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Die Lebenserwartung steigt stetig an - und mit ihr die Zahl körperlicher und geistiger Verfallserscheinungen.Ob und wie ihnen durch "Active Aging" beizukommen ist, stand bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen zur Debatte.

Madame zählte 122 Lenze, liebte Gänseleberpastete, genehmigte sich dann und wann ein Gläschen Portwein, paffte nach Lust und Laune Zigaretten und verfügte ohne Zweifel über eine ordentliche Portion Humor: "Ich hatte in meinem Leben nur eine einzige Falte - und ich sitze auf ihr." Also sprach Jeanne Louise Calment, geboren am 21. Februar 1875 im französischen Arles, die schließlich - nach jahrelangem Fragen, ob denn Gott auf sie vergessen hätte - am 4. August 1997 als ältester Mensch der Welt verstarb.

Wenn es auch nur Jeanne Calment vergönnt war, ein solch biblisches Alter zu erreichen, so stieg doch während dieser 122 Jahre die allgemeine Lebenserwartung sprunghaft an: Mussten die Menschen in den westlichen Industrieländern noch im Jahr 1900 damit rechnen, das 50. Lebensjahr nicht zu erreichen, so werden die heute Geborenen mit einer Lebenserwartung von durchschnittlich 81,6 Jahren (Frauen) bzw. 75,6 Jahren (Männer) vergleichsweise Methusalems.

Alte im Vormarsch

Und der Trend hält weiter an, wie der an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrende Sozialwissenschaftler Rainer Münz im Rahmen der diesjährigen Alpbacher Gesundheitsgespräche illustrierte: "Im Jahr 2050 werden Frauen 88 Jahre und Männer 83 Jahre alt werden." Die Folgen für die Altersverteilung in der Bevölkerung sind - zusammen mit der schrumpfenden Geburtenziffer - erheblich: "Derzeit sind 1,6 Millionen Österreicherinnen und Österreicher - also ein Fünftel der Bevölkerung - über 60 Jahre alt", weiß Münz. "In 50 Jahren werden es mit drei Millionen bereits 30 Prozent sein."

Die wenigsten sind jedoch mit 70 oder 80 Jahren körperlich und geistig so jung geblieben wie Madame Calment: Vor allem chronisch-degenerative Krankheiten - dazu gehören Erkrankungen des Stütz- und Bewegungssystems, des Herz-Kreislaufsystems und des zentralen Nervensystems sowie psychische Erkrankungen - machen den Alten von heute und morgen das Leben schwer. Schon jetzt spricht die Todesursachen-Statistik Bände: 54 Prozent der Bevölkerung sterben heutzutage an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, 26 Prozent an Krebs.

Durch die steigende Lebenserwartung werden künftig immer mehr Menschen auch an Alzheimer, Altersdepressionen, Parkinson, Osteoporose oder Inkontinenz laborieren - eine enorme Herausforderung für den dürftig ausgebauten Pflegebereich. Laut Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen von derzeit 450.000 sogar verdoppeln. Durchschnittliche Pflegedauer: sieben Jahre.

So deutlich der Alterungsprozess äußerlich zu Tage tritt, so unklar ist nach wie vor, was sich dabei im Inneren des Körpers vollzieht. Glaubt man dem Alternsforscher Tom Kirkwood von der Universität in Newcastle, so ist Altern die Folge einer Anhäufung von Fehlern. Jede einzelne der 100 Billionen Zellen des menschlichen Körpers teilt sich im Laufe des Lebens 50 Mal, bis sie den programmierten Zelltod (Apoptose) erleidet. Bei diesem "Kopiervorgang" entstünden Zelldefekte, die schließlich zu funktionalen Störungen der Organe und des Gewebes führen und den Körper altern lassen. Am Ende bricht der Organismus völlig zusammen - er stirbt. Spezifische Alternsgene gebe es nach Kirkwood jedenfalls nicht. "Wir sind von Natur aus nicht programmiert, zu sterben, wir sind programmiert zum Überleben." Wie gut ein Mensch überlebt, wie alt er also wird, hängt laut Kirkwood nur zu rund 25 Prozent von seinen Genen ab. Ebenso wichtig sind die Ernährung, der Lebensstil und nicht zuletzt die Umgebung. "Inaktivität und Isolation beschleunigen den körperlichen und geistigen Verfall", so Kirkwood.

Viele Liebe, wenig Fleisch

Auch der Innsbrucker Alternsforscher Georg Wick (siehe Interview) weiß um diese Zusammenhänge. Sein pointiertes Gegenrezept für Active Aging: "Lieben, Laufen, Lernen." Unter "Lieben" seien neben sexueller Betätigung vor allem persönliche Kontakte gemeint, so Wick; unter "Laufen" die Bedachtnahme auf den eigenen Körper - etwa durch regelmäßige Bewegung und eine "mediterrane Lebensweise" mit viel Gemüse und Teigwaren und wenig Fleisch; und unter "Lernen" regelmäßiges, geistiges Fitnesstraining.

Dass nur Asketen gesund altern und zu Methusalems avancieren könnten, sei nach Wick jedenfalls ein Irrglaube: "Man muss sich nicht kasteien." Bestes Beispiel ist Madame Calment. Mehr als ihre kleinen Laster zählte offensichtlich ihre positive Einstellung zum Leben: "Ich freute mich, wann immer ich konnte."

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