Plädoyer für Vorsicht mit der Demokratie

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Die Republik braucht integre Mandatare, Vertrauen in die Institutionen, Engagement der Bürger.| Österreich fehlt es an zu vielem davon, auch an Selbstbeschränkung der Macht und der Medien.

Ein die Ressourcen schonender Umgang mit unserer Umwelt ist unbestritten - doch an die Dringlichkeit einer solchen Behandlung unserer Demokratie denkt offenbar niemand. Alle, welche die Demokratie tragen - Wähler, Politik, Wirtschaft, Medien - sind in Österreich gerade dabei, ihre Verantwortung gegenüber derselben zu vernachlässigen. Soll unsere Demokratie nicht in eine Krise schlittern, sondern vielmehr Bestand haben, braucht es Selbstbeschränkung einerseits und ein verstärktes Engagement andererseits. Jüngste Vorfälle und Skandale legen dies nahe.

Das geballte Auftreten von Korruptionsskandalen einzelner Politiker, von Managern in Wirtschaft, Kultur und Verwaltung sowie das dilettantische Agieren der Justiz haben das Vertrauen der Bevölkerung in die wichtigsten Institutionen der Demokratie schwer erschüttert. Dazu kommt eine Ideen- und Perspektivlosigkeit der Politik - gleich ob Regierung oder Opposition - als das derzeit wohl bedenklichste Defizit der politischen Parteien Österreichs.

Integrität prüfen, Vertrauen herstellen

Übersehen werden jene Mandatare und Funktionäre, die aus innerer Überzeugung politische Verantwortung korrekt wahrnehmen. Sie werden in den Massenmedien mit all den anderen in einen Topf geworfen. Die Folgen pauschaler Verunglimpfung stimmen bedenklich: Kaum eine Persönlichkeit ist bereit, der "res publica“ zur Verfügung zu stehen. Dabei wäre Abhilfe durchaus möglich.

Etwa durch ein Wahlsystem, das die persönliche Direktwahl von mindestens 50 Prozent der Abgeordneten ermöglicht. Ein obligatorisches Hearing für neue Minister vor einem Parlamentsausschuss und ein verpflichtender Ehrenkodex für die Abgeordneten könnten beitragen, das Vertrauen in integre Politiker wiederherzustellen.

Ein anderes Beispiel: Walter Meier, Mediensprecher der Schweizerischen Nationalbank, ruft die Wirtschaftseliten auf, darauf zu verzichten, ihr Einkommen zu maximieren, nur weil es das System hergibt. Sie sollten erkennen, sagt Meier, dass sie damit zu Totengräbern der Marktwirtschaft werden und den Glauben an die Fähigkeit der Demokratie, Probleme zu lösen, zerstören.

Persönliche Integrität ist bedeutsam, aber die Beschleunigung der Politik und die Konzentration von Macht haben manche Problematik in der Demokratie verschärft.

Der deutsche Philosoph Rüdiger Safranski brachte es in Wien im Vorjahr auf den Punkt: Die Entscheidungen in der Wirtschaft erfolgen schnell, in der Politik jedoch langsam, vor allem wenn sie demokratisch legitimiert sein sollen. Es gehöre politischer Mut dazu, sich für Entscheidungen von großer Tragweite ausreichend Zeit zu lassen. Wer hat diesen Mut? Zudem: Die allgemeine Beschleunigung lenkt die Aufmerksamkeit auf die Probleme von heute, nicht aber auf die von morgen oder gar übermorgen. Wer wagt es, das zu korrigieren?

Es herrscht weiters eine fatale, übrigens nicht ganz neue Tendenz zur Konzentration von Macht. "Am auffallendsten ist heute die geradezu ungeheure Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschaftsgewalt in den Händen einzelner, die sehr oft gar nicht Eigentümer, sondern Treuhänder oder Verwalter anvertrauten Gutes sind, über das sie mit geradezu unumschränkter Machtvollkommenheit verfügen.“ Das schreib Papst Pius XI in der vor 80 Jahren veröffentlichten Enzyklika Quadragesimo anno - doch der Text könnte von heute sein. Weiter heißt es: Diese "Vermachtung der Wirtschaft“ steigert das Gewinnstreben zum zügellosen Machtstreben und führt zu einer grauenerregenden Härte im Wirtschaftsleben. Der Staat werde dadurch zu einer "willenlos gefesselten Sklavin selbstsüchtiger Interessen“ erniedrigt, so der Papst im Jahr 1931.

Genau 30 Jahre später, 1961, wies Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Mater et Magistra darauf hin, dass wirtschaftliche Unternehmungen des Staates nur solchen Personen anvertraut werden dürften, die sich durch "besondere Sachkenntnis, durch Charakterfestigkeit und durch großes Verantwortungsbewusstsein auszeichnen“. Ihre Tätigkeit sei sorgsam zu überwachen und es müsse verhindert werden, "dass innerhalb der staatlichen Verwaltung selbst wirtschaftliche Macht sich in den Händen weniger anhäuft“.

Es ist offensichtlich, wie sehr allein diese Worte für die gegenwärtige Vorgänge gültig sind. Es ist blamabel genug, dass es Leitlinien für ein von Moral getragenes politisches und wirtschaftliches Handeln gibt, dass aber ganz offensichtlich dagegen verstoßen wird. So, als hätte man niemals davon gehört oder gelesen. Doch die kritischen Anmerkungen, die zu treffen sind, gelten nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern einem weiteren Eckpfeiler der Demokratie, den Medien.

Unabhängige Medien sind für eine Demokratie existenziell. Die Massenmedien spielen die entscheidende Rolle in der Bildung der öffentlichen Meinung. Genau deswegen warnte - neben anderen - der bedeutende italienische Politikwissenschafter Giovanni Sartori vor der Ablösung der Demokratie durch eine Mediokratie.

In Österreich haben wir es mit einer medienökonomischen Symbiose einiger Medien mit einem Kanzler zu tun, der die Hegemonie über Boulevard- und Gratiszeitungen und den ORF erlangen will. "König des Boulevards: Faymann - Medienpolitiker ohne Skrupel mit dem Ergebnis italienischer Verhältnisse in Österreich“, titelte Reinhard Olt zutreffend in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Die Bürger können sehr wohl die offenkundigen Zusammenhänge zwischen der Berichterstattung im vorderen Teil der Zeitung und den ganzseitigen Inseraten im hinteren Teil erkennen. Diese massive Versippung der wirtschaftlichen, politischen und publizistischen Eliten, wie es der Journalist Tom Schimmeck bezeichnet, entwickelt sich zu einem Problem der Glaubwürdigkeit in der österreichischen Medien-Demokratie.

Die im Wochenrhythmus ermittelten demoskopischen Stimmungslagen erwecken das Gefühl permanenten Wahlkampfs. Eine - wie Frank Furedi, Soziologe der Universität Kent es nennt - "überhitzte Stimmungsdemokratie“ ist die Folge. Wir haben einen Medien-Boulevard, der täglich die Grenze zur Machtausübung auszureizen versucht. Etwas mehr Selbstbeschränkung auf den "Vorhof der Macht“, etwas mehr Geduld mit den Politikern, etwas mehr Gelassenheit im medialen Konkurrenzkampf, etwas mehr Besinnung auf Qualität seitens der Vierten Gewalt täte unserer Demokratie gut.

Politische Erschöpfung prägt Österreich

Der demokratische Rechtsstaat lebt ganz wesentlich davon, dass sich die Bürgerinnen und Bürger für ihn als ein gemeinsames Unternehmen verantwortlich fühlen und für sein Funktionieren engagiert und aktiv einsetzen. Die Entwicklung geht in die gegenteilige Richtung. Politische Erschöpfung und Überdruss kennzeichnen das Verhältnis zwischen Bürgern und Demokratie. Nicht gegenüber dem Prinzip der Demokratie als solchem, sondern gegenüber ihren negativen Erscheinungsformen.

Es ist daher nicht überraschend, dass der Bürger sich - wie der Mainzer Rechtsphilosoph Uwe Volkmann es formulierte - auch nur noch fragt, was wobei für ihn persönlich herausspringt: Politik verkommt zu einer Veranstaltung für Schnäppchenjäger. Privatistische Politikabstinenz beobachtet, wie sich Politiker abmühen und sich die Hände schmutzig machen. Die "Wehrhafte Demokratie“ hat heute nicht gegen Feinde von außen oder antidemokratische Kräfte im Inneren zu kämpfen, sondern gegen die "demokratischen Verweigerer und Zuschauer“.

In einer romantischen Verirrung glauben manche, die Demokratie könnte ohne Parteien auskommen und von der Basis praktiziert werden. Andere unterliegen dem Irrtum der Autoritäten, wonach jemand das Land charismatisch führen und den Menschen sagen solle, wo es langgehe. So konnte in den Umfragen jener zu den Regierungsparteien aufschließen, der auf populäre Fragen einfachste Antworten gibt - und auf die wichtigen nicht antworten muss.

Die Demokratie hat solcher kritischen Phasen überstanden, man denke an die "sauren Wiesen und Sümpfe“ der 70er- und 80er-Jahre. Eine Rückbesinnung auf den ressourcenschonenden Umgang mit der Demokratie ist dennoch geboten.

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