Nicht ohne meine Vorurteile!

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Leiden an der Kirche ist in, gerade bei der Frauenfrage. Doch dabei bleibt oft die Frauengeschichte auf der Strecke. Vor allem die jüdisch-christliche.

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Leiden an der Kirche ist in, gerade bei der Frauenfrage. Doch dabei bleibt oft die Frauengeschichte auf der Strecke. Vor allem die jüdisch-christliche.

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Die Frauenfrage spielt sich heute weithin im areligiösen Feld ab, fernab von christlichen Vorgaben. Der herkömmliche Glaube, gestützt auf viele Bibelstellen, sei - so meint man - dem Thema Frau eher abträglich gewesen, habe Unterordnung, Dulden, Sich-Einfügen gelehrt. "Wie vormals gegen ihre Feinde muß sich die Kirche heute zuweilen vor ihren eigenen Kindern verteidigen. Hamlet, der seiner Mutter das Gewissen erforscht, ist die Rolle Tausender auf offener Szene, Zehntausender hinter den Kulissen geworden." So Joseph Bernhart 1935, so die Lage heute.

Besonders wer heute über das Thema "Frau" schreibt und das Ganze in die Helle des Christentums stellt, gerät in den Drachenwald: in die Abrechnung mit dem Christentum in einer unduldsamen, ja gehässigen Variante. Geschichte läßt sich ja herrlich ungeschichtlich unter den Leitlinien heutiger Emanzipation abfragen. Nicht ohne meine Vorurteile!

Hier stehen die Väter in der Mutter Kirche, aber auch die gläubigen Frauen in der Männerkirche vor einem eigentümlichen Tribunal, das in den letzten Jahren scharf zu einer immer noch anschwellenden Kirchenschelte überging. Wer als Frau heute zur Kirche gehört, kann das nur "trotzdem" - meinen viele (auch Frauen). Leiden an der Kirche ist in, Kirche selbst ist mega-out - meinen viele (auch Frauen).

Dabei bleibt jedoch - so die These - in der Regel die reiche, vielgesichtige Frauengeschichte auf der Strecke. Vor allem bleibt auf der Strecke, wie sich die Frauen der jüdisch-christlichen Lebenswelt selbst verstanden.

Geschichte, damals Jahrhunderte mühten sich um die Nachzeichnung des unausschöpflichen Beispiels Jesu, ob es nun wortlos oder worthaft war. Und so kommt es tatsächlich zu einer Art irdisch-geschichtlichen Wunders im Christentum. Paulus hat es als erster formuliert; das Zitat mag übernutzt sein, ist aber in seinem revolutionären Gehalt noch nicht ausgeschöpft. "Es ist nicht Jude nicht Grieche, nicht Sklave nicht Freier, nicht Mann nicht Frau, all seid Ihr eins in Christus" (Gal 3,28). Die handgreifliche Welt der Unterschiede aller zu allen tritt zurück.

Wenn man über diese unsterbliche, in der ganzen Antike, auch bei Sokrates nie gehörten Botschaft nachdenkt, so war auch die berühmte Erklärung der Menschenrechte nur ein Neusingen der urchristlichen Melodie. Diese Melodie ist das Konzept der freien Person, unabhängig von Geschlecht, Bildung, Rang und Würden, Volk und Rasse, Können, Nichtkönnen. Dies hat das Christentum über die spätantiken Religionen hinauskatapultiert, hat es als Sprengsatz in die Geschichte eingebaut: als Sprengsatz der vielerlei religiösen Vorbehalte, wer zu welchem Gott hinzutreten dürfe, wer überhaupt kultfähig, wer letztlich Mensch sei.

Zweifellos fanden sich Frauen in den früher magisch-mythischen Kulturen wie in den späteren Vater-Kulturen "eingeräumt": als Fruchtbarkeitssymbol, als Gebärerin, als Sexualreiz, als Dienerin und gefügiger Besitz. In manchen dieser Zuordnungen steckte unterschwellige Macht, in vielen Zähmung und Brechung des Weiblichen. In keinem Lebensentwurf aber ging es, konnte es gehen um Freiheit. Wenn Griechenland von Eleutheria redete, so meinte dies die Freiheit weniger Männer, die weder Sklave noch Weib noch Barbar waren.

Und es waren die Frauen, die den Geruch vom Ende der Sklaverei - auch der religiösen - schnell erfaßten. Was heißen soll, daß die Frau aus der gewohnt leiblichen Mitgift und dem daraus abgeleiteten Nutzen und der Übernutzung freigesetzt wurde: aus dem Nutzen als Sexualobjekt, als Gegenstand irritierender Faszination, als fruchtbare Gebärerin möglichst vieler Kinder, als magische Verwalterin lebendiger und tötender Kräfte des Unbewußten, als Dienerin und Unterworfen-Willenlose, als Kultsymbol ohne eigene Züge (wie in den Fruchtbarkeitsriten) - in jedem Fall als Wesen ohne eigene Individualität und Freiheit des Selbstseins.

Zur Eigenständigkeit und Personalität der Christin gehörten weder mehr einfach das Mutterdasein noch der Triebbereich des Geschlechtes und seiner magisch-unbewußten Macht noch die bloße Arbeitsvernutzung, sondern jener "eigene Name", von dem die Apokalypse spricht und der paulinisch nicht weniger deutlich "die Freiheit der Kinder Gottes" heißt.

Ein solches Begreifen war durch den Alten Bund vorbereitet und läßt sich geschichtlich dingfest machen: Zu vielen Tausenden bekehrten sich Heidinnen der hellenistischen Welt zum Judentum. Denn es bot zu dieser Zeit Zuflucht für Frauen; dort suchten sie Würde und Freiheit.

Im Alten Testament gibt es keine Fruchtbarkeitsgöttinnen, keine Tempel-Prostitution, sondern Prophetinnen, Richterinnen, Mütter des Glaubens. Und das Christentum begann seinen siegreichen Zug von den neujüdischen Gemeinden im Ostteil des römischen Reiches aus. Frauen waren dort der zahlenmäßig größte Teil; ihre herausragende Mithilfe bei der Befestigung des Christentums ist bezeugt durch die berühmte Namensliste des Paulus am Ende seines Römerbriefs.

Freie Christinnen Ja es scheint, daß das junge Christentum in den ersten Jahrhunderten einen ungeheuren Zulauf von Frauen hatte, weil es nämlich die Lebensform der unabhängigen Frau, als Jungfrau oder Witwe, entwickelte, sehr im Unterschied zu den vielerlei Rechtlosigkeiten der spätantiken Ehefrau, von den Sklavinnen ganz zu schweigen.

Der außergewöhnliche Zulauf selbständiger Frauen führte bereits im 1. Jhdt. dazu, daß die jungen Gemeinden offenbar zu wenig Geburten aufwiesen, weswegen die Christinnen erneut darauf verpflichtet werden: "Die Frau wirkt aber ihr Heil durch Kindergebären" (1 Tim 2,15). Das heißt aber, gegengelesen, daß die Christinnen von Anfang an sich unter dem neuen Zeichen der Personalität einfanden, und Personalität bedeutet wesentlich Eigenstand.

Diese Selbstverständlichkeit zieht sich durch die 2000jährige Geschichte kirchlichen Wachstums. Natürlich liegt deswegen nicht einfach ein goldenes Zeitalter vor Augen. Aber eine vorher undenkbare soziale Dynamik brachte eine christliche "Frauengeschichte" hervor, die freilich keineswegs schon geschrieben oder hinreichend im heutigen Bewußtsein gegenwärtig ist. Durch alle europäischen Jahrhunderte finden sich Frauen (die große Caterina von Siena!), die sich auf nichts als ihre Geistbegabung und Sendung berufen, besonders erwähnenswert sind die Klöster, denen reiche Lebensformen der selbständigen und gebildeten Frau entspringen. Gerade hier zeigt das Eindringen in die Geschichte weit mehr weibliche "Selbstverwirklichung", als mit der Blickeinengung des 19. und 20. Jhdts. aus wahrgenommen wird.

Nun wird an dieser Stelle Einspruch laut. Mittlerweile fast buchhalterisch aufgelistet, wie die christlichen Gesellschaften ihrerseits an der Unterordnung der Frau feilten, gedanklich wie praktisch. Auch bei einer nur beiläufigen Kenntnis der abendländischen Kulturgeschichte steigt fast von selbst die gegenteilige Erfahrung hoch: die Nötigung der Christin zum Schweigen, ihre - wie aus anderen Kulturen bekannte - Einräumung ins Innere des Hauses, ihre erforderliche Konzentration auf besondere Tugenden als da sind Demut, Gehorsam, Selbstlosigkeit bis zur Selbstverleugnung. Umgekehrt wird dem Mann mehr und anderes zugeschrieben: die Stellung als Haupt der Familie, Amtsfähigkeit, Rechtsträger, "Besitzer" seines Haushalts mit Schutzverpflichtung.

So sehen Anthropologie und Alltags- wie Rechtspraxis des Abendlandes vielfach anders aus als im Alten und Neuen Testament theoretisch grundgelegt. Das liegt auch an den Missionierungswellen, die heidnische Denkwelten einbezogen und christlich bearbeiten mußten: etwa die Griechen und Römer, die Germanen und Slawen. So hat sich in den letzten Jahren ein Verdacht ins Glaubensgefühl geschlichen, der von nicht wenigen herausfordernd geäußert, von anderen eher unbehaglich empfunden wird: Verbaut die jüdisch-christliche Herkunft am Ende eine wirklich neue Geschlechterbeziehung?

Irritierend gegenwärtig sind zudem andere Modelle: etwa die verbreitete Auffassung, erst die Renaissance und letztlich die Aufklärung hätten auch für die Frau die strahlende Vision von freier und vernünftiger Menschlichkeit geschaffen - im Gegenzug gegen christliches Dunkelkammerdasein. Aber nicht nur von der selbstbewußten Neuzeit, auch von "rückwärts" wird die jüdisch-christliche Welt bedrängt: Die gegenwärtige Frauenforschung hat ein Gebiet eröffnet, das Studium "matriarchaler" Kulturen, worin die Göttinnen selbstverständlich und die Aufgabenbereiche der Frau vielfältig, fremd, anziehend anders sind. Viele Frauengruppen glauben, im Blick auf diese "einstigen Mütter" endlich ihr verlorenes Pantheon, den Raum eigener "weiblicher Kraft" zu finden.

Diese "Bedrängnisse" des Christentums, von innen wie von außen, sind ernst zu nehmen. Warum lehrte Teresa von Avila im 16. Jahrhundert ihre Schwestern ein Dankgebet, weil sie ins Kloster und nicht in die Ehe berufen seien, wo sie doch nur geschlagen würden? Warum hatte Tertullian die Frauen zum Einfallstor der Sünde erklärt? Warum wurde Mary Ward im 17. Jhdt. mit ihrem genialen Konzept der Mädchenbildung aus geistlichem Munde daran erinnert, daß sie ja doch "nur eine Frau" sei? Oder prüft man nur die letzten 100 Jahre kirchlicher Aussagen über die Frau, und zwar quer durch die Konfessionen, so findet sich allenthalben der Tenor einer deutlichen Aufgabenscheidung von Mann wie Frau mit selbstverständlicher weiblicher Unterordnung gekoppelt.

Die Frau wird Mensch Die späte Aufrechnung solcher Tatsachen ereilt uns heute massiv. So massiv, daß die Hauptwahrheit außer Blick gerät: Erst im jüdisch-christlichen Kulturraum vollzog sich die Menschwerdung der Frau (und die Menschwerdung des Mannes, ein anderes ungeschriebenes Kapitel). Seit dem Spätmittelalter, verstärkt seit dem Ende des 18. Jhdts., wird in Europa die Frauenfrage auch gesellschaftlich wirksam. Es ist bezeichnend, daß tatsächlich nur in Europa eine solche "Querelle des femmes" stattfinden konnte - Frucht des jüdisch-christlichen Impulses von derselben Menschlichkeit der Geschlechter.

Es gibt keinen rechten Sinn, zum Gegenbeweis auf die Kulturen der Mutter-Göttinnen zu verweisen: sind sie doch Symbole des Anonym-Fruchtbaren, der antlitzlosen Vervielfältigung. Und Göttinnen sagen noch nichts über den konkreten sozialen Rang der Frau aus. Wenn überhaupt, dann sprechen sie gegen ihn. Tatsächlich trifft die matriarchale Forschung sogar eher auf "unmodische" Überraschungen, zum Beispiel auf die Ausgrenzung der Frauen gerade in Kulturen der Tempelprostitution. Freilich gibt es die Macht der weiblichen Fruchtbarkeit, den Zauber des Geschlechtes: so gesehen ist die Frau jedoch eine Funktion ihres Unterleibs. Wie übrigens nicht wenige der alten "Venus"-Statuetten einen ausladenden Leib, aber nur eine Andeutung von Kopf aufweisen, und wie fast alle Namen für Weib (gyne, femina, woman) vom Genitalbereich abgeleitet sind.

Woher Feminismus?

Aber: Der jüdisch-christliche Grundsatz gleicher Menschlichkeit von Frau wie Mann bleibt in der Kirchengeschichte nicht vergessen. Beider Würde ist in Gott begründet, nicht mehr in einer Naturkraft oder einem Sippenzweck. Übrigens boten die Frauenklöster erstmals in Breite die Öffnung zu geistiger Betätigung und mitunter auch rechtlicher Unabhängigkeit. Aber auch wo die Christin Mutter war, Gattin oder Hausfrau, war nicht mehr die magisch-mythische Bedeutung solcher Lebensformen vorrangig - auch hier ist sie zuerst Person, zuerst sie selbst und frei, ihre zuwachsenden Aufgaben sind nicht Zweck ihres Daseins, sondern von ihrem in sich sinnvollen Dasein her erhellt und durchleuchtet.

Dieser mühsam gegen den Zeitgeist festgehaltene Gedanke läuft als Zündschnur durch die abendländische Geistesgeschichte mit, auch gegen sie selbst. Von dorther bildet sich keineswegs auf einen Schlag, aber beharrlich in neue und anders gepolte Kulturen eingepflanzt, das Bewußtsein von der Frau als Mensch heraus.

Erstmals der Schöpfungsbericht, viel später dann die Worte Jesu haben den Eigenstand, die aus sich selbst aufsteigende Würde der Frau konzipiert. Ihre Freiheit ist nur in Gott begründet, nicht in einer Naturkraft oder einem Sippenzweck. Aufgrund solcher wesentlich theologischer Einsichten erwächst das christliche Verständnis von der Person = Selbstand = Freiheit = Selbstbesitz. Die spätere Formulierung der Menschenrechte, die Parolen der Französischen Revolution, ja selbst die Forderung der Frauenbewegung seit dem 19. Jhdt. sind in dieser Weise nur innerhalb des europäischen Kulturraumes ausgesprochen worden; sie sind Blätter aus dem jüdisch-christlichen Buch, möglicherweise herausgerissen und zur Hälfte verfälscht, aber ihrem (häufig vergessenen) einzigartigen Ursprung eindeutig zuzuordnen.

Und von der Bibel her bildete sich keineswegs auf einen Schlag, aber beharrlich in neue und anders gepolte Kulturen eingepflanzt, das Bewußtsein von der Frau als Mensch heraus. Sogar und vielleicht ausschließlich verdankt sich auch der gegenwärtige Feminismus dieser beharrlichen Botschaft.

Es gibt keinen ursprünglichen Feminismus im außereuropäischen beziehungsweise außerchristlichen Kulturraum. Daher sollte man die wirklichen "einstigen Mütter" (und Väter) dieser Botschaft dort suchen, so sie gründen: in der mühevollen, sich langsam ausformenden Dynamik der Offenbarung - nicht außerhalb und in der "blauen Ferne", in die man hinausträumt, was man im eigenen Hause verlegt oder aus den Augen verloren hat.

Die Autorin lehrt Religionsphilosophie & Religionswissenschaft an der Techn. Universität Dresden.

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