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Der Ökonom Rüdiger Soltwedel fordert globale Kontrollmechanismen für einen globalen Markt. Mit ihrer Hilfe werde der internationale Standortwettbewerb auch zu internationaler Gerechtigkeit führen.

Globalisierung löst im öffentlichen Bewusstsein bisweilen die Befürchtung aus, der verschärfte globale Konkurrenzkampf könnte eine Abwärtsspirale im sozialen Standard, der Versorgung mit öffentlichen Gütern und im Umgang der Menschen miteinander auslösen. Die Angst geht um, dass im internationalen Standortwettbewerb die Moral auf der Strecke bleibt.

Im Kern geht es dabei um die Frage: Werden freier Handel und freier Kapitalverkehr mit weniger entwickelten Ländern, etwa China, lediglich dazu führen, dass die Arbeitsplätze aus den Industrie-ländern abwandern?

Wenn Länder mit unterschiedlicher Faktorausstattung miteinander Handel treiben, dann verliert der jeweils relativ knappe Produktionsfaktor einen Teil seiner Knappheitsrente. Eine stärkere Integration der Handelspartner führt zu einer Angleichung der Einkommen für vergleichbare Produktionsfaktoren. Arme Länder besitzen mehr gering qualifizierte Arbeit als reiche Länder. Gering qualifizierte Arbeit ist also der relativ knappe Produktionsfaktor in Industrieländern. Daraus folgt, dass der Lohn für diese Arbeit in den Industrieländern mit zunehmender Globalisierung im Vergleich zu den Einkommen anderer Produktionsfaktoren fällt.

Steigende Arbeitslosigkeit

Heute können aufgrund neuer Technologien sowie sinkender Informations- und Transaktionskosten ganze Produktionsstätten international verlagert werden oder auf verschiedene Standorte verteilt werden. Diese Entwicklung begünstigt hoch qualifizierte Arbeitskräfte in den Industrieländern, die hier relativ reichlich vorhanden, weltweit gesehen aber relativ knapp sind. Die weniger qualifizierten Arbeitskräfte sehen sich dagegen rund um den Globus einem nahezu vollkommen elastischen Angebot von schlechter bezahlten Wettbewerbern gegenüber. In den Industrieländern müssen also als Folge der Globalisierung entweder die Löhne für gering qualifizierte Arbeit im Vergleich zu den Einkommen anderer Produktionsfaktoren wie Sach- und Humankapital sinken, oder es entsteht Arbeitslosigkeit. Da auf die Globalisierung nicht mit einer deutlich stärkeren Spreizung der Lohnstrukturen reagiert wurde, war ein Anstieg der Arbeitslosigkeit für weniger qualifizierte Arbeitskräfte die Folge.

Um die Anpassungszwänge abzumildern, die aus der Globalisierung folgen, werden vielfach nationale Maßnahmen zur Stärkung der Hochtechnologie-Industrie gefordert, die als Schlüssel zur Sicherung der Arbeitsplätze gesehen wird. Übersehen wird dabei, dass die Unternehmen ihre Standortentscheidungen nicht im nationalen, sondern im weltweiten Maßstab treffen, wo derzeit nur das Regelwerk der Welthandelsordnung zum Tragen kommt. Es dient vielfältigen Schutzfunktionen: Zum einen will es durch ein allgemeines Verbot der Diskriminierung zur Rechtssicherheit im weltweiten Handel beitragen; zum anderen lässt es viele Ausnahmen vom Verbot der Diskriminierung zu, um im Handel "Fairness" walten zu lassen. Ein armes Land wird darunter verstehen, dass ihm die Chance zum Aufholen gegeben und es vor der Willkür stärkerer Partner geschützt wird; ein reiches Land wird darunter jedoch eher einen Schutz vor "zuviel" Wettbewerb verstehen. Die reichen Länder haben sich in der WTO besser durchgesetzt: Ausnahmen von der Nichtdiskriminierung haben erheblich an Bedeutung gewonnen, und zwar mit der Zielrichtung, die heimischen Produzenten zu schützen und vorstoßende Wettbewerber zu disziplinieren.

Teurer Protektionismus

Aber diskriminierende Protektion ist bei weitem nicht kostenlos: Konsumenten und Verarbeiter von geschützten Waren müssen überhöhte Preise zahlen und der Strukturwandel wird behindert. Zudem ist Protektionismus unfair und ethisch nicht akzeptabel: Den ärmsten Entwicklungsländern wird die Integration in die Weltwirtschaft und damit der Weg aus der Armut erschwert.

Angesichts der fortschreitenden Globalisierung stellt sich nun also die Frage, wie die Freiheitsrechte der Schwachen im In- und Ausland zu vergrößern und der Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen zu sichern sind. Dazu ist zunächst zu sagen, dass eine Koordination über Ziele, über eine einheitliche Wertordnung, der sich alle Bürgerinnen und Bürger unterwerfen, im Wertepluralismus einer offenen, freien Gesellschaften kaum zu realisieren ist. Die Koordination der individuellen Handlungen erfolgt mithin in erster Linie über allgemeinverbindliche Regeln und neutrale Institutionen. Die Gültigkeit von Normen hängt von ihrer anreizkompatiblen Implementierung ab. Die Implementierung moralischer Normen muss auf das handlungsleitende Motiv individuellen Vorteilsstrebens gegründet werden. Die Ordnungsregeln müssen zweckmäßig sein. Sie müssen immer wieder an veränderte Knappheitssituationen und Herausforderungen in den Handlungsbedingungen angepasst und weiterentwickelt werden. Alle Regeln sind einem Test der Zweckmäßigkeit unter der Annahme der ökonomischen Rationalität zu unterwerfen. Bestehen sie den Test nicht, müssen sie angepasst werden.

Anpassung der Regeln

* Die Unternehmenskultur etwa rückt als essenzielles Mittel zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in den Vordergrund strategischer Überlegungen. Entscheidend ist, dass es der Unternehmensleitung gelingt, konkrete Zukunftsperspektiven zu entwickeln und glaubhaft an die Mitarbeiter weiterzugeben.

* Der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft entspricht es, durch die Gestaltung der ökonomischen Rahmenordnung dafür zu sorgen, dass aus dem Wirtschaftssystem heraus soziale Verhältnisse entstehen können; erst in zweiter Linie sind subsidiär soziale Sicherungssysteme zu etablieren. Aber Maßnahmen der sozialen Sicherung sollten dabei nicht gegen den Markt vorgenommen werden und damit seine Funktionsbedingungen schwächen, sondern vielmehr innerhalb des marktwirtschaftlichen Anreizsystems stattfinden. Die Vorstellung, soziale Gerechtigkeit könne nur außerhalb des Marktes oder durch Einschränkung des Wettbewerbs erreicht werden, ist abwegig. Die Ausgestaltung dieser Basissicherung der Sozial- und Arbeitslosenhilfe behindert, dass sich eine größere Lohndifferenzierung durch das Absenken der Löhne für geringqualifizierte Arbeitslose spontan ergibt. Die Reform der subsidiären Basissicherung muss darauf zielen, durch Absenken des Sicherungsniveaus Arbeit für Sozialhilfeberechtigte attraktiver zu machen und den Druck auf sie zu erhöhen, sich aktiv in den Arbeitsprozess einzugliedern.

* Zur Überwachung eines internationalen Kartellverbots ist die Errichtung einer internationalen Wettbewerbsagentur dringend geboten. Denn wenn es gelingen sollte, zu einem wirksamen internationalen Kartellverbot zu kommen, können zugleich substanzielle Fortschritte bei der Bekämpfung nichttarifärer Handelshemmnisse erzielt werden, die in starkem Maße die internationalen Handelsströme verzerren.

* Globale Umweltprobleme erfordern eine Korrektur des globalen Ordnungsrahmens. Mit den Protokollen von Montreal und Kyoto wurden wichtige Grundsteine zum Schutz des Ozonschildes und zur Reduzierung von Treibhausgasen gelegt. Nun müssen ärmere Länder akzeptieren, dass eine klimaschonende Entwicklung letztlich auch in ihrem Interesse liegt. Und die reicheren Länder müssen finanzielle Mittel und Technologien bereitstellen, die ärmeren Ländern eine klimaschonende Industrialisierung ermöglichen.

* Im Zuge der EU-Osterweiterung, der zunehmenden Konkurrenz von China und der Verlagerung von Arbeitsplätzen werden die niedrigen Löhne und die wenig ausgeprägten Schutzrechte für Arbeitnehmer zunehmend zum Anlass genommen, allgemeine Sozialstandards als Schutzvorkehrungen gegen "unfairen" Wettbewerb durch "Lohn- und Sozialdumping" zu fordern, letztlich also Handelshemmnisse zu errichten. Die EU-Beitrittsländer und China bieten mit ihren Kostenvorteilen eine Reihe von Wettbewerbsvorteilen, die es ihnen ermöglichen werden, den Einkommensabstand zu den reicheren Ländern in der EU zu vermindern. Diese Vorteile sind weder künstlich geschaffen noch stellen sie eine Wettbewerbsverzerrung dar; was als "Lohndumping" bezeichnet wird, ist vor allem Ausdruck des noch vergleichsweise niedrigen Produktivitätsniveaus in diesen Ländern. Durch Lohn- und Sozialstandards oder gar einer Abschottung der Märkte würden den Beitrittsländern Standortvorteile genommen werden, die sie teilweise auch in den Steuersystemen haben. Sie würden es in dem von allen Seiten gewünschten Konvergenzprozess schwerer haben und langsamer wachsen. Dies wäre auch von Nachteil für die alten Mitgliedstaaten der EU, denn ihre Exportmöglichkeiten würden sich verringern. Protektionismus in welcher Form auch immer schadet allen beteiligten Ländern.

Politik im globalen Kontext

Insgesamt betrachtet hat die Globalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten der internationalen Arbeitsteilung eine neue Dimension hinzugefügt und traditionelle Wirtschaftsstandorte unter verschärften Wettbewerbsdruck gesetzt. Wirtschaftspolitik, die nicht in den weltwirtschaftlichen Zusammenhang passt, läuft Gefahr, von internationalen Kapitalströmen abgeschnitten zu werden und auf die möglichen Vorteile aus internationaler Arbeitsteilung zu verzichten. Mehr Wettbewerb um knappe Produktionsfaktoren erzwingt also einen wirtschaftspolitischen Kurs, der auf Wachstum durch Offenheit und Stabilität setzt. Die Moral wird in diesem Globalisierungsprozess nicht auf der Strecke bleiben, vielmehr ist dieser Prozess einer fortschreitenden Öffnung der Märkte und einer immer tieferen internationalen Arbeitsteilung unabdingbar, um ethischen Zielen zum Durchbruch zu verhelfen.

Rüdiger Soltwedel ist Professor am Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel.

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