Paris, mon amour

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Wir befinden uns im Jahr2001 n. Chr. Die ganze Welt ist vom Schreckgespenst derGlobalisierung besetzt. Die ganze Welt? Nein! Eine von unbeugsamen Franzosen bevölkerte Metropole hört nicht auf, Supermarktketten, Fast Food und den weltweit die Cineplexxe beherrschenden Hollywoodfilmen Widerstand zu leisten - Paris!

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Wir befinden uns im Jahr2001 n. Chr. Die ganze Welt ist vom Schreckgespenst derGlobalisierung besetzt. Die ganze Welt? Nein! Eine von unbeugsamen Franzosen bevölkerte Metropole hört nicht auf, Supermarktketten, Fast Food und den weltweit die Cineplexxe beherrschenden Hollywoodfilmen Widerstand zu leisten - Paris!

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S icher gibt es in Paris auch Großkinos, finden auch dort Mac Donald's und Konsorten lukrative Standorte und Kunden. Vor allem Touristen oder Jugendliche aus den Maghreb-Staaten, die sich gehobene Gastronomie nicht leisten können. Auch das Personal besteht überwiegend aus jungen Farbigen. Karrieresprünge führen zum Filialleiter: mit der distanzierten Miene eines britischen Kammerdieners sieht ein Schwarzer mit Krawatte, Anzug und polierten Schuhen nach dem Rechten. Selbst am Fast Food-Sektor werden globale Tendenzen modifiziert. Die Kette "Pomme de Pain" hat sich dem Nationalsnack "Sandwich & Compagnie" verschrieben. Baguettes, klassisch mit Jambon de Paris, Käse bis hin zur skandinavischen Spielart mit Lachs und Creme fraiche. Quiches, Flan, Pain au chocolat, Croissants und ähnliches sind auch zu haben. Das Design besticht mit hellem Holz, rauchen ist erlaubt, die Namen des Fast-Food historisch: "La Pause des Rois" lädt um 16 Francs zu gedecktem Apfelkuchen mit Heißgetränk. Das kommt als Tee, Cappuccino, großem oder kleinen Espresso gegen eine Münze an der Kassa aus dem Automaten, dazu gibt es eine Zimtmandel in Schokolade.

Selbst die Burgerriesen aus Amerika bieten neben gängigen ins Quadrat gezwungenen Pommes Frittes dieselben in Segmentform gebraten, einer Geometrie, die der ursprünglichen Wuchsform der Kartoffelknolle eher entgegenkommt. Mousse au chocolat, Flan oder Obstsalat zählen zu den Desserts. Die Anzahl von McDonald's hält sich im Stadtbild in Grenzen. Nur im Lokal auf den Champs Elysees herrscht chronische Überfüllung. Im Kellerlokal einer Einkaufspassage gibt es CD-Ständer, auf denen sich alle Gäste die neuesten Hits anhören können. Unter Jugendlichen ein Dauerbrenner, außerdem ist das Preisniveau auf der Prachtstraße im McDonald's und im benachbarten "Quick" ein überzeugendes Argument für alle Hungrigen.

Gastronomisch dominierten in Paris eine Vielzahl an Bistros, Cafes, Restaurants, Brasserien und Konditoreien, die sich durch das Kochen eines frischen Mittagstisches ihre Klientel sichern. Lebenskultur steht hier höher im Kurs als alles andere, was auch an der geringen Präsenz von Supermarktketten auffällt. Greißlersterben kennt die Seine-Metropole keines: kaum eine noch so kleine Gasse, in der nicht drei oder vier kleine Lebensmittelläden den täglichen Bedarf höchst unterschiedlich zu stillen wüssten.

Hier ein Bistro, dort eine Boulangerie...

Selbst am ersten Jänner um zwei Uhr früh sperren die ersten Nahversorger wieder auf. Äpfel, Birnen, Mangos, Orangen: vor jeder Tür andere Varianten zu Obst und Gemüse, die sich im Inneren mit Wein, Trinkwasser, Delikatessen oder Keksen fortsetzen. Jedes Geschäft ein kleines Refugium, eine Schatzgrube mit Süßigkeiten für Kinder an der Kassa. Frisches Baguette ist immer zu haben, eine Vielzahl an Märkten bietet vom frischen Obst bis hin zu eisgekühlten Muscheln und Austern alles, was das Herz des Gourmets begehrt.

Paris ist eine Metropole für die Sinne. Schon eine Fahrt mit der Metro genügt, um das zu wissen. Hellbraun, dunkelschwarz, schneewittchenweiß, senfgelb: die Hautfarben der Passanten spiegeln die Einwohnervielfalt einer Stadt wieder, die vielen Einwanderern aus ehemaligen Kolonien seit Jahrzehnten in unvergleichlicher Weise Quartier bietet. Abgesehen vom unverkennbaren Geruch, einer Mischung aus Wärme, Fahrtwind und Chemie, die sich als ewiger Eindruck in der Nase speichert, hat jede Station des weitverzweigten, historisch gewachsenen Netzes unter dem Asphalt der Prachtstraßen ihren eigenen Charakter. Besonders vornehm die unter dem Louvre: ein hochmodernes, mit der berühmten gläsernen Pyramide des Architekten Ieoh Ming Pei vernetztes Geschäftslabyrinth mit kleinen, pyramidenförmigen Oberlichtern empfängt kaufwütige ebenso wie kunstsinnige Touristen. Die "Freunde des Louvre", tausende Kunstsouvenirs vom Buch übers Spiel zu Briefpapier und Karten, Galerien, Schmuckdesigner, Parfums oder Mode sowie eine exquisite Kaffeegalerie mit Blick auf flanierende Passanten geben der Passage erlesenes Flair.

Paris gehört den Flaneuren, Bummlern und Selbstdarstellern. Der öffentliche Raum, angefangen vom Seine-Ufer, auf dem man spazieren gehen kann bis hin zu wundervoll weitläufigen Parkanlagen und malerischen Friedhöfen oder wettergeschützten Einkaufspassagen ist für die Menschen da. Die Stadtverwaltung stellt sogar einen Eislaufplatz vor dem Rathaus oder Ringelspiele zur Verfügung.

Paris ist eine Metropole: die Straßen sind breiter, die Häuser durchschnittlich um ein bis zwei Geschoße höher, der Luxus ein paar Kategorien teurer und vielfältiger als in Wien, die moderne Stadtgestaltung mit "Grande Arche", der Bibliothek Nationale, dem riesigen Montparnasse Turm oder der "Cite de la Villette" gewaltiger als hierzulande. Ein hochverzweigtes U-Bahnnetz schraubt sich maulwurfsartig treppauf treppab in engen Gängen in die Erde und verbindet gewaltige Dimensionen bis hin zum modernen Wohnquartier "La Defense".

Trotzdem fühlt man sich hier nie verloren: jedes Pariser Quartier strahlt einen eigenen Charme aus, auf noch so engem Raum findet sich immer genug Platz, ein paar winzige Tische zusammenzurücken, den Gehsteig in Beschlag zu nehmen, und Essbares aller Art anzubieten. Viele steile Wege führen auf den Montmartre, zwischen der Place Blanche und der Place Pigalle winden sich kleine, von vielfältigster kulinarischer Infrastruktur geprägte Straßen zur Kirche hinauf. Lebhafteste Betriebsamkeit und stille, enge Gässchen liegen hier unmittelbar nebeneinander.

Vergammelt und doch voll Charme Nachdem die Montmartre-Gegend zu verkommen drohte, haben sich nun Galerien und gemütliche, kleine Restaurants eingenistet. Künstler, die bei Wind und Wetter unter Regenschirmen Touristen porträtieren, sich beim Malen auf die klammen Finger schauen lassen und kein Klischee scheuen, finden sich viele. Sehr hübsch ist das kleine, versteckte Museum auf der Rue Cortot. In einem engen Häuschen lebt hier die reiche Geschichte des Viertels auf: die glamouröse Vergangenheit des Etablissements "Chat Noir" sowie das Wirken schillernder Künstlergestalten wie Eric Satie, Tristan Tzara, der sich von Adolf Loos ein Haus bauen ließ, Toulouse Lautrec, Susanne Valadon oder Maurice Utrillo werden in Erinnerung gerufen.

Am Fuß des Stadtberges, entlang des Boulevard Rochechouart wird die Atmosphäre zunehmend vergammelt billig. So exklusiv die Preise und so hoch die Qualität rund um Madeleine, Rue Saint Honore oder entlang der Champs Elysees, so unseriös und beliebig sind sie hier. Turnschuhe um 20 Francs, in lieblosen Haufen aufeinandergestapelt, Sweaters, T-Shirts und ähnliches türmen sich übereinander, Zuwanderer mit Plastiksäcken durchwühlen das Angebot. Rund um die Place Pigalle werden Touristen abgespeist und für Shows gekeilt.

Auch das ist Paris, selbst hier vermittelt die Stadt Charme, Flair und Leben. Egal, wohin man den Fuß in dieser Stadt setzt: immer bleibt sie eine Herausforderung für alle Sinne. Die Melodie der Sprache, die dunkel dahinfließende Seine, in der sich nachts reizvoll die Lichter der Stadt spiegeln, die schlanke Silhouette des Eiffelturms, die Parks mit den Kindern und den Zeitungslesern, das offene Temperament der Menschen, die Kreativität, überall Räume zur Kommunikation zu schaffen.

Paris ist eine extrovertierte, großzügige, widerspenstige Stadt, durchzogen von einer Unendlichkeit kleiner Läden, Antiquariate, Galerien, Kinos, Theater oder Kunststätten, die die vielfältigen Kulturen ihrer Bevölkerung spiegeln. Auf jeden Fall mehr als eine Reise wert.

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