Opposition: Garant gegen "Zurechtstutzen"

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Die Chance für eine substanzielle Reform des VfGH ist nicht zuletzt durch das Verhalten der FPÖ auf null gesunken.

Nun ist es klar: der VfGH wird nicht reformiert. Diese Klarstellung ist nicht der Ankündigung der Klubobmänner der Regierungsparteien, die plötzlich für ein solches Vorhaben die Einstimmigkeit aller Parlamentsparteien propagieren, zu verdanken. Es war der Obmann der SPÖ, Alfred Gusenbauer, der eine Zustimmung seiner Partei zu einem solchen Schritt ausschloss, womit er den Regierungswunsch in das Reich der Träume verwies. Die Regierung besitzt keine Mehrheit, um die Verfassung zu ändern. Sie braucht dazu die Opposition. Diese ist aus verständlichen Gründen nicht bereit, das Plazet für eine "Objektivierung" der Bestellung der Verfassungsrichter zu geben.

Damit ist zumindest ein Teil jener Affäre stillgelegt, die als Skandal in die Geschichte des österreichischen Rechtsstaates eingehen wird. Nach den Attacken des Kärntner Landeshauptmannes gegen den VfGH ist der Ruf nach Objektivität und nach Objektivierung der Bestellung der Mitglieder des Höchstgerichtes mehrfach suspekt. Was unter "Objektivierung" à la Westenthaler zu verstehen ist, ist hinlänglich bekannt. Dass die Regierung zu diesem Thema ihre Glaubwürdigkeit verloren hat, wurde zuletzt durch die ORF-Reform bestätigt. Die Opposition wird offensichtlich zum Garanten, dass der VfGH nicht "zurechtgestutzt" wird.

Die Art und Weise, wie die politischen Parteien mit dem VfGH in der Vergangenheit umgegangen sind, bot viel Anlass zu Unmut. Die Spuren der großen Koalition der Nachkriegszeit prägen bis heute die Zusammensetzung des "Hüters der Verfassung". Ein vor Jahrzehnten abgeschlossenes Übereinkommen zwischen der ÖVP und der SPÖ hat den Gerichtshof "fraktioniert". Das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Fraktionen hat nicht selten auch Auswirkungen auf die Judikatur gehabt. Doch kann man seit Jahren eine gewisse Änderung feststellen. Der Gerichtshof hat nicht zuletzt durch seinen derzeitigen Präsidenten Adamovich ein integratives Zusammenwachsen erfahren, durch das die Grenze zwischen den Fraktionen nur mehr selten sichtbar wird.

Im Übrigen ist zur Objektivitätsdiskussion zu bemerken, dass die politischen Parteien von niemandem daran gehindert werden, in den für die Bestellung der Verfassungsrichter vorschlagsberechtigten Institutionen (Bundesregierung, National- und Bundesrat) den Grundsatz der Objektivität zu praktizieren und das politische Naheverhältnis der Kandidaten überhaupt in den Hintergrund zu rücken. Es wäre Sache der Parteien gewesen, für ein Klima zu sorgen, in dem man jene Reformvorschläge diskutieren hätte können, die seit langem thematisiert werden. Es ist dies beispielsweise die Umwandlung des Gerichtshofes in eine Einrichtung mit hauptberuflichen Richtern. Ich halte es zwar für einen Vorteil, dass die Mitglieder des VfGH zum Teil neben ihrer richterlichen Tätigkeit einen Beruf ausüben, weil dies zur Wirklichkeitsnähe der Judikatur beiträgt und verhindert, dass "weltfremde Richter" entscheiden.

Man könnte auch darüber diskutieren, vom System der Sessionen abzugehen und eine permanente Entscheidungsperiode einzuführen. Und schließlich sei hier noch die umstrittene Frage der "dissenting opinion" erwähnt, die Entscheidungen erheblich transparenter machen würden, da die Gegenstimmen ihre Standpunkte schriftlich begründen und veröffentlichen müssen. Ich halte die Einführung der "dissenting opinion" für einen wichtigen Reformpunkt. Unbehagen ist allerdings verständlich, wenn man daran denkt, in welcher Weise Jörg Haider jene Mitglieder, die gegen seine Interessen entscheiden, an den Pranger stellen würde.

Diejenigen, die keine Reform des VfGH wollen, haben der Regierung, insbesondere der FPÖ, zu danken. Die Atmosphäre, über eine objektivere Besetzung des Gerichtshofes zu diskutieren, ist zerstört. Wobei Objektivität nicht nur dann garantiert ist, wenn ein der FPÖ nahestehender Kandidat in den Gerichtshof aufsteigt. Er könnte ja zufällig auch den Grünen nahe stehen, die sich in vieler Hinsicht glaubwürdiger für die Sache der Menschenrechte eingesetzt haben als die FPÖ. Aber darum geht es nicht. In der emotionsgeladenen Atmosphäre des FPÖ-Neujahrstreffen in Linz kündigte Haider an, über die Fragen des VfGH "einen substanziellen Diskurs zu führen." Bei allem Respekt vor Neujahrstreffen: Die Chance für einen solchen substanziellen Dialog ist nicht zuletzt durch das Verhalten der FPÖ auf null gesunken.

Der Autor war Zweiter Nationalratspräsident.

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