyl ansuchen, als Kriminelle behandelt werden? Sie haben sich zumeist nichts anderes zuschulden kommen lassen, als in ihrer Heimat entweder verfolgt zu werden, oder einem Krieg und massiver Armut entfliehen zu wollen. Europa, das die Not der Vertreibung doch kennt, hat kein Verständnis, daß Menschen, die ihre Heimat freiwillig verlassen, dafür existentielle Gründe haben müssen. Ist es nicht makaber, wenn die höchsten Polizeibeamten eines der sichersten Rechtsstaaten der Welt es als humanitären Fortschritt verkünden, daß in Zukunft möglicherweise statt Klebebändern Stoffbänder zur Fesselung verwendet werden? Wie ist es möglich, daß nicht allein bei der Ankündigung, daß ein Motorradhelm in Zukunft Augenbinde und Knebelung ersetzen soll, ein Aufschrei durch die Bevölkerung geht? Diese Methoden werden, so wird uns mitgeteilt, ohne nennenswerte Widerstände der vielgepriesenen Zivilgesellschaft in ganz Europa mit Erfolg angewandt.

Es fällt den Verantwortlichen offensichtlich nicht einmal mehr auf, wie menschenverachtend ihre Äußerungen sind, noch dazu als Reaktion auf einen durch solche Methoden verursachten Todesfall. Die Tatsache, daß es sich bei den Abzuschiebenden in den geringsten Fällen um Verbrecher handelt, sondern größtenteils um Menschen, die nur aus Angst aggressiv reagieren, wird von den Verantwortlichen und daher auch von der Bevölkerung kaum wahrgenommen. Es ist doch verwunderlich, daß beim Anblick der Greueltaten im Kosovo sofort die Vergleiche zur Vernichtungsmaschinerie der Nazis gezogen werden, angesichts des menschenverachtenden Umgangs mit Asylsuchenden aber kaum warnende Erinnerungen wach werden.

Sind Menschenrechte doch teilbar? Muß man sich unser Mitgefühl erst verdienen? Wodurch? Durch Hautfarbe und auch sonstige Unauffälligkeit? Glauben wir die Not nur, wenn wir sie auch mittels Fernseher nach Hause geliefert bekommen? Haben wir nicht genug Phantasie, uns vorstellen zu können, aus welchen Gründen Menschen ihre Heimat und Familien verlassen?

Natürlich kann Österreich nicht alle aufnehmen, die bei uns Schutz suchen, aber könnte das reiche Europa nicht andere gemeinsame Initiativen setzen, als Abschieben mittels Fesselung und Knebelung? Wie wäre es, wenn nicht die Innenminister für dieses Problem zuständig wären, sondern interministeriell und europaweit an humanitären Lösungen gearbeitet würde? Sind Menschenleben weniger wert, als ein Multilaterales Investitionsabkommen und die Vereinbarungen der WTO? Es liegt doch nahe, alles daranzusetzen, daß Menschen sich nicht gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Weltweit gehen die Mittel, die der reiche Norden für die ärmsten Länder zur Verfügung stellt, zurück.

Die öffentliche Unterstützung der privaten Entwicklungszusammenarbeit wird immer halbherziger. Kreiskys Marshallplan für die armen Länder ist nicht einmal angedacht. Der Gegenwert von zig Milliarden wird auf Serbien abgeworfen, zur Vernichtung einer Infrastruktur. Wieso ist es nicht möglich, ebenso viele Mittel zum Aufbau von Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen? Bleibt uns am Ende des zweiten Jahrtausends nur der Befund, daß im vielgepriesenen Abendland Christentum und Humanität endgültig abgedankt haben?

Die Autorin ist Diözesanleiterin der Katholischen Frauenbewegung Wien.

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