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Was kommt nach der Familie? Immer vielfältigere und auch brüchigere Formen des Zusammenlebens, argumentiert die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim.

Die Berufswelt fordere immer mehr Mobilität und Flexibilität von den Menschen. Das bedinge auch immer brüchigere Beziehungen, meint Elisabeth Beck-Gernsheim.

Die Furche: Frau Professorin, Ihr neu aufgelegtes Buch stellt die Frage: Was kommt nach der Familie? Was folgt ihr also?

Elisabeth Beck-Gernsheim: Neue Lebensformen. Der Grundgedanke des Buches ist, dass wir zwar die alten Leitbilder weggesteckt haben, aber noch nicht wissen, wo die neuen Lebensformen hinführen sollen. An diesem Punkt gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen.

Die Furche: Welchen Unterschied?

Beck-Gernsheim: Der Unterschied ist, dass in den letzten Jahrzehnten ein tiefgreifender Wandel in den Lebensformen von Frauen stattgefunden hat und die Frauen das auch so wollen. Bei den Männern dagegen hat sich relativ wenig bewegt. Zugegeben, im Vergleich zu ihren Vätern und Großvätern übernehmen die jüngeren Männer deutlich mehr Familienarbeit. Aber im Geschlechtervergleich bleibt immer noch ein erhebliches Ungleichgewicht: Immer noch sind es die Frauen, die die Hauptverantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung tragen. Viele Männer finden diese Situation in Ordnung, während viele Frauen damit unzufrieden sind.

Die Furche: Warum ist das so?

Beck-Gernsheim: Eine wichtige Rolle spielen die Anforderungen in der Berufswelt. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist zwar ein hehres Leitbild der Politik. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? In immer mehr Berufsfeldern wird Mobilität und Flexibilität gefordert. Also mal schnell für ein Praktikum oder ein Fortbildungsseminar in eine andere Stadt – wer dazu nicht bereit ist, kann alle Hoffnungen auf Aufstieg vergessen. Aber was machen Sie mit Ihrem Kind solange? Und wie begeistert ist Ihr Partner/Ihre Partnerin, wenn Sie schon wieder weg sind? Hinzu kommt, dass die Arbeitsverträge immer kurzfristiger werden. Wenn ein Vertrag ausläuft, können Sie nicht wählerisch sein, sondern müssen dorthin ziehen, wo immer Sie einen Job kriegen können.

Die Furche: Die Folgen sind immer mehr Fernbeziehungen …

Beck-Gernsheim: Genau, die gibt es immer häufiger.

Die Furche: Mit allen Vor- und Nachteilen.

Beck-Gernsheim: Ja, es wird vielfach gesagt, dass in einer solchen Beziehung jeder mehr Autonomie entwickeln kann, und dass die Beziehung bewusster gelebt wird. Jeder kommt mit neuen Ereignissen, so bleibt die Beziehung lebendig. Aber auf der anderen Seite werden oft Konflikte unter den Teppich gekehrt, da man in der kurzen Zeit des Zusammenseins keinen Ärger will. Und es besteht die Gefahr, dass man nicht mehr richtig mitbekommt, was den Partner bewegt, und sich auseinanderlebt.

Die Furche: Obwohl Lebensformen immer bunter werden, hat man den Eindruck, dass Gesellschaft und Staat immer noch am Ideal der klassischen Kernfamilie festhalten. Sollte das Ideal nicht endlich aufgegeben werden?

Beck-Gernsheim: Wohl die meisten Menschen hoffen immer noch auf eine Beziehung, die lebenslang hält. Allerdings gelingt es vielen nicht, aus welchen Gründen auch immer, und das Familienrecht hat sich dieser Realität zunehmend angepasst.

Die Furche: Darf der Staat zwischen Ideal und Nebenformen – Patchworkfamilien, Lebensgemeinschaften – werten?

Beck-Gernsheim: Der Staat soll nicht werten, er muss aber eingreifen, wo es um den Schutz des Schwächeren geht. Dies ist etwa der Fall, wenn einer der Partner, zumeist die Frau, zugunsten der Familie für längere Zeit auf Berufstätigkeit verzichtet.

Die Furche: Werden vom Staat auch andere Lebensformen zunehmend unterstützt?

Beck-Gernsheim: Es ist wenig sinnvoll, die Ehe als solche zu privilegieren. Es ist aber sehr wohl sinnvoll, die Stellung derjenigen zu stärken, die Kinder aufziehen – also sie zu unterstützen, wenn sie nach einiger Zeit an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können.

Die Furche: Wollen die Menschen das Ideal oder haben sie sich damit abgefunden, dass das Leben anders läuft und stellen sich schon anders auf ihr Leben ein?

Beck-Gernsheim: Auf der einen Seite wollen sie eine dauerhafte Beziehung, andererseits wissen sie auch, dass es vielfach nicht klappt. Aber man sollte nicht einfach fragen, was wollen die Menschen, sondern genauer: Was wollen Frauen, was Männer? Beide wollen auf den ersten Blick ganz Ähnliches: eine Beziehung, die dauerhaft ist und in der beide gleichberechtigt einem Beruf nachgehen und für Kinder und Haushalt zuständig sind. Das ist der Plan A, der aber angesichts der äußeren Widerstände meist Utopie bleibt. Dann kommt der Ersatzplan, Plan B, und da werden die Konfliktpunkte sichtbar. Da sagen die Männer: Ich bin doch kein Trottel, natürlich bin ich bereit, zu Hause mitzuhelfen, aber meine berufliche Aktivität darf darunter nicht leiden. Für die Familienarbeit ist vor allem die Frau zuständig, und dann kann sie gern auch berufstätig sein, soweit dafür Raum bleibt.

Die Furche: Was wollen die Frauen?

Beck-Gernsheim: Vielen jungen Frauen ist die Selbstständigkeit ganz wichtig. Die wollen sie in jedem Fall erhalten, und unter dieser Voraussetzung wollen sie auch Familie. Wenn Sie diese Erwartungen vergleichen, hören Sie sofort, wie es knirscht im Geschlechterverhältnis: Die Konflikte sind vorprogrammiert. Umso wichtiger ist es, durch politische Maßnahmen für mehr Vereinbarkeit zu sorgen, damit Plan A eine Chance hat. Ansonsten, das ist absehbar, wird es immer brüchigere Beziehungen und immer weniger Kinder geben. Doch obwohl die Politiker heute tatsächlich viel für Vereinbarkeit tun, ist der Druck in der Arbeitswelt noch schneller gewachsen. Die steigenden Anforderungen an Flexibilität und Mobilität lassen immer weniger Raum für Familie.

Die Furche: Sehen Sie die Möglichkeit, dass es zu einer Rückwärtsbewegung, zu einer Re-Traditionalisierung kommt?

Beck-Gernsheim: Das kann ich mir nicht vorstellen. Der Geist ist aus der Flasche.

Die Furche: Wie wird es weitergehen? Immer bunter und brüchiger?

Beck-Gernsheim: Es wird zu einer weiteren Pluralisierung der Lebensformen kommen. Die Brüchigkeit wird davon abhängen, ob es dem Staat gelingt, die Daueranforderungen nach Flexibilität und Mobilität abzufedern. Nehmen wir als Beispiel die Universitäten. Einerseits gibt es zunehmend Frauenförderprogramme. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist aber: Es wird immer früher Mobilität erwartet. Und was, wenn ein Partner eine Stelle in Bremen angeboten bekommt, der andere eine in Wien? Dann sollen beide dorthin gehen, sonst ist es um ihre Karriere geschehen. Gleichzeitig kann die Entscheidung für Mobilität aber auch die Paarbeziehung gefährden. Darüber hinaus sind die Jahre des Karriereaufbaus auch die Zeit, wo man mit dem Kinderwunsch (den die meisten auch haben) Ernst machen sollte.

Die Furche: Und dass jemand verzichtet, das geht nicht mehr.

Beck-Gernsheim: Die Bereitschaft zum Verzicht ist im Männerleitbild nicht vorgesehen. Frauen dagegen sind mit widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert. Einerseits sollen sie ihre Karriere bitte ernst nehmen, aber andererseits auch nicht vergessen, dass die biologische Uhr tickt.

Die Furche: Sie sprechen in Ihrem Buch von „Bastler-Biografien“. Können die Jungen schon damit umgehen?

Beck-Gernsheim: Sie müssen einfach. Sie haben sich daran gewöhnt, dass es nicht mehr den Beruf fürs Leben gibt. Es ist so selbstverständlich geworden, dass sie oft nicht sehen, welches Konfliktpotential für Beziehungen darin steckt.

Die Furche: Welche neuen Lebensformen werden zunehmend an Bedeutung gewinnen?

Beck-Gernsheim: Der Kinderwunsch-Tourismus. Nach den Jahren der Etablierung im Beruf wollen viele Paare mit dem Nestbau beginnen, aber das Nest bleibt leer. Manche lassen dann nichts unversucht, um den Kinderwunsch doch noch umsetzen zu können, und suchen Kliniken im Ausland, die für Geld (fast) alles bieten. Die Pille hat also paradoxe Folgen: Die Möglichkeit der leichten Verhütung hat viele ungewollte Schwangerschaften verhindert, aber gleichzeitig ungewollte Kinderlosigkeit gefördert und zum internationalen Boom der Kinderwunsch-Kliniken geführt.

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