Nur Wählerfang und Ablenkung

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Wir brauchen nicht mehr Gefängnisinsassen, sondern eine scharfe Trennung zwischen krank und kriminell.

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Wir brauchen nicht mehr Gefängnisinsassen, sondern eine scharfe Trennung zwischen krank und kriminell.

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Seit dem Regierungswechsel wird der Ruf nach Strafe für Rauschgiftsüchtige wieder lauter. Die liberale Drogenpolitik gilt als gescheitert. In Wirklichkeit hat es diese bei uns nie gegeben. Es wurde nur verspätet erlaubt, was anderswo längst Standard war. Neue Ideen wurden weder politisch diskutiert noch umgesetzt. Bei uns gibt es viele bedingte Strafen für Drogendelikte, aber nicht, weil wir liberal sind, sondern weil der Staat Kosten sparen will. Für Politiker scheint Drogenpolitik nur ein Mittel zur Selbstdarstellung zu sein. Nicht das Sachproblem ist wichtig, sondern die Schlagzeile. Ein Spitzenkandidat bei den Wiener Landtagswahlen fordert ein drogenfreies Wien - wie jeder weiß, eine Illusion. Ein Abgeordneter, der versucht hat, die Absenkung der 0,8 Promillegrenze zu verhindern, fordert Drogenkontrollen im Straßenverkehr, die es, wenn auch mit unzureichenden juristischen Mitteln, schon längst gibt. Die für Verkehr zuständige Ministerin fordert Blutabnahmen bei Suchtgiftlenkern. Sie müsste wissen, dass es derzeit dafür keine sinnvollen Grenzwerte gibt. Könnte man die Diskussion nicht ehrlicher und etwas überlegter führen?

Der Ruf nach mehr Strafe zielt am Problem vorbei. Der einzige Mensch, den ich kenne, der durch Gefängnis sozial integriert wurde, ist der Hauptmann von Köpenick und auch nur deshalb, weil er eine neuerliche Gesetzesverletzung beging. Wir brauchen nicht mehr Gefängnisinsassen, die können wir uns sowieso nicht leis-ten, sondern eine scharfe Trennung zwischen krank und kriminell. Das kann nur geschehen, wenn die Süchtigen noch mehr und besser substituiert werden. Süchtige, die ausreichend Ersatzdrogen erhalten, müssen ihre Sucht nicht mit Dealen, Rauben und Prostitution finanzieren. Wenn sie es trotzdem tun, sind sie kriminell.

Die Absicht, die Eigenbedarfsmenge - jene Menge, die ein Süchtiger straffrei besitzen darf - von fünf auf drei Gramm abzusenken, soll helfen, Kleindealern habhaft zu werden. Dabei ist aber keine Harnuntersuchung auf Drogen vorgeschrieben, obwohl gerade der Nachweis von Opiaten im Harn eine klare Trennlinie darstellt. Nur wer süchtig ist, hat einen Eigenbedarf! Im Übrigen bin auch ich, obwohl liberal, der Meinung, dass fünf Gramm reines Heroin als Eigenbedarf zuviel sind. Die größten Tagesmengen, die mir aus Gesprächen mit Heroinsüchtigen bekannt sind, liegen bei zwei Gramm Heroinverschnitt pro Tag. Wobei ich grundsätzlich anfügen muss, dass obwohl statistisch vielleicht nicht fassbar, es für mich als Polizeiamtsarzt deutlich erkennbar ist, dass sich der Gesundheitszustand der Drogenkranken gebessert hat.

Cannabis gilt als Einstiegsdroge, weil es den Kontakt zum Dealer herstellt. Die Freigabe wird auch deshalb von Fachleuten abgelehnt. Würde man es aber öffentlich in der Trafik oder Apotheke kaufen können, dann wäre es keine Einstiegsdroge. Und ob es dann wesentlich mehr Konsumenten geben würde, ist sehr fraglich. In seiner schädlichen Wirkung ist Can-nabis weniger gefährlich als Alkohol. Leberzirrhose, andere Organschädigungen, und die irreversible Hirnschädigung bei Ungeborenen, wie sie bei Alkoholkonsum auftreten, gibt es bei Cannabis nicht.

Das häufigste Suchtmittel in Österreich ist Alkohol. Dass die Menschen damit umgehen können, ist ein Irrtum, sonst würden nicht Tausende daran sterben. Auch die Zahl der unter Alkoholeinfluss begangenen kriminellen Delikte ist beträchtlich, trotzdem regen sich nur wenige Politiker auf. In der Drogenpolitik wird sehr viel mit zweierlei Maß gemessen. Das Geschrei um die Drogen, bei fehlendem Interesse an Lösungen, führt zur Ausgrenzung Drogenkranker und dient nur dem Wählerfang und der Ablenkung von den eigentlichen Problemen des Landes. Dass die Teilnahme am Straßenverkehr unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen nicht zu tolerieren ist, ist dabei selbstverständlich, gehört aber in die Verkehrspolitik.

Der Autor ist Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde.

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