Neuer Anstrich für Maos Rostgürtel

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Die traditionellen Schwerindustriestädte in Chinas Nordosten schütteln ihre Vergangenheit ab und werden modernisiert – dem Umweltschutz nützt es und Massenarbeitslosigkeit konnte noch verhindert werden.

Von der nordostchinesischen Provinzhauptstadt Shenyang ins benachbarte Fushun sind es nur 40 Kilometer. Doch die Fahrt in nordöstlicher Richtung geht um gefühlte zwanzig Jahre zurück. Die vor modernen Hochhäusern strotzende Siebenmillionen-Stadt Shenyang endet mit einem im Bau befindlichen „International City“ genannten Viertel. Der Bauzaun verspricht mit gemalten Szenen von Swimming Pools und Shopping großen Luxus. Daneben wartet ein gerade fertiggestellter Gewerbepark mit Gebäuden aus Glas und Stahl auf solvente Investoren. Dann verengt sich die Straße schlagartig von zehn auf vier Spuren. Es kommen ärmliche Felder und marode Backsteinhütten, bevor in der Zweimillionenstadt Fushun erste veraltete Fabriken und graue Wohnblocks zu sehen sind. Von den immer zahlreicheren Plattenbauten werden die ersten bereits abgerissen.

In Fushun stinkt die Luft immer mehr nach Chemie und verbrannter Kohle, bis zwischen grauen Schornsteinen ein gigantisches Erdloch klafft. In der nach Firmenangaben 6,6 Kilometer langen, 2,2 Kilometer breiten und vierhundert Meter tiefen Tagebaugrube West wird seit 1914 Kohle abgebaut. „2017 ist Schluss“, sagt Ingenieur Tong Hong Lu vom staatlichen Tagebau West. „Eine von Fushuns vier Minen ist schon erschöpft.“ Trotz der momentanen Krise sei beim Tagebau West keiner der 4000 Mitarbeiter entlassen worden, so Tong. Er trägt das Parteiabzeichen stolz an der Brust seiner grünen Arbeitsjacke. Die Mine versorge noch 10.000 pensionierte Arbeiter, sagt er. Kindergärten und Schulen seien schon der Stadt übertragen worden.

Wiege der chinesischen Industrie

Die Schwerindustriestädte im „Chinas Rostgürtel“ genannten Nordosten erleben seit den 1990er-Jahren einen tiefgreifenden Strukturwandel. Der heute Dongbei genannte Nordosten, der aus den Provinzen Liaoning, Jilin und Helongjiang mit 107 Millionen Einwohnern besteht, war wegen seines Rohstoffreichtums vor hundert Jahren die Wiege der chinesischen Industrie. Japan besetzte Ende 1931 die damals Mandschurei genannte Region und trieb für seinen Krieg deren Industrialisierung voran. Nach der Revolution 1949 orientierte sich Chinas Industrie an sowjetischen Schwerindustriekombinaten. Heute ist mancherorts ein Ende des Ressourcenabbaus absehbar. Die Region muss Millionen Arbeitern Alternativen bieten, sonst droht sie zum sozialen Pulverfass zu werden.

Schon 2003 startete Peking das Programm zur „Revitalisierung des Nordostens“. Es war die Antwort auf große Arbeiterproteste 2002. Liaoning begann ein „Fünf Punkte und eine Linie“ genanntes Programm, das die Modernisierung von fünf Hafenstädten und deren Verbindung durch moderne Auto- und Eisenbahnen vorsieht. In Shenyang und acht Nachbarstädten, darunter Fushun und Benxi, wird laut Yin Yan, Vizedirektor von Liaonings Planungs- und Entwicklungskommission, für eine Megacity von 22 Millionen Einwohnern geplant.

In Liaonings Hauptstadt Shenyang ist der Strukturwandel deutlich sichtbar. Zwar steht noch eine riesige Statue des Revolutionsführers und Staatsgründers Mao Zedong am zentralen Zhongshan-Platz. Sie erinnert durch ihre Kampfszenen zu Maos Füßen nicht nur an den Krieg gegen Japan und die Nationalisten, sondern auch an die Zeiten, als heroische Arbeiter noch als Avantgarde das Neue China repräsentierten. Inzwischen wurden aber fast alle Industrien an den Stadtrand umgesiedelt.

Vor dem Sprung an die Börse

Auch Yang Yi ist auf dem Sprung. Der 43-jährige Ingenieur ist Vertriebschef des Schwermaschinenbaukombinats Northern Heavy Industries (NHI) mit 9600 Mitarbeitern. Die Firma war 1937 während der japanischen Besatzung von Sumitomo gegründet worden. Seitdem gab es einige Wechsel: „Wir waren schon im Besitz des Zentralstaats und der Provinz. Heute gehören wir der Stadt,“ sagt Yang. „In fünf Jahren wollen wir an die Börse.“

Bis Oktober sollen alle Betriebsteile in ein neues Industriegebiet umziehen. „Unser neues Gelände ist dreimal so groß wie das alte“, sagt Yang. Einige Hallen haben bereits Hochhäusern Platz gemacht. Die Stadt habe den Boden verkauft, um das neue Gelände und den Umzug zahlen zu können. Auch von Pekings aktuellem Konjunkturpaket profitiert NHI. „Mit dem Umzug bekommen wir neue Maschinen, Zulieferer ziehen zu uns, und so werden wir profitabler und umweltfreundlicher“, freut sich Yang.

Liaoning gelangen viele Neuansiedlungen. So baut Intel in der Hafenstadt Dalian für 2,5 Milliarden Dollar eine Chipfabrik. Shenyang wird nach Changchun im benachbarten Jilin die zweite Autoindustriestadt im Nordosten. 2003 gründete BMW mit dem lokalen Hersteller Brilliance ein Jointventure. Seitdem kommen immer mehr Zulieferer wie der zur deutschen Würth-Gruppe gehörende Schraubenhersteller Arnold. „Weil hier eine alte Industrieregion ist, gibt es preiswerte Fachkräfte“, begründet Firmensprecher Jens Li die Standortwahl.

Keine Massenarbeitslosigkeit

In Shenyang ist fast niemand zu finden, der den bisherigen Wandel kritisiert. Nach einer Beschäftigungskrise Ende der 1990er-/Anfang der 2000er-Jahre gelang es, Entlassene schnell wieder in Arbeit zu bringen und neue Massenentlassungen zu verhindern. Heute beträgt die Arbeitslosigkeit in der Stadt offiziell 3,9 Prozent. Zahlen sind in China immer mit Vorsicht zu genießen. Auch kommen Wanderarbeiter in der Statistik nicht vor. Doch es gibt keine Zeichen für Massenarbeitslosigkeit hier, wenngleich die vielen als ABM-Kräfte eingestellten Hilfsverkehrspolizisten nicht zu übersehen sind. Auch viele neue Hochhäuser stehen leer, während noch zahlreiche andere im Bau sind. Auch die neuen Industriegebiete sind nicht ausgelastet.

Verbesserungen im Umweltschutz

Deutlich sind Verbesserungen beim Umweltschutz. Am auffälligsten ist das in der Stahl- und Kohlestadt Benxi mit heute 1,5 Millionen Einwohnern eine Autostunde südöstlich von Shenyang. Sie galt noch Mitte der 90er-Jahre als dreckigste Stadt Chinas. Meist war sie wegen hoher Luftverschmutzung nicht auf Satellitenbildern zu sehen. Inzwischen ragen stillgelegte rostige Industrieanlagen in den Himmel, während neue Fabriken sauberer produzieren.

Während andernorts die natürlichen Ressourcen zur Neige gehen, meldet Benxi den Fund neuer Eisenerzvorkommen. Die auf angeblich drei Milliarden Tonnen geschätzte Mine, die Chinas dreieinhalbfachem Jahresverbrauch entspricht, ist bei heutigen Preisen 246 Milliaden US-Dollar wert. Verdächtig am Fund ist jedoch dessen Zeitpunkt: Die Verkündung erfolgte, als China gerade mit seinen Erzlieferanten Australien, Brasilien und Indien über Preisnachlässe stritt. Der gigantische Fund dürfte den Druck zu Preissenkungen erhöhen.

Der pensionierten Arbeiterin, die sich als Frau He vorstellt, geht der Wandel zu schnell, wie vielen anderen Rentnern auch. In ihrem Zimmer im Shenyanger Arbeiterviertel San Taizi steht eine Mao-Büste einer Plastikpuppe mit markierten Akupunkturpunkten gegenüber. „Die 50er-Jahre waren die beste Zeit“, sagt die 75-Jährige. Sie arbeitete in der Shenfei-Flugzeugfabrik an der Stanze. Die Arbeiter wurden im damals neuen Viertel kaserniert. Heute ist es offen, aber heruntergekommen. Überwiegend Alte leben hier. Laut He drohe dem Viertel der Abriss. Zwischen den dreistöckigen Blocks wächst wildes Grün, gibt es kleine Gärten. Rentner hocken vor den Häusern, schwatzen … – eine Idylle in der hektischen Stadt.

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