"Nichtstun ist eine Gefahr für die Seele"

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Der Philosoph Manfred Füllsack hat ein Buch über die Geschichte und die Zukunft der Arbeit geschrieben. Sein Schluss: Arbeit und Sozialstaat, wie wir sie kennen, sind Auslaufmodelle.

Als die großen Herden der Tiere in Mesopotamien vor rund 11.000 Jahren immer kleiner wurden, die Zahl der Menschen im Land zwischen Euphrat und Tigris aber immer größer, da wurde der Mensch dazu verdammt, sesshaft zu werden. Er legte Getreidefelder an und zähmte wilde Rinder, er begann mit anderen Menschen um das wenige zu kämpfen, das verblieben war. So begann die Epoche der Arbeit und mit ihr eine Zeit der Mangelernährung, des Hungers und des frühen körperlichen Verfalls. So sieht der Wiener Philosoph Manfred Füllsack die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies - gedeutet nach wissenschaftlichen Erkenntnissen der Archäologie und Anthropologie.

Der Beginn der Arbeit - das ist für den Arbeitsforscher Füllsack auch der Beginn einer jahrtausendelangen Entwicklung von Arbeitsteilung und Strukturverfeinerung, von sozialen Umwälzungen und durch Arbeit bestimmte, gesellschaftliche Veränderungen. Dabei lassen sich einzelne Grundgesetzmäßigkeiten isolieren, die Füllsack in seinem Buch "Arbeit" herausarbeitet. Etwa, dass Arbeit immer neue Aufgaben entwirft, die das neue System mittels Arbeitsteilung weiter verfeinert. In der Folge, dass Arbeit stets angewendet wird, um Knappheiten zu beseitigen; indem sie dies tut, bringt sie aber nur neue Knappheiten hervor. So helfen Eisenbahnen, Güter von Ort zu Ort zu bringen, ihr Unterhalt erfordert aber Spezialisten und Ingenieure, was wiederum einen Bedarf an Ausbildung, also Lehrern zur Folge hat. Solche grundsätzlichen Betrachtungen zum Thema Arbeit gab es sehr früh: Aristoteles entwickelte eine Haushaltslehre (Oikonomik) und eine Geldwirtschaftslehre (Chrematistik). Doch hielt er die Arbeit für eine Pflicht zum Zusammenhalt einer Polis, nicht für die Idealform des Lebens (mit Ausnahme der Arbeit des Philosophierens).

Arbeit als Strafe Gottes

Entsprechend galt Arbeit dem Christentum bis ins Mittelalter hinein als eine von Gott verhängte Strafe, so Füllsack, ein Weg, den es einzuhalten galt, wollte man das ewige Heil erlangen. Aus der Benediktregel zitiert Füllsack: "Nichtstun ist eine Gefahr für die Seele." Erst im 17. Jahrhundert entwickelt sich Arbeit zu einem Gut, das einer ganzen Nation Wohlstand verheißt - in diesem Fall jener Englands. Der Philosoph Thomas Hobbes bezeichnet die Arbeit gar als "Gottheit", und wird damit zum Ahnherrn Adam Smiths, der 1776 mit dem "Reichtum der Nationen" das grundlegende Werk des Kapitalismus auf Basis von Lohnarbeit schuf.

Eine zentrale Passage des Buches nimmt die Entstehung der industriellen Arbeit im 19. Jahrhundert ein, sowie die Grundlagen des auf dem auf Kapital und Arbeit ruhenden Marxismus - und auf der anderen Seite jene des Sozialstaates.

Wichtig scheint es Füllsack dabei zu sein, die Probleme der Arbeitswelt von heute aus den Ursprüngen der Arbeiterbewegung und des modernen Staatswesens zu erklären. So stellt er kritisch fest, dass alle durch den Kampf der Gewerkschaften mühevoll errungenen Fortschritte heute auch als Privilegien einer immer kleiner werdenden Klasse von "Normalarbeitnehmern" verstanden werden können, die das Glück haben, in lebenslanger geregelter Beschäftigung zu stehen. Ihnen steht eine immer größer werdende Zahl von individuellen Dienstleistern gegenüber, die sich dadurch auszeichnen, dass sie keine solidarische Einheit mehr sind, sondern vielmehr Gegner auf einem hart umkämpften Markt.

Der Staat aber, der die Rolle der primären sozialen Netze Familie und Dorfgemeinschaft übernommen hat, kann sein Versprechen zunehmend schwerer halten, alle Menschen in sozialer Sicherheit zu halten. Weil er sich zunehmend überfordert fühlt, erschwert er den Zugang zu seinen Benefizien durch Meldepflichten, Warteperioden und Bedürftigkeitstests. Zuwendungen des Staates werden an Arbeitsbereitschaft und Umschulungen geknüpft.

Daran schließt die Prognose Füllsacks an: Die klassische Arbeit als eine Produktionsweise, die sich vorzugsweise durch in der Vergangenheit akkumuliertes Kapital (Maschinen, Fabriken, Arbeitskräfte, Geld) entwickelt, wird sich zunehmend der Zukunft zuwenden. Die Aktienmärkte und ihre "Wetten" auf zukünftige Kurse (Futures, Derivate etc.) sind nach Füllsack ein prominentes Beispiel dafür, die Diskussion über Umwelt und Klima ein anderes. Das Proletariat löse sich mangels solidarischen Zusammenhalts ins unsolidarische Prekariat auf.

Umso wichtiger werden nach Füllsack die Faktoren Aus- und Weiterbildung werden. Der Erwerb von Qualifikationen wird einen immer größer werdenden Teil unseres Lebens einnehmen. Nur einer Mutmaßung erteilt Füllsack eine klare Absage: dass den Menschen die Arbeit ausgeht (Hannah Arendt). Füllsack: "Arbeit macht Arbeit."

Manfred Füllsack: Arbeit

Historische, sozialwissenschaftliche, ökonomische und philosophische Aspekte. facultas utb 2009. 118 S., kart., e 10,20

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