Multikulti in der Schule

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Gemeinsames Lernen im interkulturellen Umfeld bedarf vieler Anstrengungen. Dass es auch Chancen bietet, wird gerne übersehen.

Integrationspolitik muss vom Rand ins Zentrum. Mit diesem Vorsatz trat Sonja Wehsely Anfang des Monats ihr Amt als Wiener Integrationsstadträtin an. Sie will dort ansetzen, wo Integration ihren Ausgang nimmt: In der Vorschulerziehung und der Schule. In Zeiten des Sparstiftes wird das allzu oft vergessen. Dass eine ethnisch gemischte Schulklasse Reibungspunkte mit sich bringt, weiß auch Maria Vassilakou, Migrationssprecherin und Klubobfrau der Wiener Grünen: "Ich will aber kein Schulsystem, in dem nur dann Fortschritte erzielt werden, wenn sie auf dem persönlichen Engagement und der Erfindungsgabe der Lehrer und Lehrerinnen beruhen."

Knochenarbeit Integration

Genau das war aber im BRG Waltergasse im vierten Wiener Gemeindebezirk der Fall. Maria Hauer war in ihrer Klasse mit Schülern aus 14 Nationen konfrontiert. "Ethnische Konflikte standen auf der Tagesordnung und wurden mitunter tätlich ausgetragen", so die AHS-Lehrerin. Das Problem: Zusätzliche Unterstützung in Form von Begleitlehrern war nicht möglich, denn das so genannte "Teamteaching" gibt es ausschließlich im Pflichtschulbereich, also in Volks- und Hauptschulen. Maria Hauer musste erfinderisch werden. Nach zweijähriger Knochenarbeit hat sie für ihre Klasse den in Wien einzigartigen Schulversuch "Interkulturelle Kommunikation" initiiert. Durch die Kooperation mit einer Hauptschule war es möglich, Begleitlehrer an das Gymnasium zu schicken. Die beteiligten Lehrer gestalten nun fächerübergreifenden Unterricht, es wird sowohl Wissen über andere Kulturen vermittelt als auch das soziale Lernen gefördert. Dadurch erleben die Schüler die positiven Seiten ihres multikulturellen Zusammenlebens. So etwa bei einer Exkursion zum Naschmarkt: "Die Kinder haben einen Kebab gratis bekommen, weil das ein türkischer Mitschüler ausgehandelt hat", erinnert sich Maria Hauer. Das Zwischenergebnis des Schulversuchs kann sich sehen lassen: Das soziale Miteinander hat neue Qualitäten bekommen und die anfänglich leistungsschwache Klasse ist zu einer der besten geworden.

Agieren statt reagieren

Zu den unermüdlichen Kämpfern gehört auch Serafettin Yildiz. Er gehört zum "Kern" der Schulberatung für MigrantInnen, eine Institution des Wiener Stadtschulrates. Yildiz versteht seine Funktion als Schnittstelle zwischen Familie und Schule: "Wir bewegen uns im Dreieck zwischen den Eltern, den Schülern und dem Schulsystem." Zu ihm kommen Familien, die sich hierzulande noch nicht artikulieren können und Unterstützung beim Erstkontakt mit der Schule brauchen. Aber auch diskriminierte Schüler und engagierte Lehrer wenden sich an ihn. Stolz ist Yildiz auf den Erfolg seines "Aushängeschildes": Das Modell der "vorschulischen Vorlaufgruppen" soll jenen Kindern, die keinen Kindergarten besucht haben, den Schuleinstieg erleichtern. Das Konzept hat Erfolg: Etwa 1000 Kinder werden vor der Einschulung auf ihre Bildungslaufbahn vorbereitet.

Wenn ein zehnjähriges Kind nach Österreich kommt und erst dann mit der deutschen Sprache konfrontiert wird, schaut es schon ganz anders aus: Als "außerordentlicher Schüler" wird es nicht benotet, allerdings nur zwei Jahre lang. "Völlig verrückt", meint Gabriele Khan-Svik vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Schulentwicklung und international-vergleichende Schulforschung. Sie erinnert daran, dass ein Mensch bis zu acht Jahre braucht, um eine Sprache perfekt sprechen zu können. Migrantenkindern wird dies aber schon nach zwei Jahren abverlangt. Und das mitunter in einer überfüllten Klasse, wo sich der überforderte Lehrer um individuelle Betreuung seiner Schüler kümmern sollte. Denn Begleitlehrer, die sich der Beschleunigung des Integrationsprozesses annehmen, werden massiv eingespart.

Unerkanntes Potenzial

Dabei wäre Wien im Vergleich mit anderen Bundesländern gut gerüstet. Eine "Philosophie, die den Bach runtergeht" nennt das Maria Vassilakou von den Grünen. Sie ist vom Erfolg des Teamteaching fest überzeugt, "denn es ist das Herzstück der Integrationsmaßnahmen". In dem Moment, wo die Fördermaßnahmen gestrichen werden, beginne das Schulsystem auseinander zu klaffen: "In reicheren Gegenden haben wir dann die besseren Schulen' und in ärmeren, die traditionell auch einen höheren Anteil von bilingualen Kindern haben, die schlechteren". Dabei schlummert in diesen Kindern ein unerkanntes Potenzial.

Ähnlich sieht das die Wiener Integrationsstadträtin Sonja Wehsely, die bereits bei den Allerkleinsten ansetzt, wo die Sprachbildung beginnt. Sie warnt vor dem Missverständnis, dass Kinder mit nicht deutscher Muttersprache hier ausschließlich Deutsch sprechen sollen. Denn nur die Beherrschung der Muttersprache ermögliche es, weitere Sprachen zu erlernen. Elisabeth Furch, Leiterin der Pädagogischen Akademie Ettenreichgasse im zehnten Wiener Gemeindebezirk, kennt dieses Problem aus der Praxis: "Die wichtige Komponente der Muttersprachenbasis darf nicht fallen gelassen werden. Wenn die verschwindet, haben wir tatsächlich halbsprachige Kinder." Das müsse auch den Eltern kommuniziert werden. In der guten Absicht, ihrem Kind mehr Chancen in Österreich einzuräumen, würden sie ihm mitunter den muttersprachlichen Unterricht verweigern. Ein echtes Problem, weil dieses Angebot das Einverständnis der Eltern verlangt.

Geburtsort der Zukunft

"Ohne schulische Integration gibt es keine Integration", lautet der Leitsatz von Serafettin Yildiz. Wenn der MigrantInnenberater erzählt, schwingt ein leiser Unterton mit, der Enttäuschung verrät. "Wenn der Staat im Erziehungs- und Schulbereich spart, dann ist die Zukunft verraten." Elisabeth Furch bedauert, dass die Lehrerausbildung noch zu wenig auf die veränderte Schülerpopulation reagiert. Sie unterrichtet Lehramtskandidaten im Fach "Interkulturelle Pädagogik", wofür während der gesamten Lehrerausbildung magere 12-16 Stunden vorgesehen sind. "Das ist ein Witz", so die Erziehungswissenschaftlerin. "Vor allem, wenn man bedenkt, dass im Jahr 1996 interkulturelles Lernen zum Unterrichtsprinzip erhoben wurde."

Österreichweit soll nun eine Gruppe von Pädagogen gegründet werden, die sich dem Austausch in interkulturellen Fragen annimmt. Dort und da gibt es schon übergreifende Maßnahmen, "aber letztlich kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen", meint Maria Vassilakou. Bleibt zu hoffen, dass die getätigten Anstrengungen nicht weiter beschnitten sondern ausgebaut werden. Denn Integration in der Schule erfolgt nicht nur zu Gunsten der Migrantenkinder. Wenn Integrationspolitik Früchte trägt, ernten alle. Der Schulversuch im BRG Waltergasse hat es bewiesen.

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