Monopoly der Lebensjahre

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Die Kunst des Alterns besteht darin, die unvermeidbaren Verluste so durchzustehen, dass immer noch ein Gewinn auszumachen ist.

Der Klassiker "Forever Young" war mehr als 90 Wochen auf der Bestsellerliste des Focus zu finden. Bei dieser Anti Aging Lebenshilfe wird von gesunder Ernährung bis Schönheitsoperationen in etwa alles diskutiert, was Zeichen des Alters abwenden soll. Die Verheißung: jung zu bleiben, bis man dann doch irgendwann sterben muss. Die Aufgabe: Das Altern biologisch in die eigene Verantwortung nehmen, und zwar so, dass man die Uhr um ein paar Jahre zurückdrehen kann.

Das Leben wird dabei vor allem in seiner Länge, als Funktion der Zeit, wahrgenommen, länger ist also auf jeden Fall besser. Der Bezug zum Tod, den man möglichst lange hinausschieben will, ist aber immer mitgedacht, auch etwa in den Hinweisen, dass das Leben in einer Großstadt (über eine Million Einwohner) das Leben um zwei Jahre verkürzt, ein Studium verlängert es um zwei Jahre, der Stress im anspruchsvollen Beruf verkürzt es dann wieder ... Gelingt es einem, das Leben leicht zu nehmen, dann kann man wieder einige Jahre dazugewinnen. Monopoly der Lebensjahre ...

Unsere ganze moralische Gesinnung soll auf dieses Anti Aging Programm ausgerichtet sein. Die Einhaltung dieses Programms dann verspricht ein geglücktes gutes Leben. Wie das? Dieses Programm hat einen quasi-emanzipatorischen Charakter: Altern, Tod ist nicht mehr einfach ein Schicksal, wir haben es, zumindest in einem gewissen Maße, selber in der Hand, wenn wir nur richtig wollen. So besehen sind Krankheit, Leiden, früher Tod ein Versagen des Einzelnen. Dieses Denken harmoniert mit den Anforderungen einer extremen Leistungsgesellschaft: allzeit fit, gut gelaunt, leistungsbereit. Das Altern als Lebensphase mit den eigenen Aufgaben und der eigenen Würde soll vermieden werden, oder zumindest möglichst jung bewältigt werden. Diese Lebensphase wird dadurch ihres Wertes beraubt.

Das Dilemma: natürlich wünschen wir uns, dass wir möglichst lange geistig und körperlich beweglich bleiben. Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass wir Geist und Muskeln trainieren, dass wir mäßig Sport treiben, Interessen pflegen, den Optimismus nicht verlieren, darauf achten, dass wir genug Schlaf bekommen. Aber kann es der Sinn des Alters sein, dass es zentrales Anliegen ist, ständig in biologischer Höchstform zu sein, und diese uns auch zu erhalten? Erhalten müssen, um ein "gutes Leben" zu haben? Dass wir ankämpfen gegen das Altern, bis wir nicht mehr können? Natürlich wollen wir unsere Kompetenzen auch im Alter leben, aber eben in der Lebensphase des Alterns. Diese Lebensphase muss ihren eigenen Sinn haben. Es geht um die Würde des alternden, sterblichen Individuums, um seinen Platz und seine Bedeutung in dieser Gesellschaft. Es kann nicht nur um Gewinn gehen durch Aufhalten der Zeit, es muss auch gelernt werden, mit Verlust umzugehen.

Allein im leeren Nest

Die so genannte "empty-nest" Depression als ein Phänomen des Übergangs wurde zunächst nur beobachtet an Frauen, später auch an Männern. Frauen, die sich sehr auf die Mutterrolle konzentriert haben, verlieren einen für sie wesentlichen Lebensinhalt und reagieren darauf mit depressiven Verstimmungen. Diese haben nicht primär etwas mit den klimakterischen Veränderungen zu tun, wenn auch die beiden Prozesse einander beeinflussen. Diese depressiven Verstimmungen, unter denen auch Männer leiden, die sich mit der Vaterrolle identifiziert haben, haben vor allem mit dem Erleben von Trennung, von Verlust zu tun, eine Erfahrung, die viele lange nicht wahrhaben wollen. Die Klagen sind dann immer etwa dieselben: Die Kinder, für die die Mütter oder die Väter "alles" getan haben, wenden sich definitiv neuen Beziehungspersonen zu, gehen weg, nützen die Infrastruktur möglicherweise noch, ohne sie zu schätzen, leben nicht so, wie die Eltern es sich vorstellen, bekommen auch nicht gleich Enkelinnen und Enkel, die es ja ermöglichen würden, eine wunderschöne neue Rolle zu übernehmen.

Es stellt sich eine Abwehr gegen dieses weniger Gebrauchtwerden ein, Frauen oder Männer machen sich vermeintlich immer noch unentbehrlicher, in dem sie viel zu viel für die Kinder tun. Sie realisieren nicht, dass sich hier für sie ein Freiraum auftut, sie erleben den Freiraum zunächst als einen leeren Raum, der sie ängstigt. Ihr Leben ist leer geworden.

Die Ablösung von der Mutterrolle und von der Vaterrolle erfordert Trauerarbeit. Voraussetzung dafür ist, dass man es sich eingesteht, dass diese Phase des Lebens vorbei ist, dass es auch im Sinne des Lebens ist, dass die Kinder sich ablösen. Diese Trauerarbeit ist leichter zu bewältigen, wenn der Partner, dessen Vaterrolle sich ja auch deutlich verändert, seine Gefühle auch mitteilen kann, wenn gemeinsam getrauert werden kann.

Eigene Ablösung

Ein bewusster Trauerprozess zur Ablösung von den Kindern bringt meistens noch einmal eigene Ablösethemen im Zusammenhang mit den eigenen Eltern ins Bewusstsein. Da wird plötzlich deutlich, dass eigene Ablöseschritte nicht stattgefunden haben, Frauen sagen dann in diesem Zusammenhang, sie hätten noch nie wirklich das eigene Leben gelebt. Höchste Zeit also, es zu tun. Auch machen die Jugendlichen durch ihren Lebensstil und ihre Lebensentwürfe den Eltern bewusst, was sie verpasst haben. Töchter und Söhne leben allenfalls etwas, was man selber nicht zu leben gewagt hätte, was einem nicht einmal im Traum eingefallen wäre, und was dann natürlich zunächst bei der jungen Generation bekämpft werden muss, es ist zu beunruhigend.

Gelingt es uns, aus den wiederbelebten, oft jetzt verurteilten jugendlichen Träumen das Lebensthema herauszudestillieren, das bedeutsam für unser Leben gewesen wäre, und dieses nun altersentsprechend zu realisieren, können gerade aus diesen Enttäuschungen Lebensimpulse für die Zukunft gewonnen werden. Das bedeutet auch, aufzuhören, übertriebene Forderungen an sich selbst zu stellen und sich zu erlauben, ein ganz gewöhnlicher Mensch zu sein.

Der Gewinn des Alterns, so wird immer wieder beschrieben, ist Daseinskompetenz. Worin zeigt sie sich? In der Fähigkeit und Fertigkeit des Menschen, mit Anforderungen, Aufgaben, Belastungen, Konflikten, kreativ umzugehen. Daseinskompetenz ist eine Folge davon, dass man viele Lebenssituationen erfahren und bestanden hat - Gewinne und Verluste erlebt hat. Man hat Krisenkompetenz erworben. Man weiß, was man in etwa zu erwarten hat - von sich und von den anderen, und vor allem weiß man, dass trotz allem das Leben immer wieder weiter geht und auch große Stürme sich wieder beruhigen.

Das Kernstück der Daseinskompetenz zeigt sich für mich darin, dass man akzeptieren kann, dass gewisse Vorstellungen, die man sich für das eigene Leben gemacht hat, nicht mehr zu realisieren sind, einige Wünsche unerfüllt bleiben müssen. Dass Enttäuschungen hingenommen werden, nicht im Sinne, dass man nun resigniert, sondern wirklich auch akzeptiert und vielleicht noch im geringen Maße kompensiert, auch wenn nur noch wenig Zeit bleibt, und die Kräfte abnehmen. Oder aber auch das Einwilligen in verpasstes Leben, als Versöhnung mit dem eigenen Leben, das so und nicht anders gelebt werden konnte. Belastungen, schwierige Erfahrungen, Konflikte, Fehler werden neu bewertet, im Sinne: ich habe mein Bestes getan, auch wenn es nicht immer zum gewünschten Erfolg geführt hat. Zur Daseinskompetenz gehört auch die Fähigkeit, Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft zu ertragen. Daseinskompetenz verbunden mit emotionaler Reife könnte schließlich das ergeben, was wir "Weisheit" nennen.

Weg zur Weisheit

Nicht nur die alten Weisen in den Märchen wissen, wie es ehedem war. Die alten Menschen ganz allgemein sind das Gedächtnis einer Gesellschaft, und ohne Gedächtnis gibt es keine Kontinuität. Die Weitergabe von Wissen, von Kulturwissen, liegt den alten Menschen, gerade auch, weil die altersspezifischen Veränderungen die Reflexion fördern. Das Erzählen von Geschichten liegt ihnen sehr. Und es ist sicher ein Fehler, wenn man diese Kompetenz nicht abruft. Gewiss, es ist alles Wichtige aufgeschrieben oder im Internet abrufbar, aber nicht durch die Perspektive eines Menschen, der das alles erlebt hat, der auch mit Gefühlen verbunden darüber sprechen kann, und der, indem er erzählt, auch ein Stück Autobiographie erzählt. Das aber wiederum - und dafür gibt es auch Untersuchungen, tut den alten Menschen gut.

Dank ihrer Daseinskompetenz, die in den Erzählungen auf unaufdringliche Weise zum Ausdruck kommen, haben sie Vorbildfunktion und verbreiten eine Atmosphäre der Hoffnung, dass man mit dem Leben auch in schwierigeren Situationen versöhnt sein kann.

Die Autorin ist Psychotherapeutin und Professorin für Psychologie an der Universität Zürich.

Diesen Mittwoch hielt sie im Rahmen der "Wiener Vorlesungen" einen Vortrag zum Thema "Altern in Würde", den die furche stark gekürzt dokumentiert und der in einem Band der Reihe "Wiener Vorlesungen" im Verlag Picus erscheinen wird.

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