"Mut, das Vergangene zu überwinden"

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Ein unveröffentlichtes Gespräch mit dem legendären ÖGB-Präsidenten Anton Benya über den Februar 1934. Das Interview wurde im September 2001 für den Bayerischen Rundfunk geführt, dann aber nicht gesendet, weil es zu österreich-spezifisch war.

Anton Benya wurde am 8. Oktober 1912 in Wien geboren. Nach dem Besuch von 5 Klassen Volks- und 3 Klassen Bürgerschule absolvierte er 3 Klassen gewerbliche Fortbildungsschule im Zusammenhang mit dem erlernten Beruf eines Elektromechanikers.

Er war schon als Lehrling in der Gewerkschaftsjugend tätig, im Jahre 1933 wurde er zum Betriebsrat gewählt.

Im Zusammenhang mit den Februarkämpfen 1934 war er kurze Zeit in Haft, 1937 wurde er neuerlich wegen illegaler Tätigkeit für die Gewerkschaftsbewegung inhaftiert."

So lauten die ersten drei Absätze des mit mechanischer Schreibmaschine getippten Lebenslaufes, den mir Anton Benya im Gebäude der Metallergewerkschaft in der Wiener Plößl-Gasse, wo er als Ehrenpräsident ein bescheidenes Zimmer am Gangende hatte, in die Hand drückte. Das Gespräch begann mit seiner ersten Erinnerung, wie er als Sechsjähriger mit anderen Kindern spielte, als ein fremder Mann die Stiege heraufkam und ihn fragte: "Bist du der Toni?" Das war sein Vater, der aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrte. Danach erzählte Benya von den Männern in blauen Arbeitskitteln, die ihn als Buben so faszinierten, und wie schwer es war, damals eine Lehrstelle zu finden. 1927 konnte er Starkstrommechaniker lernen. Der Betrieb war organisiert, gleich trat er in die Gewerkschaft ein.

Als das Gespräch auf das Dollfuß-Regime kam, beschrieb Benya die Ausgrenzung eines Teiles der Bevölkerung: Zur Polizei konnten nur "astreine" Leute, meist aus ländlichen Gebieten, für das Militär brauchte man die Empfehlung eines Pfarrers - viele Arbeitsmöglichkeiten waren verschlossen. Im Betrieb tauchte die HeimwehrGewerkschaft auf, die freien Gewerkschafter wurden entfernt. Benya selbst wurde 1930 entlassen. "Sie haben gut gearbeitet, Sie haben auch etwas gelernt, Sie werden schon weiterkommen, aber ich kann Sie nicht halten - das sind die politischen Verhältnisse", sagte ihm der Meister zum Abschied.

Keine 22 Jahre war Anton Benya im Februar 1934 alt. Er gehörte dem Schutzbund an und erinnerte sich gut an die Kampfhandlungen: "Wir haben viele Male Waffen ausgehoben, wir wollten den Ottakringern zu Hilfe kommen, aber dort war es schon zu spät; unterwegs sind uns andere entgegengekommen und haben gesagt: Dort marschieren sie schon mit Kanonen auf, da kommt ihr nicht durch.' So sind wir zurück in unser Versammlungslokal. In Ottakring wurde das Arbeiterheim beschossen, es gab viele Verhaftungen." Benya wurde nach einigen Tagen ebenfalls inhaftiert - andere Verhaftete hatten ihn als Beteiligten genannt. Nach zwei Monaten wurde er gegen eine Loyalitätserklärung freigelassen. Und erlebte die Hinrichtung von Schutzbund-Kommandant Karl Münichreiter, zu dessen Bataillon er gehört hatte.

Benyas Resümee über den Februar 1934: "Nach dem Februar zeigte sich sehr deutlich: Alle freien Organisationen wurden aufgelöst: Parteien, freie Gewerkschaften, Naturfreunde', Bildungseinrichtungen - das heißt, es wurde autoritär regiert. Wir sind in die Illegalität gegangen mit dem Ruf: Wir kommen wieder!"

Man traf und besprach sich, studierte die ausländischen Zeitungen und hoffte auf einen Zusammenbruch des Nationalsozialismus in Deutschland.

Umstritten innerhalb der Sozialdemokraten war eine mögliche Zusammenarbeit mit der Dollfuß-Regierung gegen den Nationalsozialismus. Benya war dafür: "Ein Teil der Sozialdemokratischen Partei war ja bereit, im Falle des Falles gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen. Aber es musste natürlich zuerst einmal in Österreich selbst ein demokratisches System oder zumindest Teile davon aufgebaut werden: Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Kampf gegen die Notlage - damit ist man hingegangen und hat gesagt: Wenn das geschieht, sind wir bereit. Aber die Regierung unter Dollfuß hat das kategorisch abgelehnt, und der Vertreter der damaligen Einheitsgewerkschaft hat es auch abgelehnt, Gewerkschaftsforderungen nach freien Wahlen oder Pressefreiheit zu unterstützen." Dann war das Attentat auf Dollfuß. Benya: "Man hat es kommen gesehen. Die Alten im Betrieb haben gesagt: Seid vorsichtig. Faschismus, Nationalsozialismus bedeutet Krieg."

Während des Krieges musste Benya an Sende- und Empfangsgeräten für die Fliegerabwehr bauen. 1945 wurde er nach Achenkirchen in Tirol verlegt. Wenn er für einen Bauern am Radio bastelte, um den Kurzwellenempfang zu ermöglichen, gab es Geselchtes. In seinem Betrieb hieß es zu Kriegsende: "Wir warten, bis der Toni heimkommt, dann werden wir sehen." Er wurde zum Betriebsrat gewählt.

In Erinnerung an 1934 wollte man eine einheitliche Gewerkschaft: "Wir wollen eine starke Organisation sein und alle Gruppen abwehren, die ein autoritäres System wollen", lautete der Grundsatz. Ehemalige Todfeinde saßen an einem Tisch. Außerdem, so Benya, war da die wirtschaftliche Notwendigkeit. "Das waren die großen Leistungen der damaligen Männer und Frauen, die den Mut hatten, das Vergangene zu überwinden und gemeinsam sich zu bemühen, das Land aufzubauen."

Die Kritik, dadurch sei das Land flächendeckend mit den Parteien überzogen worden und man hätte ohne Parteibuch weder Lehrer oder Arzt noch Reinigungsfrau im öffentlichen Dienst werden können, wischte Benya locker weg: "Das ist eine starke Übertreibung. Natürlich haben die beiden Parteien, die ja staatstragend waren, in die Führungspositionen der Betriebe Einfluss haben wollen. Wir haben ja einmal erlebt, was geschehen ist, als die Christlichsozialen die Betriebe geführt haben. Daher wollen wir mitreden."

Auch in den Ministerien wollte man einander auf die Finger schauen: "Wir müssen unsere Leute beruhigen, dass das nicht mehr kommt, was gewesen ist. Denn wir haben ja nie jemanden eingesperrt, wir wurden aber eingesperrt. Daher war das Misstrauen auf unserer Seite verständlich."

Auch auf die Kritik an der Sozialpartnerschaft, als deren Architekt und Verkörperung Benya galt, antwortete er locker: "Sicher haben manche gesagt: Da machen sich halt ein paar was aus. Hab ich gesagt: Ja glaubts, i geh ins Stadion verhandeln."

Als Gewerkschafts- und Nationalratspräsident galt Benya zeitweise als mächtigster Mann der Republik. Seine pragmatische Politik und seine Emotionen waren ganz von 1934 geprägt. Auf die letzte Frage nach seinen Visionen und Hoffnungen antwortete der 89-Jährige: "Wenn wir 1934 gesagt haben: Wir kommen wieder, dann sage ich 2001: Wir kommen wieder. Und vielleicht früher, als wir damals gekommen sind." Und flugs verschwand er zum nächsten Termin.

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