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Nennt Schuld beim Namen!

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Es ist schon ein verwunderliches Phänomen: Wer in unserer Zeit die Serben für ihre schweren Verletzungen der Menschrechte kritisiert, ist in ihren Augen ein Feind der Serben und in den Augen der Kroaten ein Freund. Und logischerweise ist es umgekehrt genauso - wie sich dieser Tage wieder gezeigt hat. Als die internationale Helsinki Föderation für Menschenrechte die Ergebnisse ihrer kritischen Untersuchungen der Situation in der Krajina nach der Rückeroberung vorlegte, kannte die kroatische Empörung über diese „anti-kroatischen Aktivitäten” fast keine Grenzen. Die Serben hingegen meinten, Grand zum Frohlocken zu haben. Offenbar muß immer wieder erklärt werden, daß Menschenrechte ein Kriterium, eine Norm an sich darstellen. Ganz gleich, ob der Täter mein Freund oder mein Feind ist, die Schuld muß bei ihrem Namen genannt werden.

Töten, Vergewaltigungen, Brandschatzen, Plündern, Geiselnahmen unbewaffneten Zivilisten gegenüber - sind international anerkannte Verbrechen, darüber kann es keine moralische und keine politische Debatte geben. Dennoch wird ein Gericht einen Unterschied machen bei der Festsetzung des Strafmasses zwischen spontan begangenen und geplanten systematischen Verbrechen.

Ein Staat, der Krieg führt, ist zweifellos in einer schwierigen Lage, wenn seine Soldaten derartiger Verbrechen beschuldigt werden. Wenn der Staat mitten im Krieg diejenigen Soldaten, die derartige Verbrechen begangen haben, zur Verantwortung zieht, besteht die Gefahr, daß die anderen Soldaten in ihrer Motivation verunsichert werden. So jedenfalls wird der verantwortliche Staat die Lage vordergründig sehen.

Die Soldaten müssen, ob Krieg oder Frieden, im Rahmen ihrer Ausbildung über die international geltenden Regeln der Kriegsführung gründlich informiert werden. In einem Krieg, wie er seit mehr als vier Jahren auf dem Boden Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens geführt wird, müssen zusätzlich sehr präzise Informationen darüber gegeben werden, was einerseits der kroatischen Zivilbevölkerung, nicht zuletzt Frauen und Geistlichen angetan wurde, und andererseits wie die internationale Öffentlichkeit solche Verbrechen einstuft. Vor einem solchen Hintergrand sollte es eine klare Aufgabe der kroatischen Soldaten sein, nicht dieselben Verbrechen zu begehen, auch dann nicht, wenn sie sich immer noch von den serbischen Tätern dadurch unterscheiden mögen, daß sie zu ihren Handlungen von Emotionen wie Vergeltungsbedürf-nis und Rachegelüsten getrieben werden.

Für einen jungen Staat, der sich als gleichberechtigter Partner in der europäischen, demokratischen Staatengemeinschaft verstehen will, der also nicht das Schicksal des isolierten und verfemten Serbiens erleiden möchte, wäre dies der adäquate, der zu erwartende Weg.

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