"Missbrauch ist sehr schwer zu verhindern"

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Sie steht an der Spitze jenes Dachverbandes, der alle Humangenetik-Gesellschaften unter sich vereint: Uta Francke, Professorin für Genetik und Pädiatrie an der Stanford University, spricht mit der furche über die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes, maßgeschneiderte Medikamente, Präimplantationsdiagnostik und die Unmöglichkeit des Klonens.

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Sie steht an der Spitze jenes Dachverbandes, der alle Humangenetik-Gesellschaften unter sich vereint: Uta Francke, Professorin für Genetik und Pädiatrie an der Stanford University, spricht mit der furche über die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes, maßgeschneiderte Medikamente, Präimplantationsdiagnostik und die Unmöglichkeit des Klonens.

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die furche: Zeitgleich im Februar dieses Jahres haben das internationale Human Genom Project (HUGO) und das private US-Unternehmen Celera Genomics die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts verkündet. Hat sie dieser frühe Zeitpunkt überrascht?

Uta Francke: Wir haben diesen Prozess natürlich jahrelang beobachtet. Dass es dann am Schluss so schnell gegangen ist, war die Folge dieses Wettlaufs der Forscherteams. Die Ankündigung war jedenfalls verfrüht, denn fertig sind wir noch lange nicht.

die furche: Wieviel fehlt noch?

Francke: Ungefähr zehn Prozent. In zwei Jahren könnten wir von der "finished sequence" sprechen, denn ganz sicher kann man nur sein, wenn man mindestens zehn mal sequenziert hat. Um aber die Funktion der einzelnen Gene zu kennen, wird es noch Jahrzehnte dauern.

die furche: Von der Entschlüsselung des Erbguts erhofft man sich auch neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten bei genetischen Krankheiten.

Francke: Bei Erkrankungen, die von einem einzigen Gen bestimmt werden, geht die Diagnostizierbarkeit sehr schnell voran. So war es etwa beim Rett-Syndrom, einer Demenz-Erkrankung bei Mädchen, deren Verursachergen wir 1999 entdeckt haben. Innerhalb von 5 bis 10 Jahren können wir wahrscheinlich alle monogenen Krankheiten verstehen. Komplizierter sind jene häufigen Krankheiten, bei denen individuelle Gene nur eine kleine Rolle spielen, etwa Krebs und Bluthochdruck - es sei denn, man hat eine spezielle genetische Veranlagung, wie etwa beim Brustkrebs. Zehn Prozent sind hier genetisch bedingt durch Veränderungen in den Genen BRCA-1 oder BRCA-2. Bezüglich der Gentherapie steht etwa bei der Hämophilie (Bluterkrankheit, Anm. d. Red.) noch einiges bevor.

die furche: Die Gentests werden weiter perfektioniert. Wie aussagekräftig sind solche Tests?

Francke: Momentan gibt es nur Tests für monogene Erkrankungen. Wenn man weiß, dass man das Gen für Huntington (Veitstanz, Anm. d. Red.) hat, ist aber noch lange nicht sicher, wann und ob man daran erkrankt. Das gleiche gilt für Brustkrebs, das kann morgen passieren, nächste Woche oder nie. Bei den meisten Krankheiten sind verschiedene Gene im Spiel. Auch Umweltfaktoren spielen eine große Rolle.

die furche: Viele fürchten, dass die Ergebnisse von Gen-Screenings in falsche Hände gelangen könnten, beispielsweise in jene von Versicherungen ...

Francke: Missbrauch ist sehr schwer zu verhindern, denn wenn Daten in irgendeinem Computer gespeichert sind, gibt es Hacker, die sie sich irgendwie verschaffen können. Bei uns in Amerika liegt eine Gesetzgebung im Kongress vor, die genetische Daten besonders schützen soll. Die Frage ist aber, was überhaupt genetische Daten sind. Auf der einen Seite sind das Test-ergebnisse, die man im Labor erhält, auf der anderen Seite enthält auch eine Familien-Anamnese genetische Daten. Die Versicherungen haben schon immer gefragt: Woran sind ihre Eltern gestorben? Solche Anamnesen waren schon bisher nicht geschützt.

die furche: Gentests machen vielen auch Angst vor einem deterministischen Menschenbild. Wie sehr beeinflussen die Gene etwa das Verhalten?

Francke: Stärker, als wir früher geglaubt haben. Das konnten wir bei eineiigen Zwillingen feststellen. Trotzdem sie unterschiedlich aufgewachsen sind, haben sie ähnliche Entscheidungen getroffen.

die furche: Die großen Pharmafirmen stellen für dier Zukunft individuelle Therapien nach vorherigem Gentest in Aussicht. Glauben sie solchen Prophezeiungen?

Francke: Das Ganze wird etwas hochgespielt, denn das Gebiet der Pharmakogenetik gibt es schon seit 20 Jahren. Man hat Proteine untersucht, die wichtig sind, um Medikamente zu inaktivieren oder zu aktivieren. In den Genen für diese Proteine gibt es nun von Mensch zu Mensch Varianten - man spricht hier vom "Single Nucleotide Polymorphism" (SNP). Manche Menschen können nicht so gut inaktivieren und reagieren überempfindlich. Andere können sehr schnell inaktivieren: Sie nehmen eine Pille, doch diese hat keinen Effekt. Man weiß, dass 30 Prozent der Bevölkerung Probleme haben mit Medikamenten, die ständig verwendet werden: etwa das Schmerzmittel Codein, viele Antidepressiva oder Medikamente zur Förderung der Blutgerinnung. Doch kein Mensch ist daran interessiert, solche Tests anzubieten.

die furche: Sie glauben also nicht an die Vision vom maßgeschneiderten Medikament?

Francke: Ich halte das für unwahrscheinlich. Es gibt keinen, der das bezahlen würde. Die Pharmafirmen wollen Medikamente auf den Markt bringen, die für alle gut sind, und nicht solche, die nur bei einem bestimmten Prozentsatz wirken.

die furche: Die Umbrüche in Humangenetik und Biotechnologie schüren immer mehr Misstrauen. So ist etwa der römische Fortpflanzungsmediziner Severino Antinori noch immer willens, den ersten Menschen zu klonen.

Francke: Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird. Man nimmt dabei den Zellkern einer differenzierten Zelle, in der ganz bestimmte Genexpressions-Muster etabliert sind. Beim Klonen aber verpflanzt man den Zellkern in eine Eizelle, in der sich der Kern normalerweise darauf vorbereitet, einen Embryo hervorzubringen. Man verlangt also vom Kern, dass er sich innerhalb von Minuten oder Stunden total umstellt - und das funktioniert nicht. Alle Säugetiere, die inzwischen geklont wurden, sind ja nicht normal. Man würde nicht voraussagen können, ob ein Kind überhaupt lebensfähig ist, funktionelle Abnormalitäten oder Missbildungen aufweist. Da kann alles Mögliche schiefgehen.

die furche: Sie bereiten als Humangenetikerin die Informationen auf, derer sich die Biotechnologie bedient. Haben Sie sich eine ethische Grenze gesetzt, die sie nicht überschreiten würden?

Francke: Das Klonen von Menschen würde ich ablehnen.

die furche: In Deutschland sorgt gerade die Präimplantationsdiagnostik für Kontroversen. Wie stehen Sie dazu?

Francke: Für Genetiker ist das natürlich eine große Chance. Wir können Diagnosen stellen und die Eltern beraten, aber wir können noch nicht kausal behandeln. Das würde erfordern, dass man den Krankheitsprozess genau versteht und irgendwo eingreifen kann, doch bei den meisten Krankheiten ist das noch nicht der Fall. Die andere Möglichkeit, die es schon seit 20 Jahren gibt, ist die Pränataldiagnose mit Abtreibung, doch das ist nicht nur für religiöse Menschen inakzeptabel, sondern auch bei Krankheiten, die erst im Erwachsenenalter auftreten. Bei der Präimplantationsdiagnostik dagegen hat man ohnehin zu viele Embryonen. Wenn man diese untersucht und nur jene ohne Gendefekt implantiert, wäre das ideal, um die Weitergabe von Krankheiten zu verhindern.

die furche: Das bedeutet Selektion ...

Francke: Ja, in gewisser Weise: Die Eltern haben ja eine Menge Embryonen produziert - oder jemand für sie im Reagenzglas -, und nun werden die Embryonen daraufhin untersucht, ob sie einen bestimmten Gendefekt aufweisen. Das bedeutet natürlich nicht, dass es eine Garantie für ein gesundes Kind gibt. Man betrachtet ja nicht das ganze Genom, sondern nur jenes Gen, von dem man weiß, dass die Familie hier ein erhöhtes Risiko trägt.

die furche: Sie fordern einen internationalen Konsens über ethische Richtlinien in der Humangenetik. Wie könnte dieser Konsens aussehen?

Francke: Indem die Humangenetiker ein Dokument verfassen und klären, was für sie vertretbar ist und was nicht. Diese Richtlinien müssten die humangenetischen Gesellschaften ihren Regierungen vorlegen. Wir brauchen Gesetze, die das regulieren.

die furche: Trotz aller ethischen Probleme sind Humangenetik und Biotechnologie boomende Forschungszweige. So wird die EU von 2003 bis 2006 zwei Milliarden Euro in diesen Bereich investieren. Wie groß werten Sie die Chancen Europas, vorne mitzumischen?

Francke: Deutsche, Engländer und Franzosen haben ja bereits zur Sequenzierung beigetragen. Aber an den funktionellen Studien, die jetzt anstehen, kann sich jeder beteiligen. In Österreich passiert hier schon einiges, doch noch gibt es in Wien gar kein Ins-titut für Humangenetik. Das Genom birgt jedenfalls riesige Mengen an Information. Hier ist Platz für viele.

Das Gespräch führte Doris Helmberger Zur Person: Eine Frau in heikler Mission Dass ihr Kalifornien einmal Heimat sein würde, hätte sie sich wohl nicht gedacht. 1942 als Tochter eines Juristen und einer Lehrerin im deutschen Idstein im Taunus geboren, wollte sie "einfach anderen Leuten etwas Gutes tun". Nach dem Medizinstudium in Frankfurt, Marburg und München ging sie gemeinsam mit ihrem Mann, einem Österreicher, in die USA und absolvierte die Ausbildung zur Fachärztin für Kinderheilkunde im Childrens Hospital in Los Angeles. 1970 erwachte schließlich ihr Interesse für die Genetik. Nach Assistenzprofessuren an den Universitäten San Diego und Yale wurde Francke 1989 Professorin für Pädiatrie und Genetik an der Universität in Stanford/California. Mit ihrer Entdeckung des Auslösergens für das Rett-Syndrom, eine Autismus-ähnliche, fortschreitende Demenz-Erkrankung, die nur bei Mädchen auftritt, erlangte sie 1999 weltweite Anerkennung. Im selben Jahr wurde sie zur Präsidentin der American Society of Human Genetics gewählt. Seit 2000 steht sie nun an der Spitze der International Federation of Human Genetics Societies. Mit Wehmut blickt Francke an die wissenschaftlichen Methoden am Beginn ihrer Karriere zurück: "Heute sitze ich die ganze Zeit am Computer."

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