Neue Mischung, neue Akzente

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Bei einer Tagung im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg zum Thema "Mindestsicherung" werden auch die Betroffenenzu Wort kommen.

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Bei einer Tagung im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg zum Thema "Mindestsicherung" werden auch die Betroffenenzu Wort kommen.

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Der Diskurs um die Einführung einer bedarfsorientierten Mindestsicherung beziehungsweise eines allgemeinen Grundeinkommens wird seit Ende der achtziger Jahre in Österreich geführt: Die Forderung wird zumeist ethisch argumentiert und führt direkt zu den Fragen "Was ist Arbeit?" und "Welchen Wert hat die nicht monetäre Arbeit von Frauen?"

Die Tagung "Grundsicherung als Modell - geschlechter- und sozialgerecht? Treffsicher an Frauen vorbei?" am 9. und 10. Februar 2001 im Bildungshaus St. Virgil/Salzburg geht dabei allerdings von Gesprächen mit den Betroffenen selbst (überwiegend Frauen) aus. Das sind Obachlose, Behinderte, Arbeitslose, Alleinerzieherinnen und Ehrenamtlich Tätige. Das Ergebnis dieser Gespräche wird mit den Standpunkten von Fachleuten diskutiert. Von dieser neuen Mischung erwarten sich die Veranstalter/innen neue Akzente und Impulse.

Brigitte Singer vom Salzburger Bildungswerk und Hildegard Schreckeis-Nägele vom Bildungshaus St. Virgil gehen bei der Planung auf die Vorgängerveranstaltung "Frauenarbeit zwischen Amt und Ehre" zurück: hier war die Absicherung für Frauen in ihrer Carearbeit, bei ihrer unbezahlten Arbeit zum Gemeinwohl ein immer wieder kehrendes Thema. "Besonders in der gesellschaftspolitischen Diskussion ehrenamtlicher Tätigkeiten, der zivilgesellschaftlichen Leistungen, stellt sich die Frage nach der Grundsicherung als Mittel zur Absicherung der Frauen. Die Frage für uns ist: Was würde sich für die Frauen und was für die Männer ändern?", will Singer, zuständig für Frauenbildung im Salzburger Bildungswerk, bei der Tagung hinterfragt wissen.

Modelle von Grundsicherung und Grundeinkommen werden als Alternativen zu den bestehenden Sozialnetzen regelmäßig diskutiert. In St. Virgil sollen diesmal auch die Betroffenen miteingebunden werden.

Die beiden Erwachsenenbildnerinnen sehen als weiteres Ziel der Tagung die Deklaration der unterschiedlichen Einstellungen zur Arbeit, die Positionierung der gemeinnützigen Arbeit und dem politischen Handeln: "Wir wollen die individuelle Stärkung der Frauen mit politischer Stärkung verbinden."

Mütter mit Kleinkindern, Langzeitarbeitslose, Obdachlose, Sozialhilfeempfänger, Alleinerzieherinnen, Frauen mit Behinderungen und ehrenamtlich Tätige waren die Zielgruppen der vorangegangenen Focusgespräche. In all diesen Gruppen wurde die Angst, dass sich Personen bedienen würden, die eine Grundsicherung gar nicht brauchten, deutlich ausgesprochen. Ebenso wurde das Ausnützen von Sozialleistungen generell als Übel dargestellt. Bemerkenswert ist, dass Alleinerzieher und Alleinerzieherinnen die geringste Angst vor einem Missbrauch der Grundsicherung haben.

Universitätsprofessor Nikolaus Dimmel vom Institut für Rechtssoziologie und Institut für Europarecht der Universität Salzburg und ehemaliger Leiter des Sozialamtes der Stadt Salzburg, entkräftet die Befürchtungen, Grundsicherung würde Schmarotzertum fördern, in zweierlei Richtungen: zum einen von der Statistik der Sozialhilfebezüge her, zum anderen vom Bewusstsein her, dass Betroffene verzweifelt und schnell Wege aus der Arbeitslosigkeit suchen.

Er beschreibt in der Entscheidung zwischen Sozialhilfe oder Grundsicherung die Diskrepanz zwischen Einkommensarmen in Österreich und der Gesamtzahl der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger: "Zwischen 1990 und 1997 sank die Gesamtzahl der Sozialhilfeempfängerinnen und Empfänger von 60.662 auf 32.336 um 47 Prozent, um 1998 erneut auf 56.490 zuzunehmen. Zugleich wurden 1998 in Österreich 440.000 Einkommensarme statistisch erfasst."

Dies hänge, so Dimmel, mit dem schlechten Image der Sozialhilfe, dem Scham- und Stigmatisierungsgefühlen der potentiell Betroffenen zusammen. Sozialhilfe diene der Überbrückung außergewöhnlicher Notlagen, gewährleiste aber von ihrer Anlage niemals die Abfederung regelmäßig wiederkehrender und massenhaft auftretender sozialer Risikolagen wie etwa der Arbeitslosigkeit.

"Umgekehrt", so meint der Experte, "gibt es innerhalb des Modells der bedarfsorientierten Grundsicherung keinen Anreiz, nunmehr keine Arbeit aufzunehmen. Grundsicherung bedeutet, einen finanziellen Puffer zu haben, von dem aus man eine bessere Position hat. Man kann sich einen qualitätsvolleren Job suchen oder einen, der einem auch wirklich liegt."

Wer? Wann? Wo?: Viele Standpunkte, stark gebündelt Die Tagung "Grundsicherung als Modell - geschlechter- und sozialgerecht" findet am 9. und 10. Februar 2001 im Bildungshaus St. Virgil, Ernst Greinstr. 14. 5020 Salzburg, statt.

Veranstalter: Bildungshaus St. Virgil, Büro für Frauenfragen und Gleichbehandlung des Landes, Salzburger Bildungswerk, Katholisches Bildungswerk, Katholische Frauenbewegung, Evangelische Frauenarbeit Salzburg/Tirol.

Anmeldung: Tel. 0662-65901 Fax: 0662-65901-514 und E-Mail: office@virgil.salzburg.at Tagungsgebühr: öS 380,-.

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