Österreich auf der Klimaschutz-Bremse

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Über den Klimaschutz im Rahmen des Kyoto-Protokolls (siehe Kasten) und seine Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie diskutieren Lorenz Fritz, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), und Thorben Becker, Umweltjurist von Global 2000.

Die Furche: Global 2000 wirft der IV die systematische Zerstörung der österreichischen Klimapolitik vor. Tatsächlich wurde das Recht erkämpft, trotz Einsparungsverpflichtungen im Rahmen des Emissionshandels noch mehr CO2 auszustoßen als derzeit.

Lorenz Fritz: Wir sind ja nicht die einzigen, die das so machen. Das machen die neuen EU-Mitglieder im Sinne ihrer Wohlstandsvermehrung, und das machen auch einige alte Mitglieder. Wir wollen nicht, dass der Klimaschutz in Österreich die Industrie mehr kostet als anderswo und Österreich seine Wettbewerbsfähigkeit verliert. Darum schauen wir in der ersten Phase bis 2007, wie der Emissionshandel funktioniert und was die anderen Länder tun. Dann kann man definieren, was die österreichische Industrie für den viel wichtigeren Zeitraum 2008 bis 2012 beiträgt. Sie sagen, wir würgen den Klimaschutz ab - ich sage, Sie würgen die Industrie ab.

Thorben Becker: Die Wettbewerbssituation in der EU ist genau umgekehrt: Mit dem Wachstumszuschlag, den Österreich bei den Gratiszertifikaten draufgeschlagen hat, tritt es als Klimaschutzbremse auf. Österreich ist vom Kyoto-Ziel weit entfernt. Wir müssen mittlerweile nicht 13, sondern etwa 23 Prozent der Emissionen einsparen, weil sie so stark gestiegen sind. Und die bisherigen Entwürfe schauen nicht so aus, als ob Industrie und Stromwirtschaft dazu etwas beitragen werden. Laut den österreichischen Plänen sind die Emissionen im Jahr 2013 über dem jetzigen Stand. Das ist absolut keine Klimaschutzpolitik.

Fritz: Das ist ihre Rechnung. Aber wir tun ja für den Klimaschutz auch nichts, wenn wir die österreichische Industrie vertreiben. Die produziert dann woanders, wo mehr CO2 ausgestoßen wird. Wir sind ja eines der diesbezüglich effektivsten Länder.

Becker: Es wird allein schon wettbewerbsrechtlich nicht gehen, dass man möglichst viele Emissionsrechte bekommt und dann schaut, wie viele man braucht. Denn der österreichischen Industrie würde damit ja ein großes Geschenk gemacht: Sie erhält mehr Zertifikate, als sie braucht, mit den überzähligen kann sie gewinnbringend handeln Das ist eine verbotene Subvention.

Die Furche: Einerseits bekennt sich die EU zum Ziel von Kyoto, andererseits gibt es aber auch die Lissabon-Strategie, die Europa bis 2010 zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt machen soll. Widerspricht sich das?

Fritz: Ja. Europa hat sich im Klimaschutz zu viel vorgenommen, denn Lissabon nicht zu berücksichtigen geht nicht. Wir brauchen eine vernünftige europäische Politik, die neu definiert gehört.

Becker: Wir haben jetzt also nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa das Problem, dass die Kyoto-Ziele wahrscheinlich nicht erreicht werden. Und das ist schon eine Gefahr für den globalen Klimaschutz. Zum Beispiel Indien und China sind wachsende Wirtschaftsräume mit großem Nachholbedarf. Um denen zu vermitteln, dass im Wachstum auch Klimaschutz wichtig ist, können sich jetzt nicht die Industriestaaten zurücklehnen und sagen, bei uns geht das nicht.

Die Furche: Herr Becker, die IV befürchtet, Betriebe könnten ihre Produktion ins Ausland verlagern, wenn der Klimaschutz zu teuer wird...

Becker: Der Großteil der österreichischen Wirtschaft sind Klein- und Mittelbetriebe. Die haben aus meiner Sicht kein Problem mit Klimaschutz, im Gegenteil: Für die könnte es gute Standortpolitik sein, Österreich zum Vorreiter bei erneuerbaren Energien und Einspartechnologien zu machen.

Fritz: Sie meinen also, nur die Großen würden auswandern, aber das stimmt nicht. Es gibt so viele kleine Betonwerke und Papierfabriken, die wären alle fort. Aber die Voest zum Beispiel kann gar nicht weg. Sie allein macht schon 60 Prozent des CO2-Ausstoßes aus, wenn wir einmal die Energiewirtschaft weglassen. Dabei gehört die Voest zu den CO2-effektivsten Stahlwerken Europas. Sie entwickelt sich derzeit großartig, kann aber nicht kompensieren, was jetzt durch mehr Produktion dazukommt. Das ist prozessbedingt, weil sie eben in der Stahlherstellung Koks verwendet, und das bedeutet CO2-Ausstoß, ob sie will oder nicht. Die Voest fühlt sich nun bestraft, weil sie für etwas, was sie gar nicht mehr einsparen kann, Verschmutzungsrechte zukaufen muss. Das Instrument Emissionshandel macht aber nur Sinn, wenn man etwas tun kann, um die Emission zu verringern.

Und das Gegenstück sind die kleinen Ziegeleien. Da fehlen 30.000 Tonnen CO2. Für diese Firmen wird Wachstum prognostiziert. Jetzt haben wir also Ziegeleien, die mit ein bisschen mehr Auslastung endlich in die Gewinnzone kommen. Aber auch bei denen ist es prozessbedingt, dass sie nicht so viel CO2 einsparen können, wie nötig wäre, um mit den Gratiszertifikaten auszukommen. Das heißt, wenn sie mehr produzieren, müssen sie zukaufen. Die können diese Kosten aber auch nicht im Preis weitergeben. Die sperren zu. Das sagen die Kleinen.

Becker: Das sagen einige Kleine. Aber unter dem Strich entspricht es nicht dem, was die österreichische Industrie leisten kann. Ich glaube, sie ist in der Lage, CO2-Emissionen einzusparen und wesentlich effektiver zu produzieren. Sie unterschätzen Ihre eigenen Unternehmen.

Fritz: Es ist glücklicherweise ohnehin die Mehrheit unserer Mitglieder, die etwas für den Klimaschutz tun wollen. Es gibt auch andere, die sagen, wenn Sie weiter so überzogen reagieren und uns die Vorreiterrolle zumuten, dann machen wir eben gar keinen Klimaschutz mehr. Die Frage ist, ob Sie es mit der Industrie oder gegen die Industrie machen. Derzeit machen Sie es gegen die Industrie.

Becker: Es ist die Frage, wer die Industrie ist. Ich glaube, dass es hier um einige Großunternehmer geht. Und selbst wenn der Klimaschutz einige Unternehmen in der nächsten Periode Geld kostet, sind das im Vergleich zu dem, was die jetzt im Rahmen der Steuerreform eingespart haben, kleine Beträge, die kaum eine Rolle spielen im Vergleich zu den Einsparungen. Man muss sich schon die gesamte finanzielle Belastung anschauen, und da spielt dieses Schreckensszenario Klimaschutz eine verhältnismäßig kleine Rolle. Dass eine höhere Investition in Klimaschutz oder leichte Mehrkosten für den Ausbau erneuerbarer Energie wesentliche Standortkriterien sind, bestreite ich daher. Zumindest für die Industrie, die ein Interesse daran hat, langfristig in Österreich zu bleiben.

Fritz: Jetzt kommt wieder das Klischee, die Industrie könne sich das schon leisten, weil sie ja von der Senkung der Körperschaftssteuer (KöSt) profitiere. Die KöSt hilft uns nur, dass nicht generell eine Verlagerung der Betriebe stattfindet. Die energieintensive Industrie hat aber schon allein aus der Ökologisierung des Steuersystems Belastungen im dreistelligen Millionen Euro-Bereich. Wenn in der Standortsicherung nichts gemacht wird, hilft die KöSt-Senkung nichts. Wir bringen jetzt langsam der Politik bei, dass sie die energieintensive Industrie vertreibt, und zwar nicht nur durch den Klimaschutz. Man muss die Belastungen ja kumulativ sehen.

Becker: Das ist irrational. Wenn durch die KöSt-Senkung mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr gespart werden und der Klimaschutz etwa 50 Millionen Euro kostet, natürlich mag das Verhältnis bei einigen auseinander gehen, aber das steht in keinem Verhältnis.

Fritz: Sie dürfen nicht volkswirtschaftlich rechnen, sie müssen das betriebswirtschaftlich auf einzelne Unternehmen herunter brechen. Dann kommt man schnell drauf, dass sich das bei Kleinen und bei Großen nicht rechnet. Und wenn es sich nicht rechnet, sind sie weg. So simpel ist das. Im Übrigen sind wir im Klimaschutz vielleicht weit hinten, aber nicht wegen der Industrie. Hätten alle anderen Sektoren dasselbe wie die Industrie gemacht, würden wir diese Diskussion, dass wir vom Ziel so weit weg sind, nicht führen. Wir haben die Emissionen nur um drei Prozent erhöht. Der Verkehr hat uns durch seine Zuwächse überholt. Dort passiert gar nichts. Wieso sollen wir von der Industrie immer die Deppen der Nation sein?

Becker: Wir machen genauso Verkehrsarbeit. Aber man muss auch sehen, dass ein großer Teil des Verkehrs durch die Industrie verursacht wird. Die Industrie plus Stromwirtschaft ist immer noch der größte Sektor, und der trägt nichts zum Klimaschutz bei.

Fritz: Sollte man nicht zuerst schauen, was geht und erst dann diskutieren, was die Industrie in der zweiten Phase beitragen kann? Dann wird sehr wohl ein Minus an Emissionen heraus kommen. Aber es wird kein Land exakt das tun, was wir in Kyoto vereinbart haben. Die Welt hat sich nun einmal verändert.

Das Gespräch moderierte Claudia Feiertag.

Das Kyoto-Protokoll schreibt verbindliche Ziele für die Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes, darunter Kohlendioxid (CO2), fest: Bis zum Jahr 2012 sollen im Vergleich zu 1990 rund 5 Prozent eingespart werden. Allerdings tritt es erst in Kraft, wenn es mindestens 55 Länder, auf die 1990 wenigstens 55 Prozent aller CO2-Emissionen entfielen, ratifizieren - was noch nicht der Fall ist.

Die EU bekennt sich dennoch zu dem Ziel und hat sich verpflichtet, ihre Klimagas-Emissionen um acht Prozent zu senken, Österreich soll 13 Prozent einsparen. Der Emissionshandel ist ein Mittel, mit dem diese Ziele im Bereich der Industrie erreicht werden sollen. Ihr werden Verschmutzungsrechte in Form von Zertifikaten ausgegeben. Wer mehr braucht, als er zugeteilt bekommen hat, muss Zertifikate von Firmen zukaufen, die ihre Rechte nicht ausnutzen und sie daher weiterverkaufen können. Zur Berechnung der Anzahl der Gratiszertifikate wurde in Österreich jedoch ein prognostiziertes Industriewachstum eingerechnet, sodass die Neuemissionen in der ersten Phase (2005 bis 2007) sogar über den derzeitigen Emissionen liegen können. Für die Periode von 2008 bis 2012 wird die Menge der Zertifikate neu verhandelt.

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