Mettensau und Christmas-Sushi

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Seit über 2000 Jahren feiern wir die Geburt Christi. Nicht zuletzt auch mit kulinarischen Köstlichkeiten auf dem festlich gedeckten Tisch - der im Lauf der Zeit allerdings einen gehörigen Wandel erfahren hat.

Weihnachten, das Fest des Friedens und der Freude, steht vor der Türe. Und mit ihm all die Schlemmereien rund um süße Vanillekipferl und knusprige Weihnachtsgans. War diese Zeit immer eine so opulente? Zu Jesu Geburt sicher nicht. Die folgenden Jahrhunderte mit ihren historischen und sozialen Umbrüchen waren ebenso wenig dazu angetan, sich genüsslich der Ankunft jenes kleinen Kindes zu erinnern, das die Welt so nachhaltig beeinflussen sollte. Dazu kamen noch die strengen Fastengebote, die gläubigen Katholiken den Genuss von Fleisch, Milch und Butter während der Adventzeit ohnehin untersagten. Erst der sogenannte "Butterbrief“ von Papst Innozenz VIII. erlaubte ab 1491 die Verwendung von Butter. Freilich nicht nur aus Courtoisie der damaligen Feinschmeckerszene gegenüber, sondern um die im Gegenzug dafür eingehobenen Bußgelder in den Bau des Freiburger Doms zu stecken.

Der "blutige Thomas“

Wie auch immer, seit damals schmeckt Weihnachten einfach besser. Zwischen Duftschwaden von fettigen Spiralkartoffeln und intensiv riechenden Raclettebroten ist auf den heimischen Christkindlmärkten von der einstmaligen Enthaltsamkeit in den Tagen vor dem 24. Dezember nichts mehr übrig geblieben. Da täte es ganz gut, sich einmal die seelischen Qualen vor Augen zu führen, denen die ländliche Bevölkerung früher ausgesetzt war, wenn etwa der "blutige Thomas“ zu Gange war. Es handelt sich dabei keineswegs um einen psychopathischen Killer, sondern um den guten heiligen Thomas, an dessen Namenstag am 21. Dezember auf den Bauernhöfen traditionellerweise für die Feiertage geschlachtet wurde. Ein Teil des Fleisches wurde zu deftigen Blut- und Bratwürsten verarbeitet, die - auch wenn sie noch so verführerisch dufteten - keinesfalls vor der Christmette verzehrt werden durften. Nach wochenlanger Fastenzeit wahrhaftig ein letzter Prüfstein christlicher Standfestigkeit! Das restliche Schweinefleisch wurde je nach Region und Geschmack gesurt, geselcht oder als sogenannte "Mettensau“ für den festlichen Weihnachtsbraten bestimmt.

Heute wird Schweinefleisch zwar unterm Jahr allen Gesundheitstrends zum Trotz in großen Mengen genossen, am Christtag muss es aber schon etwas Ausgefalleneres sein. Da haben Gans und Truthahn ihren großen Auftritt - besser gesagt: hatten ihn. Die Stars des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg gelten zwar nach wie vor als symbolträchtigste Weihnachtsgerichte, die kulinarische Realität sieht allerdings anders aus. Abgesehen vom anglo-amerikanischen Raum - dort bedient gebratener Turkey dieses Klischee nach wie vor - duftet es zu Weihnachten nur mehr in wenigen Privatküchen nach gebratenem Großgeflügel. "Schneller, leichter, gesünder!“ lautet die Devise der modernen Ernährungsgepflogenheiten und gibt auch beim weihnachtlichen Festschmaus das Thema vor. Exklusive Seezungen und teure Rochenflügel ersetzen auf den Tafeln der High Society den nicht mehr ganz salonfähigen fetten Weihnachtskarpfen. So die Stressquote geplagter Hausfrauen und -männer am 24. Dezember überhaupt das Zubereiten einer warmen Mahlzeit zulässt. Je nach Portemonnaie sind kalte Aufschnittplatte vom Supermarkt ums Eck und kunstvoll drapierte Antipasti-Teller von namhaften Delikatessenhändlern nämlich ohnehin auf dem Vormarsch. Oder man bemüht bequemerweise den nächsten japanischen Lieferdienst und ordert einen eindrucksvollen Sushi-Sashimi-Maki-Mix, kurz bevor das Christkind mit dem Glöckchen läutet.

Gemeinsam entspannt genießen

Was den folgenden Christtag auch für Gourmets zum schönsten Festtag des Jahres werden lässt, darüber gehen die Meinungen wohl - wie selten - diametral auseinander. Ein kurzer Rundruf im Freundeskreis ließe sich problemlos zu einem netten Kochbuch zusammenfassen. Von deftig gebratenen Bauernbratwürsteln über rosa Roastbeef mit knusprigem Erdäpfelgratin wäre darin zu lesen, von saftig gefüllter Kalbsbrust und wunderbar soufflierenden Kalbswienerschnitzerln bis hin zum würzigen Wildbraten mit Stöckelkraut und Knödeln. Sogar Couscousschüssel, Fondue und Raclette finden sich im christtäglichen Speisenreigen - und entsprechen damit, so kurios es auch klingen mag, wohl am ehesten dem christlichen Urgedanken. Nicht der solitäre Genuss von möglichst exquisiten Speisen steht ja im Vordergrund, sondern das entspannte gemeinsame Genießen. Gralshüter der reinen alpenländischen Genusslehre sollten daher auch oder gerade zu Weihnachten demutsvoll beide Augen zudrücken und den Stab über kulinarisch Andersgläubige keineswegs brechen. Ja, nicht einmal ein Stäbchen knicken, das am festlich geschmückten Tisch zwischen der großen Schale mit den kleinen Palatschinken zur Peking-ente aufgedeckt wird. Auch so darf Weihnachten aussehen - und schmecken!

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