Nur einen einzigen Schilling

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Das weltweit erfolgreiche Sozialwerk betreut in 129 Ländern rund 250.000 Kinder und Jugendliche. Die Idee der SOS-Kinderdörfer wird heuer 50 Jahre alt. Gründer Hermann Gmeiner schrieb einmal dazu: "Liebe ist soviel. Sie ist eine Kraft die uns bewegt. Sie ist von Gott."

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Das weltweit erfolgreiche Sozialwerk betreut in 129 Ländern rund 250.000 Kinder und Jugendliche. Die Idee der SOS-Kinderdörfer wird heuer 50 Jahre alt. Gründer Hermann Gmeiner schrieb einmal dazu: "Liebe ist soviel. Sie ist eine Kraft die uns bewegt. Sie ist von Gott."

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Nur einen Schilling brauch' ich von jedem" ... Das waren die geflügelten, unvergessenen gebliebenen Worte, mit denen ein Idealist, der Kriegsheimkehrer und Medizinstudent Hermann Gmeiner aus Alberschwende im Bregenzerwald, an die Menschen herantrat, um seine Kinderdorfidee verwirklichen zu können.

"Meine Aufgabe ist es", schrieb er damals, "meine Mitmenschen in aller Welt um Verständnis und Hilfe für das im Stich gelassene Kind zu bitten." Hat man ihn auch vorerst dort und da für einen "Spinner und Phantasten" gehalten, so war es schließlich eine unerwartete "Sensation des Guten" - wie Gmeiner es nannte -, die auf seine Aufrufe folgte. Spende um Spende traf ein, und 1949 gründete er mit Freunden in Innsbruck die "Societas Socialis" (SOS), "um der drohenden Gefahr, die in der Schutzlosigkeit vieler Kinder liegt, nicht mit Worten, sondern mit einer Tat entgegenzutreten." Und die Tat folgte sogleich.

Noch im selben Jahr baute Hermann Gmeiner unter Zuhilfenahme aller seiner Ersparnisse - es waren 600 Schilling - und der eingegangenen Spendengelder auf einem günstig erworbenen Grundstück in Imst/Tirol das erste Haus des SOS Kinderdorfes.

Es wurde von den schwererziehbaren Jugendlichen aus der Anstalt Volderberg bei Innsbruck auf freiwilliger Basis errichtet und erhielt den bedeutungsvollen Namen "Haus Frieden".

"Eine Mutter, Geschwister, ein Haus, ein Dorf" - das sind die vier Grundpfeiler, auf denen der "Vater der Kinderdörfer" die Heimstätten für Kriegswaisen und in Not geratene Kinder begründen wollte. Schon am Tag der Eröffnung dieses ersten Hauses am Imster Sonnberg werden die Grundsteine für die nächsten fünf Familienhäuser gelegt.

1950 wird das SOS Kinderdorf Imst besiedelt. 40 Kriegswaisen finden hier "eine Mutter, Geschwister, ein Haus, ein Dorf" - und auch einen Vater: Hermann Gmeiner. Denn er leitet das SOS Kinderdorf Imst zunächst selbst, kümmert sich um alles und jedes, veranstaltet Mütterrunden, Kinderstunden, Beratungsnachmittage und feilt unermüdlich am Konzept und der praktischen Umsetzung seiner ungewöhnlichen, epochemachenden Idee.

In der Kinderdorffamilie lebten damals acht bis neun (heute sind es vier bis fünf) Kinder verschiedenen Geschlechts und Alters, behütet von der Kinderdorfmutter. In der Kinderdorf-Mütterschule in Mörlbach/Bayern werden die deutschsprachigen Kandidatinnen auch heute noch auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet. Sie sind durch eigene Statuten zusätzlich sozial abgesichert. Ihren Lebensabend verbringen sie - nach Wunsch - in eigenen Mütterheimen in den Kinderdörfern als Großmütter.

Rasch gelang es Hermann Gmeiner, viele SOS Kinderdorf-Freunde für seine Pläne zu begeistern. Immer neue Projekte wurden ins Auge gefaßt. Anfang 1954 stellt die Osttiroler Gemeinde Nußdorf-Debant bei Lienz um einen "Anerkennungs-Schilling" einen Baugrund zur Verfügung - das nächste Kinderdorf entsteht.

Doch war das nur der Anfang einer unglaublich rasch sich vergrößernden Lawine mitmenschlicher Güte und Hilfe. Es gelang Gmeiner, seine Idee auch in andere Länder weiterzutragen. Schon 1959 gab es europaweit 20 Kinderdörfer - Tiroler Exportartikel der Nächstenliebe.

In vielen Ländern wurden Kinderdorfvereine zur Unterstützung der Gmeiner-Dörfer gegründet. Eine Vision ging von Tirol aus in die ganze Welt - nach Lateinamerika, Asien und Osteuropa.

250.000 Kinder Die Zahl der Kinderdörfer wuchs von Jahr zu Jahr, die Zahl der Menschen, die sich für den Gedanken der SOS Kinderdörfer begeisterten, wuchs beinahe täglich. Und 25 Jahre nach der Gründung des ersten Kinderdorfes gab es schon über 100 dieser Dorfgemeinschaften in mehr als 50 Ländern. "Die Gesellschaft hat für jedes Kind Mitverantwortung", sagt Hermann Gmeiner, der 1986 verstarb und in Imst begraben liegt. "Sie soll dem elternlosen, verlassenen Kind nicht vorenthalten, was sie jedem anderen zugesteht."

Sein Nachfolger, der Südtiroler Helmut Kutin, ebenfalls in einem Kinderdorf aufgewachsen, führt heute Gmeiners große Aufgabe weiter, wie sie diesem großen Mann, dem neunten Kind einer Bauernfamilie, vorschwebte: Eine Mutter, Geschwister, ein Haus, ein Dorf - und viel liebevolle Zuwendung. Ein Kinderdorf besteht aus 15 bis 20 Familienhäusern, heilpädagogischen Stationen, aus einer Volksschule (wenn keine öffentliche Schule in der Nähe ist) und, wenn nötig, aus einer Krankenstation. Die Kinder besuchen dorfeigene oder öffentliche Schulen und leben später, während ihrer Berufsausbildung oder ihres Studiums, in eigenen Jugendwohngemeinschaften des Kinderdorfwerkes.

Die regelmäßigen Beiträge von über sechs Millionen Freunden in aller Welt bilden die finanzielle Grundlage der SOS-Kinderdorfvereinigung. In 50 Jahren ist sie zum größten privaten, politisch und konfessionell unabhängigen Sozialwerk der Welt geworden. "Liebe ist so viel", schreibt Gmeiner einmal, "sie ist eine Kraft, die uns bewegt. Sie ist von Gott."

Heute gibt es in 129 Ländern der Erde über 350 SOS Kinderdörfer und mehr als 1.000 angeschlossene Einrichtungen, in denen insgesamt rund 250.000 Kinder und Jugendliche betreut werden. Hermann Gmeiners Idee hat Wurzeln geschlagen und sich zu einem weitausladenden Baum entwickelt. In seinem Schatten dürfen sich junge Menschen aller Nationen angenommen und liebevoll behütet fühlen.

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