Nadelstreif statt Vollbart

Werbung
Werbung
Werbung

Ihr Äußeres angepasst, ihr Auftreten umgänglich - doch die Politik afghanischer Warlords ist die Gleiche geblieben: Machterhalt um jeden Preis.

Die Taliban sind besiegt. Der Krieg in Afghanistan ist vorbei, oder? Nicht ganz. Denn nun kämpfen es diejenigen, die sich kurzfristig zur Nord-Allianz gegen die Armee der Taliban, der Koranschüler zusammengeschlossen hatten, untereinander aus. In regelmäßigen Abständen werden Gefechte in Afghanistans Norden gemeldet. Von Kämpfen aus Baba-Ewaz, der größten Stadt des Sholgara-Distriktes ist zu hören, genauso wie aus dem angrenzenden Sari Pul-Distrikt. In dieser Region, südlich von Masar-i-Scharif, der größten Stadt des Nordens, ist die Lage am explosivsten. Dort verläuft die ausgefranste Grenze zwischen den lokalen Warlords, die mit den zwei großen Kriegsfürsten des Nordens, Atta Mohamed und Rashid Dostum verbündet sind. Alles, was westlich dieser Grenze liegt, sowie Teile der Samangan-Provinz, kontrolliert Dostum, alles was östlich davon liegt, Atta Mohamed.

In Masar-i-Scharif, der verlockenden Beute des Nordens, haben beide Fraktionen ihre Truppen positioniert und die Regierungsposten unter sich aufgeteilt. Eigentlich hätten beide nach Verhandlungen der UNO-Mission in Afghanistan (UNAMA) dort eine gemeinsame Polizeitruppe von 600 Mitgliedern aufstellen sollen. Alle anderen Soldaten hingegen sollten Masar-i-Scharif verlassen. Aber nun gibt es in der Stadt mehrere, jeweils zu einer Fraktion gehörende Polizeitruppen und viel mehr Soldaten, als dafür nötig wären. Diese "Polizisten" haben sich in leeren Kasernen, Verwaltungsgebäuden, Häusern und Hütten an der Straße eingerichtet und fahren auf Kastenwagen und mit Panzerfäusten über der Schulter durch die Stadt. Wenn es ihnen passt, stellen sie einfach einen Stuhl in der Mitte der Straße auf, spannen eine Schnur und kontrollieren die Autos. Alle tragen dieselben Uniformen. Man kann also nicht erkennen, zu welcher Fraktion sie gehören.

UNO kann nur zuschauen

In den Ministerien herrscht dafür mehr Eintracht. Dostums Junbesh-e Milli bekam das "Außenministerium", Atta Mohameds Jamiat-e Islami das "Innenministerium", und alle beide, sowie die Hazara-Partei Hisbe-i Wahadat, die dritte Fraktion im Bunde in Masar-i-Scharif, haben ein eigenes "Ministerium für Frauen und Soziales" eingerichtet. Die UNAMA kann bei diesem Machtkampf nur zuschauen und versuchen die verfeindeten Fraktionen an einen Tisch zu bringen. Dann treffen sich Dostum und Atta Mohamed, beteuern sich ihrer gegenseitigen Hochachtung - sagen die, die schon dabei saßen - bilden eine gemeinsame Kommission und gehen nach Hause, um den nächsten Zug zu planen, wie sie dem anderen endgültig das Wasser abgraben können.

Die beiden Warlords Rashid Dostum und Atta Mohamed misstrauen sich zutiefst, denn sie kennen sich schon sehr lange. Beide sind alte Recken des über zwei Jahrzehnte dauernden afghanischen Krieges. Rashid Dostum ist Ende vierzig und von der usbekischen Minderheit. In den siebziger Jahren war er Ingenieur in der afghanischen Gasförderung und Funktionär der kommunistischen Gewerkschaft. Erst kämpfte er auf der Seite der Sowjetarmee, dann gegen sie. Auf dem Höhepunkt seiner Macht, Mitte der neunziger Jahre, kontrollierte er einen Ministaat in Afghanistans Norden. Außer mit den Taliban war Dostum schon einmal mit jeder Fraktion in Afghanistan verbündet und hat sich schon mit jeder bekriegt.

Nadelstreif statt Vollbart

Auf der anderen Seite steht Atta Mohamed. Er ist Tadschike, Ende 30, und Sohn eines reichen Teppichhändlers in Masar-i-Scharif. Noch als Gymnasiast schloss er sich den Mudjahedin an, um gegen die Sowjetarmee zu kämpfen. Fotos aus dieser Zeit zeigen ihn mit dem langen Bart des frommen Moslems. Heute tritt er in der Öffentlichkeit jedoch zumeist im Nadelstreifanzug auf. Dem Namen nach ist er nur Kommandeur des 7. Afghanischen Armeekorps in Masar-i-Scharif, aber die vielen Bittstellerdelegationen vor seinem Parteihauptquartier, die eine Krankenstation in ihrem Dorf wollen, oder ein Problem mit ihrem lokalen Warlord haben, zeigen unmissverständlich, dass er der starke Mann der Stadt ist.

Die Biographien der beiden Kontrahenten erscheinen also so unterschiedlich, wie man sich das nur vorstellen kann. Aber das sind sie nur an der Oberfläche. Im Grunde denken und handeln beide sehr ähnlich. Sie betreiben den Krieg als Geschäft, und in dem Metier gibt es keine Freundschaften. Aus jahrlanger Erfahrung wissen sie, dass sie sich nicht arrangieren, ihre Claims nicht untereinander abstecken können, und dass sie keine Schwäche zeigen dürfen. Am Ende wird nur einer von ihnen übrigbleiben, weil sich zumindest außerhalb ihrer Stammesgebiete die kleineren Fraktionen und lokalen Warlords, deren Unterstützung sie beide brauchen, immer um den Stärkeren gruppieren.

Warlords treiben Zehent ein

Und da hat Atta Mohamed im Augenblick die besseren Karten. Denn er kann auf die Unterstützung der mächtigen Jamiat-Partei zählen, die in Kabul den Verteidigungs- und den Außenminister stellt, und die die eigentliche militärische Macht in Afghanistan in Händen hält. Dostum wurde in der Regierung nach der Loya Yirga-Versammlung nur stellvertretender Verteidigungsminister sowie Spezialbeauftragter für den Norden - beides Posten, die sich gut anhören, aber keine wirkliche Macht mit sich bringen. Er steht deshalb unter großen Druck seinem Klientel von lokalen Warlords zu zeigen, dass mit ihm noch zu rechnen ist, wenn er nicht langsam aus dem Norden vertrieben werden will.

Dostum als auch Atta Mohamed haben selbst nur ein paar tausend Kämpfer zur Verfügung, die sie selbst oder über ihre Posten aus dem Regierungsbudget bezahlen. Aber die Vielzahl von lokalen Warlords in den ländlichen Regionen und Dörfern wechseln schnell die Allianzen, wenn sie sich einen Vorteil davon versprechen. Im Kleinen sind sie das Abbild ihrer mächtigeren Herren. Sie besteuern die Bevölkerung. Oft bekommen sie den zehnten Teil der Ernte, manchmal lassen sie sich ihren Anteil in Geld auszahlen. Bei einigen ist der Übergang zu Erpressern fließend, denn sie holen sich ihre Einkünfte von denen, die sich nicht wehren können, wie zum Beispiel den Bewohnern der Flüchtlingslager.

Dann kommt es aber auch schon einmal vor, dass das Landvolk seinen "Beschützern" ein Schnippchen schlägt. So zum Beispiel vor ein paar Wochen, als acht Dörfer im Sari Pul-Distrikt von Atta Mohameds auf Dostums Seite wechselten, weil sie sich zu stark besteuert fühlten. Durch diese wechselnden Loya litäten entstehen dann so absurde Allianzen wie die zwischen General Dostum und der radikal-islamischen Fraktion Gulbudin Hekmatyars. Jenes Warlords, der für die Zerstörung Kabuls maßgeblich verantwortlich ist. Unter anderem beherrscht seine Fraktion ein paar Dörfer westlich von Masar-i-Scharif. Damit jeder sofort sieht, womit die Bewohner ihr Geld verdienen, bauen sie ihre Cannabis-Plantagen direkt an der Landstraße an. In diesen Dörfern leben Paschtunen, und es gibt viele Indizien, dass Dostums Soldaten nach dem Fall der Taliban - die überwiegend Paschtunen waren - Massaker in großem Umfang an den Gefangenen begangen haben.

Aber wie kommen Dostum und Atta Mohamed zu den vielen fabrikneuen Waffen und Geländewagen? Und wie bezahlen sie das Verteilungsnetz ihrer lokalen Satrapen? Ein Verdacht ist, dass sie ihre Aktivitäten durch Opium- und Heroinhandel finanzieren. Die zwei wichtigsten Schmuggelrouten nach Europa führen im Westen (nach Turkmenistan und über das Kaspische Meer) durch Dostums Region und im Osten (nach Tadschikistan) durch das Gebiet von Jamiat. Viele Beobachter fragen sich, ob nicht auch einige Nachbarländer die beiden mit Nachschub beliefern, um ihren jeweiligen Favoriten im Kampf um den Norden zu fördern, oder eben das gesamte Land zu destabilisieren, weil sie ein geeintes islamisch-konservatives und waffenstarrendes Afghanistan als Bedrohung empfinden.

Hilfsorganisationen bedroht

Nicht selten ist in der Politik die Geduld eine Tugend, aber im Fall der beiden Warlords im Norden Afghanistans wird sie auf keinen Fall zum Erfolg führen. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass Dostum oder Atta Mohamed in absehbarer Zeit die Ressourcen ausgehen werden. Und dass in diesem Klima der bewaffneten Konfrontation sich der eine oder andere aufgefordert fühlt, sein Gewehr auch für andere Zwecke zu benutzen, spürt nicht nur die Bevölkerung. Auch auf die Fahrzeuge von Hilfsorganisationen wurde geschossen, im Juni wurde eine europäische Mitarbeiterin von sieben Milizionären vergewaltigt und mehrere Hilfsorganisationen wurden überfallen und ausgeraubt. Niemand ist dafür bisher zur Rechenschaft gezogen worden.

Der Koordinierende Rat der Hilfsorganisationen in Afghanistan hat den UNO-Sicherheitsrat gebeten, Soldaten der Internationalen Sicherheitstruppe (ISAF) im Norden Afghanistan zu stationieren. Viele Bewohner von Masar-i-Scharif wünschen sich das so sehr, dass in der Stadt immer wieder das Gerücht umgeht, der Termin dafür stehe kurz bevor. Aber die das entscheiden, überlegen sich einen solchen Schritt sehr gut. Denn nach wie vor kann es in Afghanistan sehr leicht zu sehr viel Ärger kommen, wenn man sich zwischen zwei verfeindete, mit schweren Waffen ausgerüstete Fraktionen wagt.

Der Autor ist Afghanistan-Korrespondent.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung