Partner, nicht Bittsteller

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Die Ökonomin Mariam Dao Gabala erläutert im FURCHE-Interview, warum Kredite zur Armutsbekämpfung besser geeignet sind als Spenden.

Die ivorische Finanzmanagerin für Entwicklungsfragen, Mariam Dao Gabala, erhielt 2011 den Preis für internationale Solidarität der französischen Tageszeitung Le Monde. Die Jury prämierte damit das erfolgreiche Marktfrauenprojekt Cocovico in Abidjan an der Elfenbeinküste, der Heimat der anerkannten Ökonomin. Sie war auf Einladung der internationalen Entwicklungsgenossenschaft OIKOCREDIT diese Woche in Wien.

Die Furche: Vor wenigen Tagen haben Sie beim Forum für Nahrungssicherstellung in Den Haag betont, dass finanzielle Inklusion Menschen des Südens Wege aus der Armut eröffnet. Wie wichtig ist dabei die soziale Komponente?

Mariam Dao Gabala: Menschen von Finanzdienstleistungen auszuschließen, heißt, sie von der Gesellschaft auszuschließen. Das ist der Grundgedanke von "Inclusive Finance“.Geld sozial wirksam einzusetzen, ist der logische Schritt, der daraus folgt.

Die Furche: Geld als Instrument zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Sie ziehen jedoch eine klare Trennschärfe zwischen Spenden und Darlehen.

Dao Gabala: Im untersten Segment der Armut, wo wir es mit Kriegsflüchtlingen, Katastrophenopfern, chronisch Unterernährten und Kranken zu tun haben, braucht es Spenden. Denn diesen Menschen fehlt es an fundamentalen Lebensbedingungen. Auf der zweiten Ebene der Armut sehen wir arme Bauern mit sehr geringem Einkommen. Gibt man diesen Menschen Spenden, respektiert man sie nicht als vollwertige Partner. Man entwürdigt sie zu Bittstellern, die am Spendentropf hängen. Das sind unsere typischen Geschäftspartner für Kleinkredite. Wir helfen ihnen, ihre eigene Geschichte zu schreiben.

Die Furche: Sie plädieren also für ein radikales Umdenken in der Unterstützung armer Menschen.

Dao Gabala: Nicht nur das. Ich will ein neues Kapitel in der Geschichte der Entwicklungsfinanzierung aufschlagen. Als Afrikanerin weiß ich, dass wir Menschen befähigen müssen, ihr Leben selbstverantwortlich in die Hand zu nehmen. Das nennen wir Capacity building. Dazu gehört Ausbildung, Begleitung und Beratung in wirtschaftlichen, technischen und sozialen Fragen. Nur so können wir Menschen helfen, ihre Ressourcen hervorzubringen. In Afrika gehört etwa die Hälfte der Menschen zu dieser Personengruppe.

Die Furche: Sie begleiten seit 20 Jahren Entwicklungsprojekte vornehmlich im Agrar- und Handelssektor, haben in erster Linie die Frauen Afrikas im Fokus. Warum?

Dao Gabala: Die besten Farmer in Afrika sind Frauen. Jedoch: Sie arbeiten mit der Technik des 19. Jahrhunderts und produzieren Nahrung für 1 Milliarde Menschen des 21. Jahrhunderts. Unsere Verantwortung ist es, diese Frauen zu inkludieren, um sicherzustellen, dass die Menschen in Afrika genug zu essen haben. Banken können das nicht leisten. Wir benötigen neue Rahmenbedingungen, um diesen Akteurinnen der lokalen Nahrungsmittelkette zu helfen. Am besten funktioniert das mit Genossenschaften, wie die Erfahrung mit OIKOCREDIT gezeigt hat. In jedem Fall braucht es dieses innovative Unternehmertum.

Die Furche: Ein Paradebeispiel dafür ist die Marktfraueninitiative Cocovico, die selbst dem Bürgerkrieg die Stirn bot.

Dao Gabala: Vor 2008 saßen diese Frauen neben ihren Waren auf der Straße. Das Geld reichte nicht, um die Kinder satt zu kriegen und die hygienischen Zustände waren katastrophal. Die Frauen wollten eine geschützte Markthalle, doch keine Bank wollte ungebildeten Analphabetinnen einen Kredit gewähren. Möglich wurde ihr Traum dank mehrerer Darlehen von OIKOCREDIT, insgesamt 1,5 Millionen Euro. Seit drei Jahren steht die große Halle in Abidjan und wurde eine wahre Erfolgsgeschichte. Es gibt fließendes Wasser, Strom, Toi-letten, einen Kindergarten, eine Gesundheitsberatung und sichere Übernachtungsmöglichkeiten für Marktfrauen aus dem Umland. Eine Reihe anderer Unternehmen siedelten sich in der Umgebung an und Tausende Jobs wurden im Umkreis des Marktes geschaffen. Als im Frühjahr 2011 Kämpfe um die Macht das Land erschütterten, war der Markt ein Zufluchtsort für die Frauen und sicherte die Nahversorgung von etwa 10.000 Menschen, während alle Geschäfte in der Stadt für drei Monate geschlossen blieben. Auch das Internationale Rote Kreuz zog dort ein. Zurzeit bieten 4.000 selbstständige Marktfrauen ihre Waren an. Aufgrund erhöhter Konkurrenz sanken auch die Preise und die Angebotsvielfalt stieg. Unser Triumph: Am Rand des riesigen Geschäftszentrums eröffneten just jene Banken Filialen, die einst den Frauen Kredite verweigerten und jetzt um die mittlerweile erfolgreichen Kundinnen buhlen. Das zeigt: Besser als jene Sicherheiten, die für Banken relevant sind, ist der Glaube an Menschen und ihre Ideen.

Die Furche: Wie begegnen Sie Kritikern, die sagen, Arme brauchen Arbeit und nicht Kredite?

Dao Gabala: Das ist ein Blick der satten europäischen Gesellschaft, der weder unsere Mentalität noch unsere Bedürfnisse berücksichtigt. Menschen in Westafrika haben große Talente für unternehmerische Fähigkeiten und es gibt nur Kleinstunternehmertum. Die-se Betriebe können im Lauf der Zeit anderen Menschen Arbeit geben. Aber so weit sind wir nicht. Außerdem kann ich aus leidvoller Erfahrung sagen, was geschieht, wenn sich Mikrofinanzorganisationen zurückziehen. Dann sind die Menschen gnadenlosen Kredithaien und ihren Wucherzinsen restlos ausgeliefert, denn Kapital für Start-ups wird benötigt, das ist ein Faktum. Afrikaner können nicht auf die sozialen Netze zurückgreifen, die Sie in Europa haben. Wir müssen uns um unsere soziale Sicherheit täglich selbst kümmern. Jeden Tag werden neue kleine Geschäftsideen geboren, die funktionieren. Wir haben erlebt, dass Großbetriebe Arbeitnehmer ausbeuten und damit noch mehr Armut produzieren. Wenn unsere Welt demokratischer werden soll, sollten wir mehr auf die Stimmen derer hören, die Hilfe brauchen und nicht glauben, dass man im Norden weiß, was für die Menschen in Afrika das Beste ist. Ich kann mein Fachwissen nutzen, um eine maßgeschneiderte Lösung für die Menschen zu finden, die sich weiterentwickeln wollen. Jedes Land muss seinen eigenen Pfad der Entwicklung finden. Aber das Wichtigste ist: Lassen Sie die Menschen Verantwortung für ihr Leben übernehmen. Wir wollen keine Kopie von Europa werden. Wir wollen langsam und nachhaltig wachsen, weil wir aus den Beispielen des Nordens gelernt haben, welche Nachteile durch schnelles Wachstum entstehen können.

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