"Mit den Jungen in einer Front"

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Es gibt immer mehr "junge Alte" und das Pensionistenleben dauert immer länger. Trotzdem wird das Alter diskriminiert. Karl Blecha will erreichen, daß das Alter noch im Jahre 2000 in die Liste der Diskriminierungsverbote in der österreichischen Bundesverfassung aufgenommen wird.

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Es gibt immer mehr "junge Alte" und das Pensionistenleben dauert immer länger. Trotzdem wird das Alter diskriminiert. Karl Blecha will erreichen, daß das Alter noch im Jahre 2000 in die Liste der Diskriminierungsverbote in der österreichischen Bundesverfassung aufgenommen wird.

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dieFurche: Sie sind nunmehr Präsident des SPÖ-nahen Pensionistenverbandes. Ist das ein politisches Ausgedinge oder wollen Sie wieder gestaltend in der Politik mitmischen?

Karl Blecha: Es ist ganz klar, daß man als führender Vertrauensmann dieser Organisation, gestützt auch durch das Bundesseniorengesetz 1998, gestaltend in die Politik eingreift, und zwar für eine Menschengruppe, die immer stärker und größer und in der Gesellschaft bedeutender wird.

dieFurche: Nun sind die Probleme dieser Gruppe ökonomisch eng mit denen der Gesellschaft verklammert. Kann man sie überhaupt unabhängig davon erörtern, daß der Arbeitsmarkt die Finanzierung des Sozialsystems zunehmend erschwert?

Blecha: Überhaupt nicht. Man kann die Pensionen nur sichern, wenn man sich darum kümmert, daß Stabilität herrscht, daß die Wirtschaft wächst, die Beschäftigungspolitik den Jungen tatsächlich Jobs verschafft und der Geldwert halbwegs stabil bleibt. Das alles sind politische Anliegen. Die Probleme der älteren Generation sind die Probleme der ganzen Gesellschaft.

dieFurche: Sie haben vor einiger Zeit in einer TV-Sendung geäußert, die Aufbringung der Arbeitgeberanteile zur sozialen Sicherheit werde auf Dauer nicht wie bisher möglich sein. Was haben Sie damit gemeint?

Blecha: Es geht um die Sicherung des gesamten sozialen Systems. Daß die Lohn- und Gehaltssumme die einzige Bemessungsgrundlage für die Beiträge zur Sicherung des Sozialsystems darstellt, wird mit der Zeit absurd. Sie muß für die Finanzierung der Pensionen herhalten, für die Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung, für den Familienlastenausgleichsfonds, die Wohnbauförderung, die Kommunalabgaben - überall geht es nach der Lohn- und Gehaltssumme. Dabei leben wir in einer Wirtschaft, in der die Wertschöpfung immer mehr von den kapitalintensiven Betrieben und immer weniger von den lohnintensiven herrührt. Daraus ergibt sich für mich: Zur Finanzierung des sozialen Systems ist eine Wertschöpfungsabgabe unerläßlich. Dabei möchte ich aber nicht mit den Beiträgen zur Pensionsversicherung anfangen, sondern mit dem Familienlastenausgleichsfonds. Das war mein Vorschlag. Der andere Block ist die Arbeitslosenversicherung. Im Strukturwandel, in dem wir uns befinden, werden Arbeitsplätze wegrationalisiert und viele Unternehmen machen ihre sehr großen Gewinne nicht zuletzt eben dadurch, daß sie weniger Leute beschäftigen. Damit habe ich schon zwei Bereiche, in denen ich die Lohnnebenkosten senken kann. Ich meine, daß wir ein Mischsystem brauchen. Lohn- und Gehaltssumme bleiben die Basis für wichtige Teile des Sozialsystems, aber es soll auch wertschöpfungsbezogene Elemente geben. Ich denke aber auch an die Gewinne, an die Abschreibungen, die Investitionen, alle letztlich die Wertschöpfung bewirkenden Faktoren.

dieFurche: Die Gewinne werden heute freilich manipuliert, indem man sie dorthin verschiebt, wo sie ungeschoren bleiben. Wären die Gewinne als Basis für Sozialabgaben nicht problematisch?

Blecha: Damit schneiden Sie einen wichtigen Punkt an. Aber man kann wertschöpfungsbezogene Finanzierungsformen ohnehin nicht in einem einzigen Industrieland durchsetzen. Das ist nur auf europäischer Ebene möglich. Es ist mir gelungen, beim Kongreß der Föderation der europäischen Pensionistenorganisationen einen einstimmigen Beschluß herbeizuführen, die Wertschöpfungsabgabe in allen 15 Mitgliedsländern der EU zu fordern. Es ist einfach nicht mehr einzusehen, daß für die Finanzierung der sozialen Sicherheit bis hin zur Wohnbauförderung ausschließlich nur noch Löhne und Gehälter herangezogen werden und die kapitalintensiven Betriebe fast nichts mehr zur sozialen Sicherheit beitragen.

dieFurche: Wieso hat diese Erkenntnis so lange auf sich warten lassen?

Blecha: Es gibt viel Unerklärliches in unserer Gesellschaft. Ich kann nur daran erinnern, daß der vor zehn Jahren durch einen schrecklichen Unfall ums Leben gekommene Sozialminister Dallinger dem Ministerrat und dem Parlament fixfertige Gesetzentwürfe zugeleitet hatte.

dieFurche: Stichwort Maschinensteuer.

Blecha: Das war natürlich eine mißverständliche Bezeichnung. Dallinger hat das gesamte System umstellen wollen, weg von der Lohn- und Gehaltssumme. Nach seinem Tod wurde das fallengelassen. Die Unternehmen haben dagegen mit einem Argument gekämpft, das man nicht so leicht vom Tisch wischen kann: Eine solche Maßnahme würde einen Wettbewerbsnachteil bedeuten.

dieFurche: Das gilt aber doch nur für die kapitalintensiven Betriebe. Alle arbeitsintensiven Wirtschaftszweige hätten einen Wettbewerbsvorteil.

Blecha: Das kapitalistische Amerika besteuert das Kapital mit fast 50 Prozent und die Arbeit mit 25 Prozent. In Österreich ist es fast schon umgekehrt.

dieFurche: Wie bringt man als Pensionistenorganisation solche Dinge ins politische Spiel? Die Älteren sind ein wachsender Teil der Wähler, man hat aber nicht den Eindruck, daß sich dies in der Politik besonders auswirkt.

Blecha: Ich versichere Ihnen, man wird es merken. Die ältere Generation wurde nicht nur in Österreich lang als arm, kränklich und hilfsbedürftig an den Rand gedrängt und politisch entmündigt. Inzwischen hat sich auch ihr Erscheinungsbild geändert. Wir haben heute eine Gruppe junger, aktiver Alter, die relativ früh in Pension gehen und ein langes Pensionistenleben vor sich haben, weil sie die nötigen Versicherungszeiten erworben haben oder von der Wirtschaft in die Pension geprügelt werden. Dadurch haben wir eine beträchtliche Gruppe junger, aktiver, besser gebildeter, gesünderer Alter als früher. Aber auch die Siebzig- und Achtzigjährigen sind, das zeigen viele Untersuchungen, psychisch und physisch viel besser beisammen als noch vor zehn Jahren. Und dann haben wir natürlich immer mehr Hochbetagte, die in hohem Ausmaß pflegebedürftig sind. Das Problem, das mir wirklich Sorgen bereitet, ist ihre medizinische Versorgung.

dieFurche: Können wir mit den Frühpensionen so weitermachen oder werden wir länger arbeiten müssen?

Blecha: Ja, aber ich halte die Diskussion um die Hinaufsetzung des Pensionsalters für völlig blöd, wenn die überwältigende Mehrheit das gesetzliche Pensionsalter gar nicht erreicht. Zuerst müssen wir alles tun, um das faktische Pensionseintrittsalter wieder an das gesetzliche heranzuführen. Vor 40 Jahren hatten wir bei den Männern ein durchschnittliches Pensionseintrittsalter von 63 Jahren - heute, wo wir um so vieles gesünder und länger leben, von 57 Jahren.

dieFurche: Das ist aber doch Ausdruck der Tatsache, daß die Lohnarbeit knapp wird.

Blecha: Andererseits wird Erfahrung immer wichtiger. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Industriestaat wie Österreich auf Erfahrung und Wissen der Älteren so mir nix, dir nix verzichten kann. Gleitmodelle oder Modelle wie das Solidarmodell des Sozialministeriums, bei dem ein in die Pension gleitender Arbeitnehmer seine Erfahrung an einen jüngeren, noch nicht voll Beschäftigten weitergibt, markieren den richtigen Weg. Auf vielen Reisen in den Mittleren Osten konnte ich eine sehr hohe Wertschätzung österreichischer Produkte feststellen. Damals sagte man mir: Österreich ist teuer, aber österreichische Anlagen halten länger. Heute sagt man uns: Ihr seid noch immer teuer - aber der Qualitätsunterschied ist nicht mehr da. Leider stimmt es. Nicht zuletzt, weil man bereits auf Erfahrung, Wissen und Sorgfalt von 54-, 55-, 56jährigen verzichtet.

dieFurche: Gilt das auch in der Politik?

Blecha: Die Übereinstimmung zwischen der jüngeren und der älteren Generation ist enorm. Daher wollen wir gemeinsam vorgehen. Wir unterstützen vorbehaltlos die Neuverteilung der Lebenseinkommen auf die Lebensalter ohne Schmälerung. Es geht nicht an, daß die Menschen, wenn sie Wohnungen finanzieren und Kinder aufziehen, mit niedrigen Gehältern ins Berufsleben einsteigen und die Älteren für den Arbeitgeber so teuer werden, daß er sie hinauswirft. Wir stehen als Opfer des Systems mit den Jungen in einer Front.

dieFurche: Was nehmen Sie sich als Nächstes vor?

Blecha: Wir konnten vor allem im Konsumentenschutz bereits einiges erreichen, zum Beispiel konnten wir die Klagslegitimation des Seniorenrats gesetzlich verankern und die Kostensteigerung bei den Pensionskonten zum Thema machen. Jetzt verlangen wir die Aufnahme des Alters in die Liste der Diskriminierungsverbote in der Bundesverfassung. Das Geschlecht ist selbstverständlich drinnen, die ethnische Herkunft, Religion und Gesinnung, warum nicht das Alter? Ich verstehe nicht, daß die Parteien nicht sofort aufspringen und rufen: Klar, das machen wir! Jetzt kommt die Nagelprobe, im Jahr 2000 wollen wir das in der Verfassung. SPÖ und ÖVP haben es vor den Wahlen versprochen, und falls die beiden anderen Parlamentsparteien eine solche Verfassungsbestimmung an der Zweidrittelmehrheit scheitern lassen sollten, wird es für sie mit Sicherheit nicht gut sein.

Das Gespräch führte Hellmut Butterweck Zur Person Aus der Sozialforschung in die Politik und zurück Karl Blecha, geboren 1933, gründete 1963 das Institut für empirische Sozialforschung (Ifes). Ab 1970 sozialdemokratischer Nationalratsabgeordneter, wechselte er 1975 als Zentralsekretär der SPÖ in die Politik. Nach seiner sechsjährigen Tätigkeit als Innenminister (1983 bis 1989) kehrte er in die empirische Sozialforschung zurück und gründete das auf Studien in den zentraleuropäischen Ländern des ehemaligen Ostblocks spezialisierte Mitropa-Institut für Sozial- und Wirtschaftsforschung, als dessen Chef und Teilhaber er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1998 fungierte. Im Frühjahr 1999 als Präsident des Pensionistenverbandes designiert und seit 1. November voll in dieser Funktion tätig, will der jüngst wieder Vater gewordene typische junge Alte "Charly" Blecha die Finanzierung des Sozialsytems zumindest teilweise auf eine neue Basis stellen.

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