Nichts für harte Männer

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Die NATO-Truppe ISAF wendet sich den Frauen zu: Eine eigene Einheit aus Soldatinnen dringt in Welten vor, die ihren Kollegen verborgen bleiben.

Der Attentäter zündet seinen Sprengstoffgürtel unter der blauen Burka genau in dem Augenblick, als die Soldatinnen ihn kontrollieren wollen. Ein leiser Sirenenton, dann ist das Spiel aus. "Ihr seid alle tot“, ruft Leutnant Imelda Rodriguez, während sie in der sengenden Hitze zu ihren Schützlingen auf die staubige Schotterpiste stapft, um den tödlichen Fehler zu analysieren. Im Feldlager in Mazar-e-Sharif bringt die resolute Amerikanerin einer Gruppe Soldatinnen bei, wie sie voll verschleierte Afghaninnen mit möglichst wenig Risiko kontrollieren können. Denn in Zukunft werden ihre Schützlinge sehr eng mit den einheimischen Frauen zu tun haben. Ihre Aufgabe: Mit ihnen reden, sie über ihre Wünsche und Probleme befragen, sie bei Kontrollen aber auch abtasten oder die ihnen vorbehaltenen Bereiche der Häuser durchsuchen.

Unsichtbare Frauen

Für die am Hindukusch sonst fast allmächtigen Männer ist das unmöglich und dementsprechend auch für die meist männlichen Soldaten der NATO-Truppe ISAF oder der afghanischen Armee. Gerade auf dem Land bleiben die einheimischen Frauen für sie oft unsichtbar: Nähert sich eine Patrouille fremder Soldaten, sorgt der Dorfälteste dafür, dass die Frauen rasch in den Häusern verschwinden. Zugleich stellen die unförmigen Burkas, unter denen sich allerlei verbergen lässt, auch ein Sicherheitsrisiko dar: Erst Anfang August verhinderte der afghanische Geheimdienst nach eigenen Angaben einen schweren Anschlag in Kabul, den Selbstmordattentäter in Burkas verüben wollten. Amerikaner und Briten setzen deshalb schon länger auf den Einsatz von Soldatinnen, um in die verbotene Welt der afghanischen Frauen vorzudringen: "Female Engagement Teams“ (FETs) heißen die Gruppen der Spezialistinnen bei ihnen.

Oberleutnant Elke Post ist die erste und bisher einzige deutsche Soldatin, die das FET-Training absolviert hat. Jetzt hilft sie bei der Ausbildung weiterer Soldatinnen aus Schweden und Finnland in Mazar-e-Sharif. "Die meisten ISAF-Soldaten sind nun mal Männer“, sagt Post. Wegen der strengen religiösen Tradition werde es schon nicht gern gesehen, wenn sie afghanische Frauen auch nur anschauten. "Frauen dürfen nicht angesprochen, nicht angegriffen, nicht angesehen werden“, fasst Post die Liste der Tabus zusammen. Mit dem neuen Kurs stehen der FET-Koordinatorin für den Norden des Landes insgesamt zehn Soldatinnen einschließlich ihrer selbst zur Verfügung, die sie mit den ansonsten weitgehend männlichen Patrouillen in den Einsatz schicken kann. Für die Soldatinnen ist es ein gefährlicher Nebenjob, den sie freiwillig neben ihrer eigentlichen Aufgabe erledigen.

Erstmal sterben die angehenden FET-Experten jedoch erneut den Übungstod. "Wir sind schon wieder tot“, flucht die schwedische Soldatin Madeleine Brändström etwas entnervt, als neben ihrem Trupp eine Sprengfalle explodiert. Längst sind die Frauen nass geschwitzt, wie auf einer echten Patrouille tragen sie schwere Schutzwesten und schleppen ihre Waffen in der Gluthitze. Für Brändström ist die größte Herausforderung des Trainings, ruhig zu bleiben und im Gespräch mit den afghanischen Frauen und deren Männern die richtigen Dinge zu sagen, um ihr Ziel zu erreichen. "Jeder sollte seine eigene Meinung vertreten dürfen, ich habe auch eine sehr klare eigene Meinung“, sagt die Schwedin. "Wo ich herkomme, kann ich sie sagen und man hört mir zu. Ich will dabei helfen, dass das hier auch einmal so ist.“ Gelernt habe sie in der insgesamt einwöchigen Ausbildung vor allem, dass sich eine Situation nicht vorher berechnen lasse. "Es wird sich nie alles so entwickeln, wie man es plant, sondern immer kommt etwas dazwischen - ein Mann zum Beispiel, der dich einfach abblockt“, sagt Brändström. "Das muss man immer wieder üben, damit man dann aus dem Nichts einen neuen Plan entwickeln kann.“ Neben den praktischen Übungen erhalten die Soldatinnen Unterricht in Gesprächstaktik, afghanischer Geschichte und Selbstverteidigung.

Kein Eingreifen bei häuslicher Gewalt

Ein paar Schritte weiter ringen die Soldatinnen bereits mit ihrem nächsten Fall: Ein Afghane hat seine Frau auf offener Straße zu Boden geworfen und beschimpft sie, die Frau kauert sichtlich verschreckt im Staub. Doch in Fällen häuslicher Gewalt dürfen sich die FET-Teams eigentlich nicht einmischen. "Was wir tun können, ist, uns auf andere Art um die Frau zu kümmern“, sagt Rodriguez. Tatsächlich wirkt die Anführerin der Soldatinnen auf den Mann ein und überredet ihn schließlich, seiner Frau einen Nähkurs zu erlauben - eine Geldquelle für die Familie und ein wenig Freiheit für die Frau.

"Gut gemacht“, lobt Rodriguez. Die Amerikanerin hält es nur für fair, wenn sich das Militär mit dem FET-Projekt verstärkt den Frauen zuwendet. Frauen stellten immerhin knapp die Hälfte der Bevölkerung, würden aber kaum wahrgenommen: "Frauen sind so lange vernachlässigt worden, und wir haben immer nur den Standpunkt der Männer gehört - jetzt liegt es an uns, für ein vollständiges Bild der Dinge zu sorgen“, betont Rodriguez.

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