Pfadfinder Richtung Menschenwürde

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Sie führte zwischen Verfechtern und Bedenkenträgern zu "bürgerkriegsähnlichen Zuständen" (Christian Kopetzki). Und sie bescherte dem Bundestag eine Sternstunde des Parlamentarismus: die deutsche Bioethik-Debatte. Ihre Sprengkraft erhielt sie durch den Begriff der "Menschenwürde", der ihr - anders als den österreichischen Diskursfragmenten - schon durch Artikel eins des Bonner Grundgesetzes aufgebürdet war: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Der Bundestag entschied, doch die großen Fragen bleiben: Womit ist der weiträumige Begriff der "Würde" zu füllen? Ab wann ist er auf "Embryonen in vitro" anzuwenden? Lässt sich "Menschenwürde" überhaupt definieren? Und taugen diese Definitionen in einem säkularen Staat als Rechtsgrundlage? Den vielschichtigen Antworten darauf ist man auch im neuen, zweiten Band der philosophischen Reihe "Bibliothek der Unruhe und des Bewahrens" auf der Spur. Titel des Opus: "Der Schutz des Menschen vor sich selbst." Sechs Autoren - darunter auch der Herausgeber des Bandes, der stellvertretende Presse-Chefredakteur Michael Fleischhacker - machen sich hierin auf die Suche nach einer "Ethik des Lebens".

Nicht alle Suchprozesse wurden freilich exklusiv für diesen Sammelband gestartet: So entpuppen sich die durchaus schmackhaften Kapitel von Robert Spaemann und Jürgen Habermas als gut abgelegene Beiträge und Interviews für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Sie datieren kurz vor oder nach der Entscheidung des deutschen Bundestages im Jänner 2001 über die Einfuhr embryonaler Stammzellen - was nicht unbedingt ein Nachteil wäre, würden sich die beiden Denker nicht bisweilen auf damalige (deutsche) Diskursteilnehmer beziehen und damit die (österreichische) Leserschaft von heute ziemlich ratlos zurücklassen.

Klar werden hingegen ihre unterschiedlichen Positionen zum Embryonenschutz: So vermag der katholische Philosoph Robert Spaemann keinen Zeitpunkt auszumachen, "wo etwas' zu jemandem' wird". Folglich akzeptiert er nur ein Kriterium für menschliche Personalität, nämlich "die biologische Zugehörigkeit zur Menschheitsfamilie". Dagegen gibt es für den (protestantischen) Diskursethiker Jürgen Habermas "keine weltanschaulich neutrale Beschreibung ..., die den Achtzeller als Person ... qualifizieren könnte". In einer pluralistischen Gesellschaft müsse man sich wohl "auf die Konzeption eines abgestuften Lebensschutzes für vorpersonales menschliches Leben einlassen".

Für den Grazer Philosophen Peter Strasser greift angesichts der bioethischen Herausforderungen die habermas'sche Ethik zu kurz. Begriffe wie "Geschöpf" oder "Kreatürlichkeit" dürften auch in der säkularen Gesellschaft nicht verworfen werden, so Strasser. "Es gibt eine primäre Ebene des Welterlebens, auf der wir wissen, dass wir Geschöpfe sind." Das wiederum ist für den Philosophen Franz Josef Wetz zu viel Metaphysik, um erträglich zu sein. Nur weltanschaulich neutrale Wertvorstellungen könnten allen zugemutet werden. Die "Idee der angeborenen Menschenwürde" gehöre nicht dazu.

Das Ringen um eine Ethik zum Leben geht also weiter. Zumindest die Gerichte scheinen (vorerst) einen gangbaren Pfad zwischen Metaphysik und säkularem Rechtsstaat gefunden zu haben, beruhigt der Verfassungsjurist Meinrad Handstanger in seinem abschließenden Beitrag: Es scheine "kaum vorstellbar", dass die Verfassungsgerichte diese bioethischen Fragen "für nicht lösbar halten".

Hier schließt sich der Kreis zum Bonner Grundgesetz. Zwar bleibt die von Michael Fleischhacker aufgeworfene Frage, ob es eine tragfähige Ethik geben kann ohne Verankerung im Metaphysischen, notwendigerweise unbeantwortet. Rüstzeug für qualifizierte Debatten bietet dieses Buch jedoch genug. DH

DER SCHUTZ DES MENSCHEN VOR SICH SELBST - Eine Ethik zum Leben

Von Michael Fleischhacker (Hg.)

Bibliothek der Unruhe und des Bewahrens, Band 2, Verlag Styria, Graz/Wien/Köln 2002, 148 Seiten, e 14,-

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