Mit der Kaffeekanne GEGEN ISLAMISMUS

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Präventionsarbeit gegen islamistische Radikalisierung ist das Schlagwort der Stunde. Mit interdisziplinären Projekten will man ein Gefahrenpotenzial frühzeitig erkennen.

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Präventionsarbeit gegen islamistische Radikalisierung ist das Schlagwort der Stunde. Mit interdisziplinären Projekten will man ein Gefahrenpotenzial frühzeitig erkennen.

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Ist es mehr als pubertäre Rebellion, wenn ein Schüler keine Schularbeiten mehr macht, weil Prophet Mohammed auch keine geschrieben hat? Ist Gefahr im Verzug, wenn sich ein Bekannter plötzlich fünfmal am Tag zum Beten zurückzieht? Insgesamt 1.510 Mal klingelten seit der Gründung im Dezember 2014 die Telefone der bundesweiten "Beratungsstelle Extremismus". Die größte Sorge der Anrufer: Verdacht auf islamistischen Fundamentalismus.

"Es herrscht in Sachen Dschihadismus ein Über-Alarmismus", weiß Verena Fabris, die Leiterin der Beratungsstelle, die neben telefonischen wie persönlichen Gesprächen auch Fort-und Weiterbildungsmöglichkeiten anbietet. "Oft sind IS-Äußerungen für Jugendliche nur eine gute Provokationsmöglichkeit, um Aufmerksamkeit zu erregen." Die Verunsicherung ist nicht nur angesichts der terroristischen Anschläge in Europa verständlich: Laut Innenministerium sind in diesem Jahr 280 Menschen, größtenteils im Alter zwischen 16 und 25 Jahren, als sogenannte "Foreign Fighters" aus Österreich nach Syrien oder in den Irak in den Krieg gezogen - 80 davon sind wieder zurückgekehrt.

Kampf um Zugehörigkeit

Generell scheint Experten zufolge die Radikalisierung unter Jugendlichen zuzunehmen -sowohl in Richtung Rechtsextremismus als auch Islamismus. Wie viele tatsächlich mit dem Gedankengut sympathisieren, dazu fehlen Zahlen -noch. Denn bis Dezember 2016 möchte das "Wiener Netzwerk zur Deradikalisierung und Prävention" unter der Koordination der Wiener Kinder-und Jugendanwaltschaft anonym erfassen, wie viele in der Bundeshauptstadt betroffen sind und welche Gründe zu einer Radikalisierung führen. Dass vor allem unter muslimischen Jugendlichen die Suche nach Zugehörigkeit einen der Schlüsselfaktoren darstellt, lässt die Befragungsstudie "Der Kampf um Zugehörigkeit: Die Marginalisierung von Immigranten und das Risiko der Radikalisierung im Aufnahmeland" unter Beteiligung der Jacobs University aus Bremen vermuten. Je stärker sich die Interviewten diskriminiert fühlten und "den Verlust von persönlicher Bedeutung erfahren", desto eher waren sie gefährdet, in die Radikalisierung abzugleiten.

Muslime jetzt unter Generalverdacht zu stellen, wäre laut Experten freilich fatal. Fest steht jedoch, dass eine erhebliche Zahl muslimischer Jugendlicher für sich kaum Integrationschancen in der Gesellschaft sieht. Letzteres gilt insbesondere für Flüchtlinge: "Sie sind aufgrund ihrer Situation -möglicher Identitätskonflikte oder Traumatisierungen -besonders anfällig für Radikalisierung", heißt es im kürzlich präsentierten Integrationsbericht des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA).

Auch die Beratungsstelle Extremismus kann das bestätigen. Hatten bis dato vor allem Angehörige, Lehrer und Jugendarbeiter die Nummer der Hotline gewählt, griffen in den letzten Monaten verstärkt Betreuer von Flüchtlingseinrichtungen zum Hörer. Angesichts des Rekordwerts bei Asylanträgen, die 2015 dreimal so viele waren wie im vergangenen Jahr, und der wachsenden Anzahl an Quartieren, ist für Verena Fabris dieser Anstieg leicht erklärbar. Auch die Themen sind keine Überraschung und ähneln denen von besorgten Eltern: "Der Klient zieht sich zurück, wird auffällig oder ist gewaltbereit", so die Expertin, "wir zeigen auf, welche Strategien es gibt, mit dem Klienten in Kontakt zu bleiben." Außerdem arbeitet die Beratungsstelle mit diversen Organisationen -von Männerberatung bis therapeutischen Einrichtungen -zusammen. "Wir helfen auch festzustellen, wann es sinnvoll ist, den Verfassungsschutz zu involvieren. Sofort die Sicherheitsbehörden einzuschalten, kann kontraproduktiv und im schlimmsten Fall eine Bestätigung für die Rebellion des Jugendlichen sein", warnt Fabris. "Besser ist es, uns bei Unsicherheit anzurufen." Früherkennung und Prävention sind die einzig effektiven Maßnahmen gegen Radikalisierung, sind sich Politik sowie Experten einig. Es braucht einen "gesamtgesellschaftlichen Ansatz", wird im Integrationsbericht betont. Dementsprechend setzen Initiativen und Projekte in ganz Österreich auf präventive Maßnahmen im sozialen Umfeld: in Familie, Schule und Bildungseinrichtungen, in Gefängnissen -und wie das oberösterreichische Projekt "Kompetenz- und Lagezentrum Migration"(KLM) - seit Kurzem auch in Flüchtlingseinrichtungen.

Prävention bei Flüchtlingen

Mit rund 500 Grundversorgungsstellen für zirka 14.000 Asylbewerber hat sich die Anzahl der Quartiere im letzten Jahr in Oberösterreich verdreifacht. Um da nicht den Anschluss zu verlieren, haben die 180 Beamten des fremdenpolizeilichen Diensts seit 1. Juni eine weitere Aufgabe: Jedem sind bis zu vier Grundversorgungseinrichtungen zugeteilt worden, mit deren Betreibern oder Betreuern sie 14-tägig persönlich in Kontakt treten. Dadurch erhofft man sich, Konfliktpotenzial zu erkennen und frühzeitig dagegen wirken zu können. Das Projekt, über dessen Weitergehen im Oktober entschieden wird, soll den Polizeidienststellen außerdem Informationen über die Sicherheitslage vor Ort sowie einen Gesamtüberblick für die Sicherheitsbehörden in Oberösterreich liefern. "Wir sind aber keine Geheimpolizei", stellt Bezirksinspektor Roland Rieder klar, der mit 15 Kollegen in der Polizeiinspektion Traun im Projekt arbeitet. "Wir suchen nicht wie Trüffelhunde so lange, bis wir etwas gefunden haben. Wir möchten für den Betreiber nur ein Rückhalt in Sicherheitsbelangen sein."

Während manche der NonprofitOrganisationen diese Intention noch mit Vorsicht beäugen, wird sie bei anderen willkommen geheißen. "Es ist eine sehr gute Idee, dass unsere Betreuer mit dem zuständigen Beamten vertraut sind und dadurch der Austausch besser funktioniert", meint Christian Hrubes, Koordinator der 46 Grundversorgungsstellen des "Roten Kreuzes". Einen Anstieg in puncto Radikalisierung hat er zwar nicht bemerkt, aber das Projekt sei eine gute Präventionsmöglichkeit: "Es gibt kein Rezept, Radikalisierung zu erkennen, aber jetzt können wir uns mit einem KLM-Beamten austauschen und so den Klienten besser begleiten sowie zurückholen", lautet seine Hoffnung. "Einen Ansprechpartner in Uniform zu haben ist besser, als anonym bei einer Polizeistation anrufen zu müssen." Dabei geht es längst nicht nur um das Erkennen von radikalen Tendenzen, sondern auch um andere Konfliktsituationen. Wenn etwa zwei Bewohner einen anderen unter Verdacht haben, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. "Wir stellen dann gern den Kontakt zum KLM-Beamten her und unterstützen unsere Klienten im Gespräch, geben aber selbst keine Informationen weiter", betont Hrubes. Wenn es allerdings zu strafbaren Handlungen wie Suchtmittelmissbrauch kommt, gebe es eine Null-Toleranz-Politik.

Besserer Draht zur Polizei

Der Kontakt zwischen Flüchtlingsquartieren und Polizei, auf den auch in Wien und Tirol verstärkt gesetzt wird, soll sich darüber hinaus positiv auf die Integration auswirken und verhindern, dass Feindbilder entstehen. "Unsere Klienten erleben, dass man mit der österreichischen Polizei normal reden kann", bringt es NGO-Mitarbeiter Hrubes auf den Punkt. "Sie können ihre Angst verlieren und so Vertrauen aufbauen." Letzteres gilt für beide Seiten. Denn dass die Ressentiments gegenüber der Polizei bei Asylbewerbern aufgrund ihrer Geschichte nicht von ungefähr kommen, ist auch für KLM-Beamte im Umgang mit den Betroffenen wichtig zu verstehen.

Den Trauner Polizisten etwa hat ein afghanischer Asylbewerber in einem der betreuten Quartiere vor kurzem mittels Powerpoint-Präsentation gezeigt, welche Qualen seine Volksgruppe zu ertragen hat. "Da ahnt man, was er uns gegenüber fühlen muss, wenn Leute öffentlich misshandelt werden und ein afghanischer Polizist steht rauchend daneben", sagt Bezirksinspektor Rieder, bei dem die grausamen Bilder Eindruck hinterlassen haben. Er hofft, dass die Asylbewerber in der Begegnung merken, dass es in Österreich anders ist: "Ja, bei Straftaten setzen wir Maßnahmen, aber wir sind nicht nur mit dem Schlagstock verbunden. Wir kommen auch auf einen Kaffee vorbei." Und auf diese Weise redet es sich ja bekanntlich leichter.

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