Paragrafen als Barrieren

Werbung
Werbung
Werbung

Die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt muss mehr als ein Schlagwort sein.Sie bedarf der gesetzlichen Verankerung. Doch die Zahl der rechtlichen Hürden ist - auch hierzulande - groß.

Menschen mit Behinderungen werden am Arbeitsmarkt nach wie vor diskriminiert - auch in Österreich. Das "Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen" ist ein guter Anlass, die notwendigen Verbesserungsmaßnahmen deutlich zu machen - insbesondere hinsichtlich der Antidiskriminierungspolitik der Europäischen Union: Die EU hat sowohl durch das Diskriminierungsverbot in Artikel 13 des Vertrages von Amsterdam, als auch durch eine Rahmenrichtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf Akzente gesetzt. Nun ist Österreich am Zug: Bis 3. Dezember dieses Jahres muss die Antidiskriminierungrichtlinie in nationales Recht gegossen werden. Bis dahin ist freilich noch viel zu tun. Im Folgenden ein kurzer Überblick über die Probleme von Menschen mit Behinderungen in der heimischen Arbeitswelt:

1. "Berufsverbote" für behinderte Menschen

Man möchte es kaum glauben, aber oftmals ist behinderten Menschen trotz des Benachteiligungsverbotes in Artikel 7 Absatz 1 der Österreichischen Bundesverfassung und trotz absolvierter Berufsausbildung der Zugang zu bestimmten Berufen verwehrt. In Österreich liegt das zumeist daran, dass für verschiedenste Berufe die volle "körperliche und geistige Eignung" verlangt wird. Über diese Eignung entscheiden Behörden, die meist von den konkreten Lebensrealitäten und Fähigkeiten behinderter Menschen kaum eine Ahnung haben und deshalb auch, oftmals basierend auf Vorurteilen und Irrtümern, diese Eignung behinderter Menschen negieren. So dürfen in Österreich blinde Juristinnen und Juristen weder Richter noch Staatsanwälte werden; behinderte Menschen oftmals nicht die Pädagogischen Akademien besuchen oder zumindest nicht das Lehramt ausüben, nicht Kindergärtner, Erzieher oder Pflegehelfer werden et cetera ...

Damit muss endgültig Schluss gemacht werden. Auswahlkriterium darf künftig -wie auch sonst - lediglich die Qualifikation sein! Außerdem müsste zum Nachteilsausgleich - ähnlich wie in der Frauengleichbehandlung - auch eine Bevorzugung (positive Diskriminierung) behinderter Jobwerber vorgesehen sein.

2. Es gibt kein Recht auf Arbeitsplatzassistenz für Menschen mit Behinderungen!

Menschen mit Behinderungen benötigen im täglichen Arbeitsprozess teilweise Handreichungen; so muss einer blinden Sachbearbeiterin ein handschriftlicher Vermerk vorgelesen oder müssen Aktenstücke eingescannt werden. Einem körperbehinderten Menschen muss beim Handling mit Büchern und Akten (Umblättern) geholfen werden. Diese Handreichungen erledigen Arbeitsplatzassistenten, auf die es in Österreich aber keinen Rechtsanspruch gibt. Ein solcher Rechtsanspruch auf Arbeitsplatzassistenz wäre festzuschreiben.

3. Es gibt kein Recht auf den Einsatz barrierefrei benutzbarer elektronischer Medien!

Damit elektronische Medien - etwa das Internet oder der elektronische Akt - auch von Menschen mit Behinderungen chancengleich benützt werden können, bedarf es einer entsprechenden barrierefreien Programmierung nach den so genannten WAI-Kriterien - Accessibility-Standards für behinderte User. Diese Kriterien werden aber nicht verpflichtend berücksichtigt, sodass elektronische Medien oft nur sehr erschwert genutzt werden können, was die Konkurrenzfähigkeit am Arbeitsmarkt massiv einschränkt. Gerade für die Arbeitswelt wäre die Beachtung der WAI-Kriterien bei der Auswahl elektronischer Medien für verbindlich zu erklären.

4. Die Möglichkeit zur Teilqualifikation ist im derzeitigen

Ausbildungssystem so gut wie nicht vorhanden!

Manche Menschen mit Behinderungen hätten zwar in bestimmten Teilbereichen einer Berufssparte gut einsetzbare Fähigkeiten, können jedoch nicht das gesamte Spektrum der Anforderungen eines Berufszweiges erfüllen. Nach dem österreichischen Ausbildungssystem heißt es aber in der Regel "Alles oder Nichts"; wer nicht alle Anforderungen erfüllt, ist aus dem Ausbildungsangebot ausgeschlossen. Die Option zur Qualifikation in Teilbereichen, je nach den konkreten Fähigkeiten, ist so gut wie nicht vorhanden. Modelle einer Teilqualifizierung wären zu entwickeln und im Ausbildungssystem zu implementieren.

5. Die soziale Sicherheit von arbeitswilligen behinderten Menschen wird oftmals im Fall eines Arbeitsversuches nachhaltig bedroht!

Viele Menschen mit Behinderungen wären in der Lage, eine Teilzeitbeschäftigung - wenn auch vielleicht nur eine geringfügige - auszuüben. Derzeit fallen jedoch mit dem Einstieg in ein solches Beschäftigungsverhältnis viele Leistungen, die zur Existenzsicherung behinderter Menschen dienen (etwa Invaliditätspension, Waisenpension, Dauerleistung der Sozialhilfe, Familienbeihilfe), weg. Damit wird aber die soziale Sicherheit dieser Menschen nachhaltig bedroht, da sie zur Finanzierung ihrer Lebensbedürfnisse ein bestimmtes Mindesteinkommen benötigen. Dieses Mindesteinkommen fällt bei einem Arbeitseinstieg in vielen Fällen weg, da das Einkommen durch Teilzeitarbeit zumeist geringer ist als die entfallende Sozialhilfe- oder Pensionsleistung. Scheitert der Arbeitsversuch, so leben diese Leistungen in der Regel nicht wieder auf. Das Risiko ist somit für viele Menschen mit Behinderungen zu hoch, sodass sie zur Arbeitslosigkeit "gezwungen" werden.

6. Die Behindertenvertrauenspersonen haben zu wenige Befugnisse!

7. Es existiert ein eklatantes Informationsdefizit bei Arbeitgebern und deren Interessensvertretungen über die Fähigkeiten behinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Förderungsmöglichkeiten oder das Angebot an technischen Hilfsmitteln, was oft dazu führt, dass aus Angst vor der ungewissen Herausforderung behinderte Bewerber nicht in die engere Wahl für einen Arbeitsplatz kommen! Gezielte Informationskampagnen könnten hier Abhilfe schaffen.

8. Chancengleichheit und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt - insbesondere hinsichtlich des Zuganges, der Karrierechancen, des Arbeitsumfeldes und der Fortbildungsmöglichkeiten - muss zu einem behördlich durchsetzbaren Rechtsanspruch werden. In diesen Verfahren muss auch eine Beweislastumkehr und ein Verbandsklagerecht vorgesehen sein! Ein Vorbild ist der 1995 in Großbritannien erlassene "Disability Discrimination Act". 180 Angestellte, darunter viele Betroffene, nehmen Beschwerden auf und leiten rechtliche Schritte ein, wenn gegen das Gesetz verstoßen wird.

Ziel der österreichischen Behindertenbewegung ist es nun, vor allem vor dem Hintergrund der anfang Mai durch Vizekanzler Herbert Haupt eingesetzten "Arbeitsgruppe Behindertengleichstellungsgesetz" der Bundesregierung, die genannten, legitimen Forderungen in künftig geltendes Recht umzusetzen.

Der Autor ist Jurist, selbst sehbehindert und Gründer der Interessensgemeinschaft "Blickkontakt". Er ist darüber hinaus Mitglied des "Forums Gleichstellung", einem Zusammenschluss von Vertretern der österreichischen Behindertenbewegung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung