Nie weiß der Mensch, was kommen wird

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Erfolg und Mißerfolg liegen im Leben oft eng beieinander. Wer Erfolg will, darf seine Mißerfolge nicht verschweigen. Ludwig Morasch empfiehlt eine "Dreistufen-Regel" im Umgang mit Fehlern und Mißerfolgen.

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Erfolg und Mißerfolg liegen im Leben oft eng beieinander. Wer Erfolg will, darf seine Mißerfolge nicht verschweigen. Ludwig Morasch empfiehlt eine "Dreistufen-Regel" im Umgang mit Fehlern und Mißerfolgen.

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Jeder hat ihn. Keiner will ihn. Kaum jemand spricht offen über ihn: den Mißerfolg. Im "Büchmann", der 1864 zum ersten Mal erschienenen und immer wieder ergänzten Sammlung "Geflügelte Worte", bezieht sich kein einziger Ausspruch eines berühmten Dichters aus dem deutschen Sprachraum auf Fehler oder Mißerfolg: Kein Goethe, kein Schiller, kein Heine, kein Fontane ...

Das englische Wort für Fehler, "mistake", hingegen findet sich im "Oxford Dictionary of Quotations" Dutzende Male: Churchill und Dickens, Jonathan Swift und James Joyce haben die englische Sprache um Sätze bereichert, in denen es sehr wohl um Fehler geht. Die am feinsten geschliffene Klinge hat - wie so oft - Oscar Wilde. In seiner Komödie "Lady Windermeres Fächer" findet sich folgender Dialog: "Experience is the name everyone gives to their mistake." "One shouldn't commit any." "Life would be very dull without them." ("Jedermann nennt seine Fehler Erfahrung." "Man sollte keine machen." "Das Leben wäre sehr langweilig ohne sie.")

Fehler, Mißerfolg, das ist also im deutschen aus der Literatur gespeisten Sprachschatz kein Thema. Anders steht es mit dem Wort "Irrtum". In Goethes "Faust" findet sich der Satz: "Es irrt der Mensch, so lang er strebt." Bei dem deutschen Sprichwort "irren ist menschlich" handelt es sich allerdings um eine wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen: errare humanum est. Die Einsicht wird Seneca dem Älteren zugeschrieben. Und schließlich Wilhelm Busch: "Ach, daß der Mensch so häufig irrt und nie recht weiß, was kommen wird."

Die Sachbuch-Schwemme zum Thema "Erfolg" hat kein Gegenstück: Als der in den USA lebende Österreicher Ludwig Morasch ein Buch über den Umgang mit dem Mißerfolg plante, fand er keinen Vorläufer. In seiner Hoffnung, Große, Erfolgreiche würden ihm von ihren früheren Mißerfolgen erzählen, wurde er getäuscht. Niemand wollte ihm darüber Auskunft geben. Morasch ließ sich nicht klein kriegen. Jetzt gibt es das weltweit erste Buch über den Umgang mit dem Mißerfolg - verfaßt von einem sehr erfolgreichen Unternehmensberater, der sich nicht schämt, zu seinen Mißerfolgen zu stehen.

Morasch vermittelt gleich zu Beginn eine interessante Einsicht: Im praktischen Umgang mit Mißerfolgen zeigen sich aufschlußreiche kulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Völkern. Manager in den USA würden nicht im Traum daran denken, in einem Bewerbungsschreiben einen früheren Mißerfolg zu verschweigen. Mit ihrem Eingeständnis stellen sie unter Beweis, daß sie schon viel versucht haben - und auch gescheitert sind.

In Deutschland erwartet man sich von einem, der einen Mißerfolg zu verbuchen hat, daß er sich schämt und daß ihm so etwas nie mehr passiert, - er also die Finger vom Unternehmertum läßt. Ein gescheiterter japanischer Manager hat Harakiri zu begehen. Wie viele Mißerfolge hat ein Mensch, der etwas bewegen will? Macht man sich die Mühe, seine eigenen Mißerfolge aufzulisten, stellt sich heraus, daß die großen, gravierenden Fehler gar nicht so zahlreich sind.

Im Umgang mit ihnen ist allerdings weder Selbstmitleid noch Selbsttäuschung am Platz. Und wenn einem andere, Kollegen, Vorgesetzte, Journalisten auf einen Fehler draufkommen? Die beste Strategie lautet: Zugeben! Bekannte Beispiele für Lügner, die sich im selbst gesponnenen Netz hoffnungslos verfingen, gibt es bekanntlich zuhauf. Wie entwaffnend ist es - man muß es nur ausprobieren -, einem Vorgesetzten, der zum Tobsuchtsanfall anhebt, unverblümt zu sagen: "Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Machen Sie nie so etwas? Beneidenswert!" Nach einer Niederlage geht der eine - z. B. ein Niki Lauda - in die Offensive. Nicht jeder kann das. Für viele Menschen ist eine Beruhigungsphase notwendig. Dann aber auf zu neuen Ufern.

Mehr Selbstvertrauen Der Umgang mit dem Mißerfolg wird entscheidend in der Kindheit geprägt. Eltern können die Sprößlinge nicht vor Mißerfolgen bewahren. Nicht selten aber projizieren sie ihre eigenen Wünsche nach Erfolg auf ihre Kinder; daher ihre Warnung vor Mißerfolgen. Sind Sie ein "Vorgesetzter"? Dann müssen Sie sich auch darüber klar werden, wie Sie mit den Mißerfolgen ihrer Mitarbeiter umgehen.

Ludwig Morasch empfiehlt hier die "Dreistufen-Regel": "Auf Stufe eins gehe ich grundsätzlich davon aus, daß ein Fehler, ganz egal, wer dafür zuständig ist, zuerst einmal mir anzurechnen ist. Aufgrund meiner zahlreichen Mißerfolge sollte ich nämlich schon alles kennen und wissen, sodaß ich dem anderen zeigen kann, wie er es richtig macht. Da ich dies aber offensichtlich verabsäumt habe und etwas falsch gelaufen ist, gehört der Fehler auf Stufe eins immer mir.

Die Aufgabenstellung von Stufe zwei lautet für mich nun, folgende Frage zu klären: Geschah der Fehler, weil der andere nicht kann oder weil er nicht will? Sollte er nicht können, muß ich meine gesamte Kraft dafür aufwenden, ihm zu helfen, damit er lernt und es später besser macht. Wenn er aber nicht will, muß ich ihn auf Stufe drei führen. Passiert auf Stufe zwei derselbe Fehler ein weiteres Mal, ist es immer noch meine Schuld. Stufe drei ist dann aber ganz simpel: Es ist mir nun ganz egal, ob der Schuldige etwas falsch gemacht hat, weil er nicht wollte oder nicht konnte, ich feuere ihn."

Angst ist ein schlechter Ratgeber. Kinder haben keine Angst. Sie sind neugierig, sogar auf die heiße Herdplatte. Wenn sie sich erst einmal die Finger richtig verbrannt haben, lernen sie, daß Angst als Selbstschutz ein wichtiger Bestandteil im Umgang mit der Außenwelt ist. Die Grundeinstellung zum Leben, die Eltern ihren Kindern vermitteln sollten, sollte aber nicht Ängstlichkeit, sondern Selbstvertrauen heißen. Wer seinen Kindern dieses vorlebt, gibt ihnen mehr als ein großes Erbteil. Jeder möchte Erfolg und Anerkennung, in der Partnerschaft, in der Familie, im Berufsleben.

Was ist "Erfolg"?

Erfolg freilich ist viel schwerer zu definieren als Mißerfolg. Für einen chronisch Kranken bedeutet die Stabilisierung seines Zustands bereits einen Erfolg. Alte Menschen verbuchen es als Erfolg, wenn sie in der Früh aufstehen und sich selbst, ohne fremde Hilfe, noch versorgen können. Ein Drogenabhängiger, der es schafft, von seiner Sucht loszukommen, kann dies zu Recht als großen Erfolg verbuchen. Der amerikanische Gradmesser für Erfolg, Geld, hat in Europa nicht diese absolute Gültigkeit.

Das Gefühl, ein Versager zu sein, hat häufig seine Wurzel im Nichtwissen, was man wirklich will. Ludwig Morasch empfiehlt all jenen, die zwar erkennen, daß eine Veränderung in ihrem Leben Platz greifen sollte, aber nicht wissen, in welche Richtung es weitergehen soll, folgende Methode: "Schreiben Sie alle Ihre Wünsche auf ein Blatt Papier und ordnen Sie diese entsprechend Ihren Prioritäten. Die absolut wichtigsten Wünsche tragen Sie in Spalte A ein, die weniger wichtigen in Spalte C. Und all jene, bei denen Sie sich im Moment nicht entscheiden können oder wollen, ob sie zu A oder C gehören, schreiben mehr über die "Ich will" der Kategorie A nach. Entscheiden Sie sich, welche drei Wünsche Ihnen am wichtigsten sind, und setzen Sie, je nach Priorität, die Zahl 1, 2 oder 3 hinter das A."

Den Willen zum Erfolg kann man teilweise antrainieren. Begabte Kinder, die schulisch faul sind, müssen selbst erkennen, welche Konsequenzen ihre Faulheit hat. Eltern können Mut vorleben, aber nicht übertragen. Es gibt viele Menschen, die positives Denken gar nicht erst zulassen.

Ganz nach oben Aber es gibt auch die Positiv-Spirale. Wenn ich fest daran glaube, daß ich etwas zustande bringe, dann schaffe ich es auch. Die gewonnene Selbstbestätigung gibt mir das Gefühl der Sicherheit. Und dieses Sicherheitsgefühl wiederum ermöglicht es mir, noch größere Ziele zu erreichen. Ohne Druck, sozusagen mit leichter Hand. Man kennt die Verbissenen, denen jedes Mittel recht ist, nach oben zu kommen.

Und wie ist es nun ganz oben, in der dünnen Luft des Erfolgsgipfels? Einsam auf jeden Fall. Welcher Mächtige hat noch wirkliche Freunde? Wer als unreifer Mensch großen Erfolg einheimst - sei er Schauspieler, Sänger, Sportler - kann mit der neuen Situation psychisch und finanziell oft nicht umgehen. Der Absturz ist häufig vorprogrammiert bei den zu früh Erfolgreichen. Im alten Rom stand auf dem Wagen, der einen siegreichen Feldherrn durch die Straßen zog, stets ein Sklave, der ihm sagte: "Vergiß nicht, daß du sterblich bist."

Erfolg kann auch zum Erfahrungsgefängnis werden. Seneca, der Erzieher des Kaisers Nero, schrieb vor 2.000 Jahren in einem Brief an einen Freund: "Unsere Behauptung, dem Weisen könne nichts Unvermutetes zustoßen, hat folgenden Grund: Wir erheben ihn nicht über die Zufälligkeiten des Menschenlebens, sondern nur über dessen Irrtümer. Nicht alles geht ihm nach Wunsch, aber alles entspricht seinen Erwartungen. Bei seinen Planungen hat er nun zuallererst an die möglichen Hindernisse gedacht. Denn die Seelenqual der enttäuschten Wünsche wird notwendigerweise derjenige leichter tragen, der sich nicht hat einreden lassen, daß der Erfolg ihm sicher sei."

BUCHTIP Keine Angst vor Misserfolgen. Von Ludwig Morasch. Unter Mitarbeit von Brigitte Dujmic. Orac Verlag, Wien 1999, 192 Seiten, öS 248,-/E 18,02,

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