Mutter kann nicht mehr alleine bleiben

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Das heiß umstrittene Gesetz zur 24-Stunden-Betreuung muss noch den Elchtest bestehen. Eine Betroffene berichtet über ihre Erfahrungen. von regine bogensberger

Und irgendwann schaffte es die Familie nicht mehr alleine. Über acht Jahre lang wurde die bald 99-jährige Mutter von Katharina Menches von ihren drei Töchtern gepflegt. Jede Frau sorgte drei Woche für ihre betagte Mutter, die nicht krank, aber schon sehr gebrechlich ist und nicht mehr alleine sein kann. "Dann aber wurde eine meiner Schwestern, auch schon über 60 Jahre alt, selbst krank", erzählt Katharina Menches, die noch voll im Beruf steht und selbst nicht einspringen konnte. Also musste eine geeignete Betreuungskraft gefunden werden.

Das war im letzten Sommer. Die Suche nach einer solchen gestaltete sich aber nicht leicht. Klar war für Menches eines: Es müsse ein legales Verhältnis sein. Die Hotline des Sozialministeriums habe ihr damals kaum weitergeholfen, beklagt Menches. Das herkömmliche "illegale" 24-Stunden-Modell der meist ausländischen Betreuerinnen entsprach auch nicht den Vorstellungen der Familie: Zwei Frauen arbeiten im 14-Tage- Rhythmus. "Wir wollten aber nicht, dass unsere Mutter in völlig fremde Pflege gegeben werden muss."

Die schwierige Suche

Hilfe fand die bald 60-jährige Wiener Unternehmerin schließlich bei der Caritas. Im Zuge der gesetzlichen Regelung zur 24-Stunden-Betreuung gründete die Hilfsorganisation im vorigen Jahr den Verein "Rundum Zuhause betreut", der zur Zeit in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und in der Steiermark Beratung, Vermittlung und Dienste für all jene anbietet, die gerne so lange wie möglich zuhause ganztägig betreut werden wollen. Der Verein hilft bei der Legalisierung der zuvor illegalen Hausbetreuung, vermittelt Betreuungskräfte und hilft bei der administrativen Abwicklung. Zudem werde eine laufende Qualitätskontrolle geboten, erklärt Thomas-Peter Siegl, Vorstandsmitglied des Vereins "Rundum Zuhause betreut". Mit der Hauskrankenpflege der Caritas wird eng zusammengearbeitet.

Der Verein vermittelte Frau Menches' Mutter eine slowakische Betreuerin. Und sie wurde eine der ersten und bisher nur sehr wenigen "legalisierten" Betreuungskräften nach dem neuen 24-Stunden-Modell. "Die Legalität des Arbeitsverhältnisses ist für alle Seiten eine Notwendigkeit", betont Menches: "Die junge Slowakin, die meine Mutter betreut, hat auch gemeint, sie sei sehr froh, nun legal über die Grenze zur Arbeit kommen zu können. Auch ist sie jetzt versichert. Zuvor hat sie illegale Betreuung angeboten."

Die 28-jährige Frau, gelernte Friseurin, sei sehr engagiert und spreche gut deutsch, erzählt Menches. Sie hat sich als selbstständige Betreuungskraft angemeldet, ein präziser Arbeitsvertrag wurde abgeschlossen. "Es ist den meisten nicht bewusst, auf welchem Glatteis sie sich bewegen, wenn die Betreuerinnen illegal tätig sind", ergänzt Siegl von der Caritas: Man stelle sich vor, der betagte Mensch stürzt, verletzt sich. Es würde einen nicht wundern, wenn die Betreuerin in so einem Fall zwar schnell die Rettung ruft, den Gestürzten erstversorgt, aber dann die Flucht ergreift.

Die Bürokratie hat Frau Menches zunächst nicht abgeschreckt. Geärgert hat sie vielmehr das mediale und politische Verwirrspiel. "Bürokratischer Unsinn" widerfuhr ihr dann dennoch beim Ansuchen um Förderung beim Bundessozialamt: Es wurde verlangt, dass die Betreuerin im Haus der Mutter in Hollabrunn gemeldet ist, obwohl die Slowakin nur zeitweise dort wohnt.

Das Finanzielle sei erschwinglich. Die Betreuung und Pflege zuhause sollte aber, so fordert sie ein, für alle leistbar und zugänglich sein; nicht nur für Begüterte oder für jene, wo die Familie noch kräftig mithelfen kann. Die Mutter, Mindestpensionistin (700 Euro), bezieht Pflegegeld der Stufe 6, also 1171,70 Euro. Der Zuschuss für selbstständige Pflegerinnen beträgt für eine Person 112,50 Euro (Niederösterreich hat zudem einen höheren Zuschuss angekündigt). Die slowakische Betreuerin bekommt 770 Euro für 14 Tage Betreuungstätigkeit, die Caritas für die Qualitäts- und Familienbetreuung einen monatlichen Pauschalbetrag von 174 Euro. Bleiben unterm Strich für die Mutter 1040 Euro im Monat. Auch zwei Betreuerinnen würden sich noch knapp für die Familie ausgehen, zum Leben bliebe dann aber nicht mehr viel. Noch sei die Mutter ein "Betreuungsfall", sagt Menches: Sie ist nicht dement, einfach eine gebrechliche alte Frau; sie schläft viel, braucht Hilfe beim Aufstehen und Anziehen, im Haushalt, bei der Körperpflege, und natürlich etwas Gesellschaft. "Die Mutter ist mittlerweile zufrieden mit der Lösung. Sie will gerne 100 Jahre alt werden."

Auch, wenn sich der Gesundheitszustand verschlechtern sollte, will die Familie die Mutter zuhause pflegen, sofern keine Komplikationen oder Schmerzen hinzukommen. Der Betreuungs- und Pflegeaufwand würde dann aber komplizierter. Kopfzerbrechen bereiten aber schon jetzt die Fragen, was sein wird, wenn die junge Slowakin einmal krank ist oder länger Urlaub machen will.

So zufrieden die Familie mit der slowakischen Betreuerin auch ist, Frau Menches versteht es trotzdem nicht ganz, warum sich nicht auch mehr einheimische Frauen oder Männer für diesen Beruf oder konkret für die Form der 24-Stunden-Betreuung interessieren. Das wäre ihrer Meinung nach doch etwas für Frauen um die 40, deren Kinder erwachsen sind: zwei Wochen würden sie bei der zu Pflegenden wohnen, dann zwei Wochen frei haben. Zu geringer Verdienst, eher abschreckende Arbeitsbedingungen, so die Antwort der Experten. Es gebe in anderen Branchen, etwa im Handel, prekärere Arbeitsverhältnisse, kontert Menches.

"Doch, wenn sich die Lohnsituation in den östlichen Nachbarländern weiter an das EU-Niveau anpasst, werden auch von dort immer weniger Frauen bereit sein, für den momentanen Gehalt in Österreich Betreuungstätigkeiten zu leisten; oder mehr verlangen", meint Klaus Voget, Präsident der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation.

Viele Fragezeichen

Nur eines der vielen Fragezeichen rund um die 24-Stunden-Betreuung. "Das Gesetz ist ein erster Schritt, mehr nicht. Es kann auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein", bekräftigt Thomas-Peter Siegl die oft wiederholte Kritik der Caritas. Nun müsse ein Gesamtkonzept folgen, das Ausbildungs-, Finanzierungs- und Qualitätsstandards sichert. Es seien zudem mehr Flexibilität und Vielfalt bei den Dienstleistungen für Pflegebedürftige notwendig: Zuerst sollte der Bedarf der pflegebedürftigen Person eingeschätzt werden, daran angepasst das Betreuungs- und Pflegeangebot erfolgen, nicht umgekehrt.

Dass das Gesetz nachgebessert werden muss, erwarten viele Experten. Skepsis und Flop-Prognosen kamen von zahlreichen Seiten. Sozialminister Buchinger zeigt Zuversicht (zum Trotz): Er erwarte "einige Tausend Anmeldungen", dann würden die jetzigen Kritiker verstummen. Noch sind die Anmeldungen dürftig. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob das Modell angenommen wird oder nur neue "Umwege" schafft.

www.rundumbetreut.at

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