Nicht bei sich stehen bleiben

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Der Zeitgenosse denkt vorwiegend in folgenden Dimensionen und Begriffsmodellen über den Staat: Was muß ich zahlen, und was bekomme ich dafür? Welche Ansprüche habe ich gegenüber dem Staat oder staatlichen Einrichtungen? Der Autofahrer fühlt sich als Melkkuh der Nation; der Gesunde glaubt sich von eingebildeten Kranken übervorteilt; der Arbeitnehmer denkt, von Arbeitslosen über den Tisch gezogen zu werden. Alle beziehen Leistungen nur ich nicht!

Das Anspruchsdenken kann aus dem Rechtsstaat nicht weggedacht werden. Ansprüche besitzen auch einen zeitlichen Aspekt, nämlich die sofortige Bedürfnisbefriedigung. Alles muß man sofort haben: Menschen, Güter, Kenntnisse, nach der Devise: Jetzt haben - später zahlen! Die Kreditkartenmentalität hält immer stärker Einzug in die Lebensgestaltung. Noch nie ist der Markt so empfänglich gewesen für alles Schnelle, wie in unserer Epoche. Schnelle Autos und Computer, schnelle Abenteuer und Romanzen, schnelles Essen und Entsorgen durch Fettabsaugung.

Das Skurrile dabei: das Leben bleibt meist auf der Strecke: wir leben nicht mehr - wir warten: auf Neues, auf Schnelleres, auf Besseres. Aber wo ohne Problem Ersatz besteht, geht die menschliche Wertschätzung rapide zurück. Eine Wegwerfmentalität, die sich immer weiter ausbreitet, greift Platz. Was ja auch in der Volksweisheit "Was nix kost', is' nix wert" seinen Ausdruck findet.

Ohne Minimum an Wertschätzung steht der Maßstab im sozialen Kontext auf wackeligen Beinen. Das, was ich von der Allgemeinheit bekomme, ist selbstverständlich Das, was ich nicht oder nicht mehr bekomme, gibt Grund für Aufregung und Protest.

Der Auseinandersetzung mit Waffen stellt der Rechtsstaat den Kampf der Ansprüche gegenüber. Ein friedenssicherndes System, in dem sich jeder prinzipiell erst einmal um seine eigenen Angelegenheiten kümmert. Der Mensch spielt nicht mehr die Rolle eines willfährig behandelbaren Untertanen, sondern wird Partei, ein (gleich)berechtigter Partner.

Kontext beachten Wichtig wäre dabei, das Wir verstärkt in einen Zusammenhang mit dem Ich zu bringen. Das heißt nicht (bedingungslose) Abhängigkeit, wie es etwa manche Kommunitaristen fordern. Das individuelle Denken darf nicht bei sich selbst stehen bleiben, es muß vielmehr auch den größeren Kontext in seine Überlegungen und Abschätzungen mit einbeziehen. Salopp formuliert: Ich darf nicht alles, was ich (rechtlich) dürfte oder könnte.

Wenn ich selbst in der Lage bin, für mich zu sorgen, meine grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen, dann sollte ich auch Solidarität erübrigen können für jene Menschen in meinem sozialen Gefüge, die weniger haben als ich. Verzicht im Kontext von Staat und Gesellschaft setzt jedoch Ansprüche voraus. Ich kann nicht auf etwas verzichten, worauf ich keinen Anspruch, kein Anrecht habe. Anspruchsdenken per se ist zu Recht eine zentrale Denkfigur im rechtlichen Rahmen des Staates. Wesentlich ist aber, das Wie des Anspruchsdenkens immer wieder neu zu hinterfragen.

In einem komplexen sozialen Gefüge, wie es der österreichische Staat ist, wäre die Anerkennung und die Abwicklung von Begehren, die nicht auf rechtlichen Ansprüchen basieren, unmöglich, sehr leicht despotisch und beliebig. Dennoch wird man um eine ständige Beobachtung und eine Korrektur im Lichte der persönlichen Verantwortung jedes einzelnen nicht umhinkommen, will man das Anspruchsdenken als zentrales Denkmuster des Rechtsstaates nicht in seiner Durchführbarkeit gefährden.

Ein persönlicher Vorschlag: Ich begnüge mich in aller Bescheidenheit damit, den "Vierten Weg" zu proklamieren. Phantasievolle, menschliche Lösungen zu finden, das muß nicht immer und unbedingt heißen, das Bestehende einfach linear weiterzuschreiben. Überspringen wir den dritten Weg, vergessen wir den so attraktiven Kommunitarismus und andere moderne Rezepte sozialer Regelungen. Machen wir etwas Neues, das eigentlich nicht neu ist.

Was zählt mehr? Weisheit oder Cleverness und Schläue, Würde oder Glamour, guter Ruf oder Ruhm, guter Charakter oder Persönlichkeit, Respekt oder Druck und Angst? Als zeitgeistiger Mitbewohner wird man vielleicht eher zum jeweils zweiten Begriff tendieren. Wen das befriedigt - bitte. Aber wer sich von den anderen Eigenschaften oder Haltungen mehr beeinflußt oder angezogen fühlt, dem steht noch ein anderer Weg offen.

Respekt vor anderen Nicht unbedingt der Theorie der kleinen Schritte hänge ich nach, aber statt himmelhohe, hehre Ziele zu verfolgen, sollten wir uns einfach, jeder für sich und in seinem Bereich, anstrengen, anständige Menschen zu werden, zu bleiben, zu sein. Für viele sind "Anstand" und "anständig" gefährliche Ausdrücke, die an düstere Zeiten erinnern. Einen negativen Mitklang kann ich natürlich nicht ausschließen. Er ist aber nicht beabsichtigt, und ich lasse mich nicht ins Lager der Ewig-Gestrigen drängen. Wichtig und bedeutsam ist der Aufruf: den Menschen Mensch sein zu lassen. Man darf von niemandem verlangen, Heiliger oder Held zu sein, aber ein wahrhaftiger, authentischer, ehrlicher und offener Mensch, der anderen mit Respekt begegnet.

Der Autor hat vor kurzem eine Dissertation zu diesem Thema veröffentlicht.

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