"Noch fünf Tage bis zum Wochenende..."

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Wann fängt das Leben erst richtig an? Wer Radio hört, der erfährt es täglich: Schon am Montag sehnen wir uns nach dem Wochenende. Am Freitag haben wir es endlich geschafft.

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Wann fängt das Leben erst richtig an? Wer Radio hört, der erfährt es täglich: Schon am Montag sehnen wir uns nach dem Wochenende. Am Freitag haben wir es endlich geschafft.

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Schalten Sie an einem Montag vormittag doch einmal eines der gegenwärtig so beliebten "Format-Radios" ein, und Sie werden mit Schrecken feststellen: bei den populären Sendern, die ganztägig musikalische Massenware über den Äther posaunen, beginnt das Wochenende schon am Montag. Denn hier heißt es: "Eine neue Woche hat begonnen; aber machen Sie sich keine Sorgen - denken Sie ans Wochenende, dann vergeht die Zeit im Büro viel schneller." Mittwoch heißt es im Hitradio: "Geschafft! Die Hälfte der Woche ist schon vorüber, und mit ein bißchen Geduld erwarten Sie schon das Wochenende!" Am Donnerstag und Freitag werden die zeitgeistigen Bemerkungen immer kürzer, dafür häufiger und intensiver in der Betonung. Da gröhlt dann ein erleichterter Moderator Oliver Baier nur mehr "Wochenende!" in das Mittagsmikrofon.

Unweigerlich drängt sich der Eindruck auf, daß unsere Gesellschaft nur mehr von einem Wochenende zum nächsten lebt, sprich: existiert. Dazwischen, also von Montag bis Freitag, vegetiert sie.

Das moderne Radio hat dabei nur ein Phänomen aufgegriffen und publikumswirksam unter das Volk gebracht, das es schon lange gibt: Die starke Überbewertung des Wochenendes, jedoch nicht in christlicher Hinsicht, sondern aus den simplen Überlegungen nach Umsatzsteigerung in der Freizeitindustrie.

So läßt sich nun folgendes annehmen: Nachdem man sich im Radio schon ab Montag auf das Wochenende freut, impliziert das, die Radiomacher seien der Ansicht, daß ihre Hörer die ganze restliche Woche über sehr unzufrieden sind. Mit ihrem Job. Mit ihrem Leben. Anstatt das Leben schmackhaft zu machen, so daß man jeden Tag genießen kann, wird die Sehnsucht auf zwei Tage geschürt. Durch das widerwärtige Warten auf das Wochenende wird unser Leben immer kürzer. Die Tage zerrinnen ohne Sinn.

Eine weitere Erklärung für die überschwengliche Vorfreude auf das Wochenende im Radio wäre freilich die Arbeitsmüdigkeit der Moderatoren selbst. Sind sie etwa die einzigen, die montags schon wochenendreif mehr schlecht als recht ihre Arbeit verrichten? Oder bedienen sie einfach nur das Konzept, sich den Hörern so verbunden wie möglich zu machen? Dabei wird bei den meisten Sendern sehr viel Geistloses gesagt, so daß man dann doch die unkommentierte Musik vorzieht.

Rein rechnerisch gesehen sind die Menschen also nur an 104 Tagen im Jahr zufrieden. Denn die 52 Wochenenden markieren ja die Oasen des Alltags. Die 52 Wochen dazwischen werden am Jahresende kaum jemanden so genau in Erinnerung bleiben, denn den Alltagstrott vergißt man ja am liebsten.

Ungeliebter Beruf Die Berufswahl spielt bei der Freizeitpropaganda im Radio scheinbar eine große Rolle. Meist werden jene Menschen angesprochen, die sitzenden Tätigkeiten nachgehen. Also etwa: "Wenn Sie schon wieder Ärger mit dem Chef im Büro haben, dann denken Sie doch einfach an das ... Wochenende!" Vielen Menschen bleibt die Ausübung ihres Traumberufes verwehrt. Anstatt aber kleine Ratschläge zu geben, wie man einen ungeliebten Beruf zum geliebten machen kann, deprimiert das Radio zusätzlich - und steigert die Lust, alles hinzuschmeißen. Firmenchefs nennen so etwas "fehlende Mitarbeitermotivation". Hier sind sie gefordert, ihren Mitarbeitern das Gefühl zu geben, daß ihre Tätigkeit von großer Wichtigkeit ist; nicht nur für die Firma, sondern auch für die Gesellschaft. Die Arbeit muß wieder aufgewertet werden und darf nicht von Montag bis Freitag aus Jammern und Vorfreude auf das Wochenende bestehen. Das schadet der Wirtschaft und - noch schlimmer - der menschlichen Psyche.

Nehmen wir an, es ist jetzt Freitag nach 18 Uhr. Die Prophezeiungen der Radiomoderatoren haben sich (wie immer) erfüllt. Das Wochenende ist da! Aber ist unsere Wochenendgesellschaft überhaupt in der Lage, ihre Freizeit eigenständig zu gestalten? Was fangen die Menschen mit dem heißbegehrten Wochenende an? Samstag werfen sich viele in den totalen Einkaufs- und Vergnügungsstreß in die Zentren kommerzieller Niedertracht. Sonntag wird lange geschlafen und ausgenüchtert. Danach vielleicht ein kleiner Ausflug mit dem Auto zum See, wo zunächst endlos nach einem Parkplatz gefahndet wird. Und ab etwa 16 Uhr der Schreckensgedanke, der wie ein Messer im Herz steckt: Morgen geht die Arbeitswoche wieder los! Aufkommender Streß und allgemeine Hektik setzen der gerade beginnenden Erholungsphase ein jähes Ende. Netto bleibt vom Wochenende etwa nur die Hälfte an echter Freizeit.

Wenn uns eine Radiostation wirklich weismacht, daß wir unsere Arbeit nicht lieben und schon montags um 8 Uhr 10 auf das nächste Wochenende warten, so sei hier klargestellt: Arbeit bedeutet, seinen Teil zum gemeinsamen Leben beizutragen. Das bringt nicht nur Rechte und Freizeit mit sich, sondern auch verschiedene Pflichten. Angesichts der veränderten Arbeitswelt in den letzten Tagen dieses Jahrtausends sollte man froh sein, Arbeit zu haben und diese auch begeistert ausführen.

Eine solche Aufwertung käme schließlich auch den christlichen Werten zugute, die unter der Freizeitwirtschaft enorm leiden. Wieviel Prozent der katholischen österreichischen Bevölkerung besuchen eigentlich noch regelmäßig die Sonntagsmesse?

Die Beschleunigung der Zeit heißt nichts Gutes für unsere Gesellschaft. Die Medien tragen sehr dazu bei, daß sich unser Leben mehr und mehr verkürzt, obwohl es biologisch immer länger andauert. Denn mit jedem Wochenende vergeht auch eine kostbare Lebenswoche. So sollte ein Oliver Baier am Freitag vielleicht statt dem allzu lauten "Wochenende!" lieber sagen: "Schade, daß schon wieder eine Woche vorbei ist."

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