Nun machen S' doch kein Theater!

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Belästiger von Frauen in U-Bahnen oder anderswo haben gute Chancen, ohne die geringste Strafe davonzukommen (siehe auch Seite 5).

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Belästiger von Frauen in U-Bahnen oder anderswo haben gute Chancen, ohne die geringste Strafe davonzukommen (siehe auch Seite 5).

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Ein Einzelfall, stellvertretend für viele Fälle: Frau, 44, wird in der Öffentlichkeit sexuell belästigt, bedrängt, angegriffen im wahrsten Sinn des Wortes. Ein seltener Fall: Die Frau geht deswegen zu Gericht. Das inzwischen bekannte Ergebnis: Freispruch, weil der Täter sie nicht ausreichend intensiv und lange belästigt hat. Auf Details, wie sie in den letzten Tagen nahezu lustvoll in diversen Medien erörtert wurden, kann verzichtet werden. Das Nachspiel: Nach Aufregung in der Öffentlichkeit rät ihr ein Vertreter des Justizministeriums, wegen "Beleidigung" zu klagen.

Was es heißt, diese schwere Verletzung schlicht als "Beleidigung" zu bezeichnen, dazu später. Der Ratschlag war nicht nur deswegen zynisch: Die Frau kann gar nicht mehr auf "Beleidigung" klagen, denn bei solchen Privatanklagedelikten muß innerhalb von sechs Wochen nach Ausforschung des Täters Anzeige erstattet werden. Selbst wenn der Jurist die Frau und die Öffentlichkeit nicht an der Nase herumführen wollte, sondern es bloß nicht besser gewußt hat: Es zeigt, wie unwichtig den zuständigen Stellen die Bekämpfung von sexuellen Übergriffen auf Frauen ist. Gesetze sind sinnlos, wenn niemand von ihnen weiß. Sexuelle Belästigung klingt immer noch wie ein unfeiner, aber tolerierbarer Akt in der Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern.

Menschen, die ohne Aufenthaltsgenehmigung einreisen, werden monatelang in Haft genommen. Männer, die Frauen angreifen und nachhaltig verletzen, haben gute Chancen, ohne die geringste Strafe davonzukommen. Ich bin nicht dafür, jeden Belästiger einzusperren, das Beispiel zeigt aber, daß die Relationen unseres Rechtssystem schon lange nicht mehr stimmen. In keinem Bereich wird damit aber so scheinheilig umgegangen wie im Fall von sexuellen Angriffen gegen Frauen.

Eine Änderung dieses Zustandes muß bei einer Änderung des Bewußtseins beginnen. Solange sexistische Werbung toleriert wird, solange wird es Männer geben, die finden, dann dürfen sie auch in der Realität zugreifen. Solange im Parlament einige Männer sitzen, die ihre Kolleginnen belästigt haben, solange wird sich der kleine Sexist auf der Straße in seinem Verhalten bestärkt finden. Solange es Richter - leider auch Richterinnen - gibt, die finden, es ist eben keine Gewalt, wenn ein Mann eine Frau in ein Eck drängt und minutenlang in der U-Bahn angreift, solange wird es nicht als Gewalt gelten. Solange es nahezu normal ist, daß Betriebe Frauen, die wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz klagen und Recht bekommen, im Anschluß daran kündigen, solange werden sich viele Frauen nicht zur Wehr setzen.

Auch der steirische Gebietskrankenkassenchef Hans Hakel ist ein Beispiel dafür, wie zynisch mit dem Thema sexuelle Belästigung umgegangen wird: Er kündigte seine langjährige Sekretärin mit der Begründung, sie habe ihn durch zu kurze Röcke sexuell belästigt. Wer kurze Röcke mit sexueller Belästigung in Verbindung bringt, sieht in Frauen ganz offensichtlich bloß ein Sexobjekt. Lassen die zuständigen Stellen diese mutwillige Verdrehung der Bestimmungen über sexuelle Belästigung ungestraft zu, leisten sie der Verharmlosung solcher Delikte Vorschub.

Es handelt sich nicht um die Durchsetzung von viktorianischen Moralvorstellungen, sondern um schwerwiegende Verletzungen, um einen Eingriff in das Menschenrecht auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Deswegen ist es auch abzulehnen, wenn Frauen geraten wird, bei sexuellen Übergriffen, die nicht im Berufsleben stattfinden, doch wegen "Beleidigung" zu klagen. Frauen fühlen sich durch sexuelle Übergriffe nicht beleidigt, sondern verletzt. Oft so schwer verletzt, daß es Jahre oder Jahrzehnte braucht, um damit fertig zu werden. Und: Frauen müssen wissen, mit welchen Gesetzen sie sich gegen Übergriffe zur Wehr setzen können.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß es seit rund zwei Jahren eine Möglichkeit gibt, auch bei sexueller Belästigung, die nicht am Arbeitsplatz stattfindet, auf Schadenersatz zu klagen. Nur: Diese Bestimmung tauchte erst wieder in der Öffentlichkeit auf, nachdem lange über die Ungerechtigkeit geredet wurde, daß sexuelle Belästigung in der U-Bahn und am Arbeitsplatz juristisch völlig unterschiedlich behandelt würden. Öffentliche Bewußtseinsänderung und Aufklärung über rechtliche Möglichkeiten sind aber zuwenig, wenn der Zugang zum Recht fehlt. Wieviele Frauen können es sich leisten, eine gute Anwältin zu nehmen? Wieviele Frauen können es sich leisten, ihre Zeit damit zu verbringen, im Justizapparat über Jahre ihr Recht zu suchen? Es ist daher unumgänglich, einen Rechtshilfefonds für sexuell belästigte und mißhandelte Frauen (ja, auch für Männer, aber das kommt in der Realität viel seltener vor als in frauenfeindlichen Witzchen) einzurichten. Jede Frau soll hier vollen Rechtsschutz für alle Straf- und Zivilprozesse bekommen.

Frauen die Anwendung der Rechtsvorschriften zu ermöglichen, ist das mindeste, was der Staat gegen sexuelle Übergriffe tun kann. Darüber hinaus hat sich anhand der letzten Fälle wieder einmal gezeigt, daß die gesetzlichen Bestimmungen unzureichend sind. Neben der "geschlechtlichen Nötigung" muß ein klarer Tatbestand der "sexuellen Belästigung" geschaffen werden, der auch geringere Formen der Übergriffe unter Strafe stellt. Da die Ausweitung der Tatbestände im Strafgesetzbuch problematisch ist, wäre dieser neue Tatbestand wohl eher in das Verwaltungsstrafrecht einzuordnen. Außerdem muß im Zivilrecht ganz klar geregelt werden, daß Opfer sexueller Übergriffe von den Tätern - egal, in welchem Zusammenhang die Tat passiert - Schadenersatz bekommen.

Das Problem bei all diesen Prozessen liegt freilich auch immer wieder bei der Beweiswürdigung. Die Opfer haben zu beweisen, daß sie belästigt wurden. Oft ist das nahezu unmöglich, denn nicht immer gibt es Zeugen, und so steht Aussage gegen Aussage. Die Beweislast ist daher gerechter zu verteilen: Es müßte reichen, wenn Frauen vor Gericht die sexuelle Belästigung glaubhaft machen können. In diesem Fall hätte dann der potentielle Täter zu beweisen, daß er es nicht war. Im Gleichbehandlungsgesetz, das bekanntlich aber bloß sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz regelt, wurde der erste Schritt in diese Richtung schon getan.

Apropos Gleichbehandlungsgesetz: Daß hier - einigen zähen Frauen, angefangen von der ehemaligen Frauenministerin Johanna Dohnal bis hin zur Gleichbehandlungsanwältin Ingrid Nicolay-Leitner, sei Dank - einiges in die richtige Richtung bewegt wurde, liegt auf der Hand. Zu tun bleibt freilich viel. Denn was haben Frauen davon, wenn sie vor Gleichbehandlungskommission und Gericht Recht bekommen, die Betriebe aber ihre Gegenwehr als viel verwerflicher empfinden als den sexuellen Übergriff des Täters?

Es müssen Maßnahmen gefunden werden, die es Unternehmern nicht mehr so leicht macht, solchen Frauen zu kündigen. Wie wäre es zum Beispiel, monatlich eine Liste all jener Unternehmen zu veröffentlichen, die Frauen innerhalb eines halben Jahres nach Abschluß eines Verfahrens wegen sexueller Belästigung gekündigt haben? Österreich darf nicht länger ein Paradies der Sexisten und Sex-Attentäter bleiben. Es ist kein Kavaliersdelikt, Frauen zum Sexualobjekt zu degradieren und an ihnen Komplexe, Ängste und unerfüllte Machoträume auszuleben. Es geht um ein neues Selbstbewußtsein von Frauen und Männern, es geht wieder einmal um die tatsächliche Gleichstellung.

Die Autorin ist Juristin und Buchautorin (u.a.: "Ganz normale Frauen", 1998, Zsolnay-Verlag)

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