"Mit vielen Märchen aufgeräumt"

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Bernd Saletu, Psychiater und Leiter der Schlaflabore im Wiener AKH und im Rudolfinerhaus, über die Irrtümer Sigmund Freuds, die "Heimat" des Traums in den REM-Phasen - und ungewöhnliche Therapien gegen Alpträume.

Die Furche: Der Traum ist nach Freud ein Selbstreinigungsprozess der Seele. Inwiefern hat die moderne Schlafforschung diese Vorstellung relativiert?

Bernd Saletu: Das wurde ganz wesentlich relativiert. Freud hat ja keinerlei Technologien zur Verfügung gehabt. Außerdem hat er sehr wenige "Fälle" untersucht - und auch keine gesunden Personen. Wenn ich heutzutage eine Studie mit neun Probanden vorstellen würde, würde man mich ausbuhen. Ganz markant ist, dass Freud den Traum als "Hüter des Schlafes" verstanden hat. Unsere eigene Forschung zeigt aber, dass man gerade aus dem traumintensiven rem-Stadium (benannt nach den "Rapid Eye Movements", die diese Phase charakterisieren, Anm. d. Red.) am häufigsten erwacht. Das ist das Ergebnis unserer umfangreichen Normdatenbank, für die wir im internationalen Projekt "Siesta" 200 gesunde Menschen im Schlaflabor untersucht haben

Die Furche: Warum träumen wir?

Saletu: Damit wir unser Gedächtnis konsolidieren. Im rem-Stadium wird alles umgestellt: Unsere Herztätigkeit, unsere Atemtätigkeit, unser Hormonhaushalt. Wir sind aber noch am Erforschen, welche Bedeutung jedes einzelne Schlafstadium hat - neben dem rem-Schlaf gibt es ja noch den Tiefschlaf, das mitteltiefe Stadium, den "Spindel-Schlaf" und den Dämmerschlaf. Dieses Wissen explodiert gerade durch die Neurowissenschaften.

Die Furche: Wann erinnert man sich an Träume - und wann nicht?

Saletu: Wenn man aus einem rem-Schlaf aufwacht, hat man eine 60- bis 80-prozentige Wahrscheinlichkeit, sich zu erinnern. Beim Aufwachen aus einem Non-rem-Schlaf liegt die Wahrscheinlichkeit bei null bis 60 Prozent.

Die Furche: Man träumt also auch in den Nicht-rem-Phasen?

Saletu: Es gibt in allen Schlafstadien mentale Prozesse, denn das Gehirn "schläft" ja nicht. Aber was man normalerweise als Traum bezeichnet, passiert in der rem-Phase.

Die Furche: Wie viele REM-Phasen gibt es in einer Nacht?

Saletu: Drei bis fünf, die in Abständen von 90 Minuten wiederkommen - wobei der Österreicher durchschnittlich sieben bis acht Stunden schläft. Die Traumphasen machen beim Erwachsenen also etwa 20 Prozent aus. Das Neugeborene, das eine Schlafzeit von 16 Stunden hat, verbringt hingegen 50 Prozent im rem-Schlaf. Der Grund dafür ist, dass es beim rem-Schlaf vor allem um prozedurale Gedächtnis-Konsolidierung geht. Das Baby muss etwa noch lernen, wie man etwas zum Mund führt. Dagegen wird etwa Vokabel-Lernen eher im Nicht-rem-Schlaf konsolidiert.

Die Furche: Wir verarbeiten im Traum also das Gelernte?

Saletu: Wir speichern es ab. Vielleicht setzen wir uns auch damit auseinander, weil offenbar auch Tagphänomene in den rem-Schlaf hineingezogen werden. Auch Alpträume haben ja viel zu tun mit dem, was mich beunruhigt.

Die Furche: Der Traum ist also mehr als ein blindes "Neuronenfeuer" ...

Saletu: Es gibt natürlich Schlafwissenschafter, die sagen: Es ist nur Zufall, was im Traum abgerufen wird. Tatsächlich scheint es aber anders zu sein: Wir haben gerade mit Hilfe eines neuen bildgebenden Verfahrens, loreta (Low-Resolution Brain Electromagnetic Tomography), zeigen können, dass jene Hirnareale, die am Tag sehr aktiv mit einer Aufgabe beschäftigt waren, auch in der Nacht sehr aktiv sind. Deshalb sagen einige Skeptiker wieder: Es kommt nur darauf an, welches Erlebnis gerade "hochkommt". Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte.

Die Furche: Laut who gibt es 111 Schlafstörungen. Wie viele davon haben mit Träumen zu tun?

Saletu: Es gibt gewisse Schlafstörungen, die nur in der rem-Phase auftreten. Normalerweise tritt ja im Traumschlaf eine Muskelerschlaffung ein: Das hat der liebe Gott gut eingerichtet, sonst würden wir davon laufen. Aber wenn das gestört ist, kann es dazu kommen, dass man seine Bettpartnerin umbringt, weil man um sich schlägt und sie tödlich trifft.

Die Furche: Liegt diese Störung der Muskelerschlaffung auch bei Schlafwandlern vor?

Saletu: Schlafwandeln geschieht nicht im rem-Schlaf. Das war zwar die Vorstellung Freuds vom "acting out of dreams", aber die Schlafforschung hat auch mit diesem Märchen aufgeräumt. Schlafwandeln kommt genau nicht im Traumschlaf vor, sondern in tiefen Schlafstadien, wo die Kontrolle des Gehirns nicht immer so gegeben ist, dass diese Bewegungsautomatismen unterdrückt werden. Das kommt vor allem bei Kindern vor - wie das Bettnässen, bei dem der Harnreflex nicht unterdrückt wird.

Die Furche: Laut der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung, deren Präsident Sie waren, leiden vier Prozent der Österreicher regelmäßig unter Alpträumen. Sie unterscheiden davon den "nächtlichen Aufschrei". Inwiefern?

Saletu: Der "Pavor nocturnus", der vor allem bei Kindern vorkommt, tritt oft im ersten Drittel der Nacht auf, aus Tiefschlafphasen heraus. Wenn solche Kinder mit einem Schrei aufwachen, können sie aber kaum einen Trauminhalt angeben. Wenn, dann nur in Bruchstücken und in Schwarz-Weiß. Der Alptraum tritt hingegen im rem-Stadium auf und man kann daher meist erzählen, wovon man geträumt hat. Es gibt auch farbige Bilder.

Die Furche: Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Patienten, die unter Alpträumen leiden?

Saletu: Es gibt medikamentöse, psychologische und somatische Verfahren - etwa eine Schnarchschiene: Manchmal wird etwas ja als Alptraum empfunden, was rein körperliche Ursachen hat. Wenn man bei einer Apnoe, also einer Atempause von mehr als zehn Sekunden, auf Grund des Sauerstoffmangels hochfährt, dann glauben manche, sie hätten einen Alptraum gehabt. Um die tatsächliche Ursache abzuklären, müsste man den Patienten im Schlaflabor untersuchen. Den Blutdruck kann ich ja auch nicht erfühlen, sondern muss ihn messen. Wir bräuchten also viel mehr Ressourcen, schließlich leiden in Österreich rund 25 Prozent unter Schlafstörungen und eine Untersuchung im Schlaflabor kostet 900 Euro.

Die Furche: Zuletzt wurde auch das "Klarträumen" als Therapiemethode vorgestellt (siehe unten). Ist es tatsächlich möglich, bewusst in einen Alptraum einzugreifen?

Saletu: Das ist natürlich nicht selbstverständlich: Nur zehn bis 20 Prozent haben die angeborene Fähigkeit, klarzuträumen - sie wissen also während des Träumens, dass sie träumen und können auch eingreifen. Aber auch alle anderen können versuchen, es zu lernen. Ich selbst habe immer das Gefühl gehabt, dass ich fliegen kann. Und dann bin ich draufgekommen, dass es das eigentlich nicht gibt - und bin runtergefallen. Doch gleichzeitig habe ich gewusst, dass ich mir nicht wirklich weh tun kann. Es war also nur die Angst vorm Abstürzen.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

BUCHTIPP:

Was Sie schon immer über Schlaf wissen wollten. Von Bernd Saletu und Gerda M. Saletu-Zyhlarz. Ueberreuter, Wien 2005. 304 S., geb., e 14,95

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