Misstraut den politisch Korrekten!

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Just zu dem Zeitpunkt, wo Politik ihre Basisaufgaben immer weniger wahrnimmt, blüht die Political Correctness. Der Verdacht drängt sich auf, diese diene primär als Politikersatz, als Ablenkungsmanöver und Beruhigungspille für den von Abstiegsängsten geplagten Mittelstand. - Notizen zur gefährlich fortschreitenden Entpolitisierung des Politischen.

Der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg will nach seiner Ausweitung des Rauchverbots in Parks nun den Verkauf von übergroßen Limonadebehältern verbieten. Die Grünen-Chefin Eva Glawischnig forderte letztes Jahr ein Verbot von Zigarettenautomaten. Und die Stadt Graz beschloss kürzlich ein Alkoholverbot in der Grazer Innenstadt. Auch Fettsteuern und andere Bestrafungen eines ungesunden Lebensstils werden von fürsorglichen Politikern formuliert und angedacht. Der Bürger zeigt sich dankbar und demütig, dass die Politik nun auch sein Privatleben regeln will. Schließlich fehlen durch die anhaltende Krise der Kleinfamilien, die schwindende Autorität von Lehrern und die zunehmende Entkirchlichung heute glaubwürdige Instanzen, die dem Einzelnen noch zeigen können, wo es langgeht und wie sich Herr und Frau Österreicher im Alltag korrekt verhalten sollen. Gottlob übernehmen selbstlose Politiker diese undankbare, nie abschließbare Kärrnerarbeit der Konditionierung unseres Über-Ichs.

Reglementierung des Alltags

Eine weniger affirmative Lesart gegenwärtiger hegemonialer politischer Kulturen und Usancen könnte allerdings ketzerisch fragen, woher die prohibitiven Tendenzen der Politik kommen und wer die Nutznießer dieser Entwicklungen sind. Der gesellschaftliche Trend zur Reglementierung des Alltags und des richtigen Sprachgebrauchs schwappte wie so viele politische Moden - Cross Border Leasing, Kreditvergabe ohne Sicherheiten - aus den Vereinigten Staaten von Amerika unter dem Schlagwort Political Correctness (PC) nach Europa über. Unter diesem Begriff firmieren diverse Sprachregelungen wie geschlechterkorrekte Ansprache oder Konzepte wie positive Diskriminierung und Förderung von Diversität.

Für Befürworter dient PC als emanzipatorische Popularisierungsmaschine, die aus einer Position der Schwäche zum Einsatz kommt. PC als Sprachrohr der ehedem Sprachlosen stellt ein wirksames Werkzeug zur Herstellung von Gegenöffentlichkeiten dar. Roma und Sinti, HIV-Kranke, Gehörlose - jede benachteiligte Gruppe fand nun ein Ventil, um öffentlich auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Anfänglich belebte und hob PC durchaus die Qualität der politischen Kultur; niemand käme heute mehr auf die Idee, in Parlamenten wie noch in den 1990er-Jahren frauenfeindliche Herrenwitze (Stichwort Lutschaffäre) zu erzählen, zumal die Öffentlichkeit mittlerweile Übertretungen des guten Geschmacks scharf - das heißt mit Verlust des Broterwerbs und Zerstörung der bürgerlichen Existenz - sanktioniert.

Für Gegner der PC, meist Parteigänger der Neuen Rechten, führt PC aber nicht zu einer Befreiung der Gesellschaften, sondern hat im Gegenteil zu einer Beschneidung der Meinungsfreiheit des Einzelnen geführt. Korrektes Sprechen begünstige lediglich ein Klima des Vernaderns, ja des Tugendterrors, und der einfache Bürger dürfe für jedermann sichtbare Fehlentwicklungen unser Gesellschaft nicht mehr aussprechen. Diese neuartige Zensur lähme die westlichen Demokratien, und überhaupt seien die Neuen Rechten - allen voran Heinz-Christian Strache, der sich und die Besucher des WKR-Balls kurzerhand selbst zu einer bedrohten und verfolgten Minderheit hochstilisierte - die wahren Opfer der Gesellschaft.

Hang zur Selbstviktimisierung

Rechte wie Linke, Alte wie Junge, Frauen wie Männer, Autochtone wie Migranten - irgendwie sind heute alle Opfer der gesellschaftlichen Umstände. PC als Sprachspiel hat dazu geführt, dass sich immer mehr Bürger und Gruppen als tatsächliche und vermeintliche Opfer fühlen und inszenieren. Diese bedenkliche Entwicklung weisen die beiden Wiener Journalisten Matthias Dusini und Thomas Edlinger in ihrem aktuellen Buch "In Anführungszeichen“ (edition suhrkamp) anhand zahlreicher Fallbeispiele nach. Darauf aufbauend formulieren sie die These, dass sich heute de facto und de jure jeder Bürger diskriminiert fühlen kann. Verschiedenste Opfergruppen führen einen erbitterten Wettstreit um die Poleposition der strukturell am heftigsten Benachteiligten. Wird die alleinerziehende Lesbe oder der Opus-Dei-Anhänger mehr diskriminiert?

Dieser Hang zur Selbstviktimisierung erfolgt nun just zu jenem Zeitpunkt, wo die Politik ihre Basisaufgaben - Infrastruktur, Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, Vollbeschäftigung, funktionierender Sozialstaat - augenscheinlich immer weniger wahrnimmt. Ketzerisch formuliert könnte man fragen, ob die Politik die kostengünstige Rolle der Gouvernante umso nachdrücklicher für sich beansprucht je unfähiger sie ist, Antworten auf die volkswirtschaftlichen Probleme unserer Zeit zu finden. Wird PC also als Beruhigungspille und Vehikel eingesetzt, um symbolisches Kleingeld und Wählerstimmen mit Sprachregelungen und der Normierung gesellschaftlichen Verhaltens abzuschöpfen? Ist PC Ablenkungsmanöver und Sedativum für den von Abstiegsängsten geplagten Mittelstand, der wenigstens gesund essen will, wenn die Politik keine optimistischen Zukunftsbilder und die Religion keine Antworten auf transzendente Sehnsüchte mehr bieten kann?

PC-Fürsprecher sind meist Vertreter des postmaterialistisch sozialisierten Mittelstandes, die glauben, in Vollkornbroten für die Unterschicht und Feinstaubobergrenzen erschöpfe sich Politik. Anstatt ständige neue imaginierte Diskriminierungsopfer aufzustöbern, ist es an der Zeit, sich den konkreten, ungelösten Problemen Europas zuzuwenden: Massenarbeitslosigkeit, Reallohnverluste sowie die Prekarisierung großer Bevölkerungsteile wären Ansporn genug. Es kann nicht sein, dass die sozialen Marktwirtschaften ihren Kampf um ökonomische Teilhabe möglichst aller am gesellschaftlichen Reichtum zugunsten einer massenmedialen orientierten Symbolpolitik opfern. Das von allen gesellschaftlichen Normen befreite Ich wird von der Teilhabe am Erwerbsleben befreit. Die Moral hat das Fressen ersetzt. Das hilft dem Heer der Ausgestoßenen wenig beim Bezahlen von Miete und Essen. Vielleicht erklärt das die vielbeschriebene und doch kaum verstandene Politikverdrossenheit der Wähler. Was ist das für eine Politik, wo die Bürger zwar das Recht haben, Müll zu trennen, aber nicht länger das Recht auf eine kündigungssichere Fixanstellung? Leistbarer Wohnraum wird weniger, aber dafür wird der Bürger auf Hinweisschildern in den U-Bahnen genderkorrekt angesprochen. Welch ein Fortschritt!

Billige Punkte für Politiker

PC verbinde ich daher weniger mit Zensur, Bevormundung oder Befreiung, sondern vor allem mit einer gefährlichen Entpolitisierung des Politischen. Sicher - PC bringt billige Punkte für Politiker: Man kann schließlich bequemer stundenlang in Parlamenten über Rauchverbote, Glühbirnenverbote, geschlechtsneutrale Bundeshymnen und Quotenregelungen debattieren als einen nachhaltigen ökonomischen Wohlstand zu verwirklichen. Das bringt Auflage, tut den Mächtigen nicht weh, erregt den Stammtisch wie Berufsempörte und blendet elegant das Verschwinden des Politischen aus. Welche ökonomischen und gesellschaftlichen Kräfte profitieren nun aber vom bislang von den Parteien unwidersprochenen Siegeszug des PC-Diskurses?

Der Autor leitet den Bereich Public Affairs in der Politischen Akademie der ÖVP

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