Nur wer sterben kann, vermag zu leben

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Der Theologe Franz Schmatz blickt auf ein langes Engagement in der Sterbebegleitung zurück. Vieles erlebt er dabei als bedrückend, vieles hingegen auch als große Bereicherung für sein eigenes Leben.

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Der Theologe Franz Schmatz blickt auf ein langes Engagement in der Sterbebegleitung zurück. Vieles erlebt er dabei als bedrückend, vieles hingegen auch als große Bereicherung für sein eigenes Leben.

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DIE FURCHE: Herr Schmatz, Sie sind seit 25 Jahren in der Sterbebegleitung tätig. In dieser Zeit begleiteten Sie etwa 3.500 Menschen hinein in ihr Sterben. Wie sehen Sie heute die Entwicklung der Sterbebegleitung in Österreich? Was hat sich seit den Anfängen geändert?

Franz Schmatz: Als ich begonnen habe, war dieses Anliegen in Österreich noch kein Thema. Als ich bei uns im Krankenhaus in Krems damit anfing, gab es schon ein Kopfschütteln und die Frage: "Ist das wirklich notwendig?" Wenn ich zurückschaue, habe ich das Gefühl, dass es zwar relativ lange bei uns in Österreich gedauert hat, bis dieses Anliegen wirklich zum Tragen gekommen ist. Aber in den letzten Jahren wird es immer aktueller, sicher auch bedingt durch die High-Tech-Medizin. Es gibt immer mehr Menschen, die sagen: "Ich möchte von der High-Tech-Medizin begleitet und versorgt werden. Aber in der Endphase möchte ich auch die Möglichkeit bekommen, in einer natürlichen Art und Weise zu sterben." Es ist daher wichtig, dass sich noch mehr Menschen engagieren und sich mit diesem Anliegen auseinandersetzen.

DIE FURCHE: Was fasziniert Sie an Ihrer Aufgabe?

Schmatz: In der Sterbebegleitung wird erlebbar, dass Sterben wirklich etwas mit dem Leben zu tun hat. Ich formuliere das oft so: "Wer sterben lernt, also wer loslassen lernt, der kann auch wirklich leben." Ich bin in diesen Jahren vielen sterbenden Menschen begegnet, die in diesem Sinn für mich selber zu Lehrerinnen und Lehrern für das Leben geworden sind. Viele Menschen glauben immer, wer sich mit dem Sterben auseinandersetzt, der wird selber traurig und hat keine Freude mehr am Leben. Ich erlebe genau das Gegenteil. Sterbende Menschen mahnen eigentlich uns alle, auch mich selber, das Leben wirklich auszukosten. Vor allem in den guten Tagen und Phasen soll man daraus Kraft schöpfen, um dann vielleicht während der Durststrecken des Lebens bestehen zu können.

DIE FURCHE: In Ihrem Buch "Zeit zu Leben" verbinden Sie Sterbebegleitung mit Lebensbegleitung. Warum?

Schmatz: Ich glaube, unserer Gesellschaft wird es nur dann gelingen, den Tod und das Sterben zu enttabuisieren, wenn möglichst viele Menschen erfahren, dass Sterbebegleitung wirklich Lebensbegleitung ist. Das heißt es in einem doppelten Sinn: Wir, die Sterbende begleiten, werden von den Sterbenden ermutigt, wirklich bewusst zu leben. Wir dürfen in der Begleitung sterbenskranken Menschen helfen, dass sie wenigstens im Kleinen noch Freude erleben dürfen.

Ich erlebe immer wieder voller Dankbarkeit, dass auch sterbenskranke Menschen, die auch gar nicht mehr aufstehen können, die sich kaum mehr rühren können, sich auf einmal ganz intensiv freuen können. Zum Beispiel über einen Sonnenuntergang, den sie sehen, wenn sie beim Fenster hinausschauen. Da denke ich mir oft: Wenn Menschen unter diesen Rahmenbedingungen noch so viel Freude erleben können, um wie viel mehr sollten wir uns eigentlich auch bemühen? Gerade weil wir nicht in dieser Grenzsituation stecken?

DIE FURCHE: Wie können Angehörige und Freunde von sterbenskranken Menschen in dieser Grenzsituation des Lebens am besten reagieren?

Schmatz: Mir ist es selber immer wieder ein großes Anliegen, gleichsam ein bisschen ein Vermittler zu sein zwischen dem kranken Menschen und den Angehörigen und Bekannten. Viele sind einfach hilflos. Sie ziehen sich auch deswegen vom sterbenskranken Menschen zurück.

Wir müssen in der Begleitung beiden helfen: dem Kranken und den Angehörigen. Wir müssen ihnen helfen, dass sie lernen, zu ihren Gefühlen auch zu stehen. Dass sie fähig werden, miteinander zu weinen, aber auch in dieser Situation miteinander zu lachen. Dass sie einfach lernen, miteinander das Leben zu teilen, ein Stück wenigstens.

Ich finde es oft wirklich berührend, wenn ein Sterbender oder ein Angehöriger zu mir sagt: "So intensiv, wie wir jetzt in diesen Monaten oder Wochen miteinander leben, haben wir eigentlich die Jahre vorher nicht gelebt!" Wenn noch mehr Menschen das erleben können, dann erleben sie wirklich hautnah, dass die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod nicht einfach nur Last und Mühe ist oder Abtötung der Lebensfreude bedeutet. Ganz im Gegenteil! Das Leben kann sich angesichts des Todes intensivieren. So paradox das auch klingt!

DIE FURCHE: Kann der Glaube in dieser Grenzsituation über vieles hinweghelfen?

Schmatz: Eine gesunde, eine echte und ursprüngliche Religiosität kann dem Menschen wirklich viel helfen! Ich merke vor allem in der Begegnung mit älteren Menschen, dass leider viele eine Religiosität kennen gelernt haben, die verbunden war mit Drohung, mit Angstmachen. Angst auch vor dem, was nach dem Tod kommt, etwa dem Gericht. Dadurch erfahren viele Menschen in der Endphase ihres Lebens aus der Religiosität nicht Lockerheit, Gelassenheit, Freude und die Fähigkeit, sich in die Liebe Gottes hineinfallen zu lassen. Sie werden dann sogar noch von starken Ängsten geprägt.

Daher ist es mir auch sehr wichtig, auch aus der Erfahrung meiner eigenen Krankheit heraus, zu einem Gottesbild zu finden, das geprägt ist vom liebenden Gott, der sich mir zuwendet, gerade wenn ich im Leid bin. Mir ist es ein ganz großes Anliegen, Krankheit, Leid und Tod wegzubringen von Strafe, von Sünde, von Rache und statt dessen eine Religiosität zu vermitteln, aus der ein Mensch wirklich Kraft schöpfen kann. Eine lebensbejahende Religiosität wird dann zu einer unvergleichlichen Hilfe, um auf diesem schweren Weg bestehen zu können.

DIE FURCHE: "Am Sterbebett zählt nur eine Frage: "Wer bist du als Mensch?", heißt es in Ihrem Buch und Sie enden mit den Worten: "Dann kann der Tod kommen und trotzdem das Leben siegen." Wie gelangen Sie zu dieser Schlussfolgerung?

Schmatz: Die Frage "Wer bist du als Mensch?" ist die entscheidende. Mir wird das bewusst, egal von welcher Disziplin wir an den Sterbenskranken herantreten. In der letzten Phase zählen nicht mehr die Fragen: "Was hast du an Geräten? Was hast du an Büchern in deinen Händen? Welche Fertigkeiten hast du gelernt? Welchen Titel hast du vor deinem Namen? Was hast du alles in deinem Gehirn gespeichert?" Die entscheidende Frage ist dann vom Sterbenden her an die Begleitenden: "Hast du wirklich ein Herz, und lebst du aus deinem Herzen heraus? Bist du fähig, von daher zu lieben? Gibt es eine innere Mitte, aus der du lebst?" Daher traue ich mich auch zu sagen, dass das Leben stärker ist als der Tod, und das Licht stärker ist als das Dunkel. Wenn ich wirklich gelebt habe, habe ich Schätze, die über den Tod hinaus wirken. Ich bin überzeugt, dass der Tod nicht das Letzte ist, sondern gleichsam ein Tor in eine neue Wirklichkeit hinein. Mir ist wichtig, dass ich glauben kann und glauben darf, dass es nach dem Tod weiter geht.

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