"Nicht genügend" für den ÖGB

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Wenn Studierende der Sozialwissenschaften ihre ersten Fragebogen basteln, zeigen sich - bei aller wissenschaftlichen Vorbereitung und Anleitung - fast immer zwei Muster: entweder die Jungforscher fragen drauf los, als seien ihre potentiellen Befragten Studienkollegen, das heisst, sie setzen sozialwissenschaftliche Denkmuster und Sprachschablonen voraus. Oder aber: sie formulieren so, als hätten sie es mit Analphabeten von einem anderen Stern zu tun. Es ist sehr heilsam für beide Gruppen, wenn sie dann zum sogenannten Pretest "ins Feld" geschickt werden, also vor der eigentlichen Befragung die Tauglichkeit des von ihnen entwickelten Instruments testen müssen.

Eher selten kommt es vor, dass Studierende mit einem Entwurf so sehr in beide Fehlerfallen tappen wie der ÖGB mit den geplanten Fragen zur Urabstimmung. Die Frage nach Beibehaltung der Pflichtversicherung etwa muss nicht für jeden einsichtig sein, der sich mit dem - im Fragebogen nicht angesprochenen - kontrastierenden Thema der Versicherungpflicht nie auseinandergesetzt hat. Man muss schon überdurchschnittlich gut informiert sein, um dazu etwas sagen zu können - und selbst dann tut man sich mit einem simplen ja oder nein schwer.

Die Forderung nach einer schulischen und beruflichen Bildungsoffensive ist wiederum so banal, dass man sie tatsächlich als "no-na"-Frage bezeichnen kann. In einzelnen Fällen werden sogar innerhalb einer Frage mehrere Fehler begangen - vor allem dort, wo man gleich zwei oder drei Themen in eine Fragestellung verpackt: Was ist, wenn der Befragte einmal mit ja und einmal mit nein anworten will und einen dritten Teil der Frage nicht wirklich versteht? Zum Beispiel in Bezug auf den Anspruch auf Abfertigung ab dem ersten Tag (1), auch bei Selbstkündigung (2), und mit freier Verfügbarkeit durch die ArbeitnehmerInnen (3)? Also: beim sofortigen Anspruch ab Beginn der Beschäftigung ist jemand dafür; ein Anspruch bei Selbstkündigung wird abgelehnt, und was unter freier Verfügbarkeit zu verstehen ist, weiß er/sie nicht so genau. Soll er/sie jetzt insgesamt ja oder nein ankreuzen?

Im Proseminar aus empirischer Sozialforschung würde man mit solchen Fragen durchfallen. Und dem ÖGB könnte das Votum überhaupt verweigert werden ...

Die Autorin ist Professorin für Gesellschaftspolitik an der Universität Linz.

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