"Ökonomen verstehen nichts vom Glück"

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Bernhard Felderer, Chef des Staatsschuldenausschusses, über das gefährliche Budgetdefizit der Republik, die nötigen Konsequenzen der Wirtschaftskrise und die unveränderlichen Gesetze der Marktwirtschaft. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Bernhard Felderer ist seit 1991 Chef des Instituts für Höhere Studien. Er analysiert im Furche-Interview die Ursachen und Folgen der Wirtschaftskrise. Er fordert einen budgetären Sparkurs und wendet sich gegen neue Steuern. Er warnt auch vor einem schwer kontrollierbaren strukturellen Defizit Österreichs. Frankreich wirft er vor, mit protektionistischen Maßnahmen als "schlechtes Beispiel" voranzugehen.

Die Furche: Das Budget kommt durch den Konjunktureinbruch schwer unter Druck. Österreich wird eine Gesamtstaatsverschuldung von 78 Prozent des BIP verbuchen. Dem soll ausschließlich mit Einsparungen im Verwaltungsbereich gegengesteuert werden. Doch an solchen Maßnahmen beißt sich die Politik seit Jahrzehnten die Zähne aus. Ist der Plan zu naiv?

Bernhard Felderer: Ich verstehe Ihre Skepsis. Auf der anderen Seite spüren die Bundesländer jetzt zum ersten Mal, dass nicht nur sie selbst, sondern auch der Bund unter einem gewaltigen Druck steht. Die Verschuldung ist ja nur Ausdruck dessen, dass man nicht mehr zurechtkommt. Die Maßnahmen, die der Staat bisher ergriffen hat, sind sehr gut gewesen. Aber hinter diesen konjunkturellen Schulden steht auch ein strukturelles Defizit. Das wird sichtbar werden, wenn die Konjunktur sich erholt. Dann wird man ein Defizit von 4,7 Prozent registrieren und sich fragen, woher das kommt.

Die Furche: Unter anderem durch unbedachte Ausgaben …

Felderer: Wir haben vor der Wahl im Herbst mehr als eine Milliarde an zusätzlichen Ausgaben beschlossen, da war die Krise schon absehbar. Das war ein Fehler. Natürlich kann das die Regierung jetzt nicht zugeben. Aber trotzdem wird man eine Sanierung ab 2011 einleiten müssen.

Die Furche: Das wird aber ohne neue Steuern nicht gehen.

Felderer: Neue Steuern wären eine Kapitulation und mit neuen Vermögenssteuern würde man auch noch jene verjagen, die jetzt investieren sollen. Wir haben eine der höchsten Steuerquoten der Welt. Da braucht es nicht noch einen traurigen Rekord zusätzlich.

Die Furche: Aber Strukturreformen könnten auch schon jetzt passieren.

Felderer: Im Moment nicht. Jetzt braucht der Finanzminister jeden Cent, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Und was den Arbeitsmarkt betrifft: Im Moment scheinen die Mittel ausreichend, aber wir wissen nicht, wie weit das noch gehen kann.

Die Furche: Wann werden die Strukturpakete wirksam?

Felderer: Das geht nicht so rasch. Aus dem ersten Konjunkturpaket werden es im ersten Halbjahr 2009 nur 100 Millionen sein. Wichtig ist aber, dass die großen Unternehmen durch die Konjunkturpakete jetzt schon volle Auftragsbücher für die kommenden Jahre haben und damit ihren Personalstand halten und ausbauen können.

Die Furche: Was passiert, wenn die Krise länger dauert als erwartet? Werden dann die Schulden explodieren?

Felderer: Wirtschaftskrisen dauern nicht ewig. Die Krise von 1929 hat nur vier Jahre gedauert. In Deutschland und in den meisten anderen Ländern ging sie 1934 zu Ende.

Die Furche: In den USA dauerte sie aber bis zum Zweiten Weltkrieg.

Felderer: Die Amerikaner hatten nach den positiven Auswirkungen des New Deal unter Roosevelt noch einen Einbruch, der erst durch die Rüstungsausgaben zu Beginn des Zweiten Weltkriegs beendet wurde.

Die Furche: Zurück zur aktuellen Wirtschaftskrise. Banken müssen unter Kuratel gestellt werden, in den USA und Europa gibt es teilweise Zuschüsse für Unternehmen. Haben jene recht, die den Staat als verlässlicheren Unternehmer sehen?

Felderer: Nein, überhaupt nicht. Der Staat war ein ungeheuer schlechter Unternehmer. Wir haben es in Österreich verabsäumt, einen internationalen Konzern aufzubauen, in der Größe etwa von BMW. Die Philosophie der Verstaatlichten war: Wir investieren nicht im Ausland, denn das hieße, Arbeitsplätze zu exportieren. Heute sieht man das natürlich anders.

Die Furche: Aber wenn der Staat schon Geld gibt, um Unternehmen am Leben zu halten, sollte er dann nicht mitreden können, was die Managergehälter betrifft?

Felderer: Wenn der Staat eine Firma unterstützt, hat er natürlich ein Recht mitzubestimmen. Das ist eine akzeptable Lösung. Die Firma hat es ja nicht geschafft, alleine durch den Dschungel zu kommen. Jetzt muss sie eben Auflagen akzeptieren.

Die Furche: Aber auf keinen Fall soll der Staat das Management übernehmen …

Felderer: Das kann er nicht. Wenn politische Funktionäre wirtschaftliche Funktionen übernehmen, geht das zumeist daneben. Politiker zu sein und die Zustimmung von Menschen zu bekommen, ist ein völlig anders Talent, als ein Unternehmen zu führen. Eine Firma als Stratege zu führen, erfordert längerfristiges Denken. Sehen Sie sich an, wie langfristig die Investitionen bei Öl- und Gaskonzernen gemacht werden, da gibt es oft erst nach zehn oder zwanzig Jahren Profite. Soviel Zeit hat man als Politiker nicht, um Ergebnisse vorzuweisen.

Die Furche: Ist das nicht generell ein Problem: Unser politisches Entscheidungssystem lässt langfristige Maßnahmen kaum zu - vor allem, wenn es um die sozialen Netze geht -, weil der politische Horizont sich bloß auf eine Legislaturperiode beschränkt.

Felderer: Ich sehe das ähnlich. Die Sicherungsnetze der politischen Entscheidung anheimzustellen, ist eigentlich sehr schlecht. Es gab in Deutschland eine interessante Diskussion, ob man das Pensionssystem in den Verfassungsrang erheben sollte. Es wäre nicht dumm, daraus ein Verfassungsgesetz zu machen. Aber die Politik hat sich immer vorbehalten, hier Änderungen einzuführen. Das schafft wiederum eine große Unsicherheit.

Die Furche: Vor allem in Zeiten einer schweren Wirtschaftskrise und einbrechender Pensionsfonds.

Felderer: Richtig. Die jungen Menschen können nicht mehr mit einer ordentlichen Pension rechnen. Sie müssen sich also selbst eine Vorsorge schaffen und die Pensionen der Alten auch noch mitzahlen. Das ist schon problematisch. Man wundert sich, dass der Verteilungskampf zwischen den Altersgruppen eigentlich bislang kaum existiert. Tatsächlich besteht aber ein großer Interessensgegensatz.

Die Furche: Die Armutsbekämpfung mit einer bedarfsorientierten Mindestsicherung gilt als Weg zu einer gerechteteren Verteilung des Reichtums und der Bekämpfung der Armut.

Felderer: Die gesellschaftlichen Probleme der Armut liegen viel tiefer. Man kann Armut nicht mit Geld allein lösen. Man sollte vielmehr integrative Maßnahmen setzen, im Bildungsbereich, in der sozialen Wiedereinbindung der Betroffenen.

Die Furche: Wird die Wirtschaftskrise auch eine drastische Steigerung der Armut mit sich bringen?

Felderer: Das glaube ich nicht. Wenn jemand eine Familie und Freunde hat, dann rutscht er auch bei Arbeitslosigkeit nicht in diese stark gefährdete Zone. Viel gefährdeter sind Einzelgänger, die in der Not nicht auf ein soziales Netz zählen können.

Die Furche: Sehen Sie eigentlich Chancen dafür, dass diese Wirtschaftskrise die letzte sein wird, unter der Bedingung, dass es tatsächlich zu nachhaltigen Reformen des Systems kommt?

Felderer: Dass die Konjunktur hinauf- und hinuntergeht, ist unvermeidlich. Das ist einfach die wechselnde Kumulation von Optimismus und Pessimismus. Dass es diese Wellen gibt, hat man schon im 18.Jahrhundert erkannt. Wir haben immer gedacht, dass größere Einheiten diese Schwankungen verhindern. Aber davon kann keine Rede sein. Wir haben manchmal Glättungen geschafft, aber das Phänomen ist geblieben. Durch diese Krisen findet aber auch eine Selektion statt, die Unternehmen, die erfolgreich waren, überleben lässt. Faul gewordene Strukturen werden dagegen ausgesondert.

Die Furche: Ist aber für eine solche Reinigung die Verschrottungsprämie die richtige Maßnahme? So werden Milliarden von Steuergeld in marode Strukturen ohne Nachhaltigkeit gepumpt.

Felderer: Das ist auch vielfach kritisiert worden. Profitiert hat davon das untere Preissegment, also etwa Opel, aber sie sind deshalb auch nicht aus der Krise herausgekommen. Wir haben ja auch gesagt, dass das für Österreich nicht gut war. Wir hätten das nicht gebraucht.

Die Furche: Begonnen hat die Welle von fragwürdigen Stützungsmaßnahmen in Frankreich, wo die Autohersteller ganz massiv gestützt werden.

Felderer: Da ist ein gefährlicher Trend entstanden, dass nämlich wieder jedes Land seine eigenen Industrien schützt. Frankreich geht mit sehr schlechtem Beispiel voran. Gut ist, dass man in Deutschland sehr viel zurückhaltender war, weil sich die Regierung in Berlin ihrer Verantwortung bewusst ist. Der deutsche Finanzminister macht in dieser Hinsicht einen guten Job.

Die Furche: Der Ökonom Paul Krugman bezeichnet Peer Steinbrück hingegen als dumm, weil er nicht noch mehr Geld in die Wirtschaft pumpt.

Felderer: Steinbrück macht das völlig richtig. Man kann ja die Verschuldungskomponente nicht außer Acht lassen und sagen, mir ist egal, was morgen sein wird. Diese konsequenten Keynesianer sind auch ein bisschen blind, was die Zukunft betrifft. Krugman kennt offensichtlich die aktuellen Daten für Österreich und Osteuropa nicht.

Die Furche: Zurück zu den Konsequenzen der Krise. Was muss unbedingt geändert werden?

Felderer: Eine Ursache der Krise war, dass die Fremdkapitalfinanzierung der Banken im Verhältnis zum Eigenkapital enorme Ausmaße angenommen hat. Dadurch war das System sehr fragil. Ein ähnlich hohes Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital haben wir in der Krise 1929 gehabt. Danach wurde das abgebaut. Ein solches Deleveraging läuft auch zur Zeit ab. Wenn die Krise vorüber ist, brauchen wir eine Bankenregulierung, die sicherstellt, dass die Banken alle ihre Aktivitäten in ihren Bilanzen verbuchen. In den USA hat sich sehr viel Aktivität außerhalb der Bankbilanzen abgespielt. In Zukunft muss die Fremdkapitalfinanzierung eine viel geringere Rolle spielen.

Die Furche: Ist das kranke Finanzsystem nicht auch das Spiegelbild einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fehlentwicklung. Warum muss immer mehr immer billiger produziert werden? Warum wird Überfluss mit Glück gleichgesetzt?

Felderer: Wenn Sie über Glück reden wollen, sprechen Sie nicht mit Ökonomen, die verstehen davon noch weniger als andere. Wenn wir davon reden, Ressourcen sinnvoll zu verwenden, um Bedürfnisse zu befriedigen, dann ist der Ökonom der richtige Ansprechpartner. Aber diese materiellen Dinge haben mit Glück sehr wenig zu tun.

Die Furche: Das sagen Sie. Die Werbung und der gelebte Konsum zeigen in die entgegengesetzte Richtung.

Felderer: Deshalb wird es aber nicht wahrer. Glück wird grundsätzlich sehr relativ empfunden. Ein Beispiel: Ich habe während eines Aufenthalts in Italien eine polnische Jüdin kennengelernt. Sie war während des Weltkriegs in einem KZ interniert und musste Tag für Tag in dieser unfassbaren Grausamkeit und Angst leben. Sie erzählte, dass sie unter diesen Umständen manchmal einen schönen Sonnenaufgang als tiefes Glück empfunden hat. Dieses Gefühl kann jemand, der immer alle materiellen Güter bekommen hat, nicht würdigen. Geben Sie einer Person alle Dinge, sie wird sie in kurzer Zeit nicht mehr schätzen. So ist es auch, wenn Sie nach etwas streben. Die Erfüllung ist immer zugleich Höhepunkt und Ende.

Ökonom

Bernhard Felderer, studierte in Wien und Paris und lehrte Ökonomie in den USA und Deutschland. Seit 1991 ist er Chef des Instituts für Höhere Studien und präsident des Staatsschuldenausschusses.

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