Planetarische Katastrophe

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Noch ist Afrika am stärksten von Aids betroffen. Aber demnächst werden es China und Indien sein, wenn nicht massiv entgegen gewirkt wird. Gespräch mit dem international tätigen Aids-Experten Massimo Barra.

Die Furche: Im Zuge Ihrer Arbeit für das Rote Kreuz haben Sie mehr als 70 Länder bereist. Welche sind am meisten von Aids,Tuberkulose oder Malaria betroffen?

Massimo Barra: Bis jetzt hat sich Aids am meisten in Afrika verbreitet. Tuberkulose und Aids sind Krankheiten der Armen. Promiskuität und mangelnde Freiheit sind weitere Gründe. So gibt es derzeit in den Gefängnissen Osteuropas eine explosionsartige Zunahme von Tuberkulose-Fällen. Auch Aids verlagert sich jetzt nach Osten. Es wird zu ei-nem weltumspannenden Problem. China meldet bereits eine Million HIV-Positive, in Russland verdoppelt sich die Zahl der Betroffenen jährlich. In einigen Jahren wird Indien die meisten Aids-Kranken haben. Angesichts dieser planetarischen Katastrophe ist die einzige Antwort der Zugang zu Geldmitteln. Denn in der westlichen Welt hat ein Aids-Kranker heute große Chancen, an etwas anderem als an Aids zu sterben, während in den armen Ländern, die 90 Prozent der Menschheit darstellen, die Diagnose Aids oder Tuberkulose einem Todesurteil gleichkommt. Das kann man nicht dulden. Aids ist die größte Epidemie in der Geschichte der Menschheit und hat schon mehr Opfer gefordert als alle Kriege des 19. Jahrhunderts.

Die Furche: Was müsste geschehen, um den Aids-Opfern wirksam zu helfen?

Barra: 90 Prozent der Hilfsmittel werden heute für zehn Prozent der Kranken eingesetzt und nur zehn Prozent für alle übrigen Kranken. In den wenigen reichen Ländern sind die Gesundheitsbehörden im Stande allen jenen, die das brauchen, entsprechende Therapien zukommen zu lassen. In der Dritten Welt schätzt man heute die Zahl derjenigen, die eine Behandlung brauchen, ohne die sie sterben müssen, auf fünf Millionen. Mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln kann man in den nächsten fünf Jahren aber nur 500.000 Kranke behandeln. Daher müssen wir einen anderen Gang einlegen. Eine Möglichkeit wäre, die Menschen zu mobilisieren. Wenn die Leute sicher wären, dass ihr Geld richtig verwendet wird, könnte man sie veranlassen, so oft sie in einen Supermarkt gehen, zehn Cents für diesen Zweck, Leben zu retten, zu spenden.

Die Furche: Könnte man sich vorstellen, dass der "Global Fund to Fight Aids, Tuberculosis & Malaria", in dessen Aufsichtsrat Sie im Jänner berufen wurden, Garant für die widmungsgemäße Verwendung solcher Gelder sein könnte?

Barra: Der "Global Fund" ist eine Initiative des letzten Jahres, gewollt vom Generalsekretär der UNO und den G8, der Konferenz der wichtigsten Industriestaaten. In ihm arbeiten erstmals Regierungen, der private Sektor und NGOs zusammen. Der Fonds wird von einem Aufsichtsrat geleitet, in dem Spender- und Empfänger-Länder in einem System der totalen Gleichheit vertreten sind. Die Idee von Kofi Annan war, dass der Fonds mit zehn Milliarden Dollar pro Jahr dotiert sein sollte. Tatsächlich haben wir aber nur eine bis 1,5 Milliarden im Jahr. Da die Ausgabenprogramme für mehrere Jahre festgelegt werden, muss man jährlich eine substanzielle Geldversorgung des Fonds zustande bringen, sonst kommt er in die Krise. Während der letzten Sitzung wurden Hilfsmittel in der Höhe von 850 Millionen Dollar in 60 Länder geschickt. Für den Ankauf von Medikamenten gibt es derzeit zu wenig Mittel.

Die Furche: Neben Ihrem Engagement im Kampf gegen Aids leiten Sie seit Jahren eines der größten Drogenzentren Italiens. Welche Erfolge werden dort erzielt?

Barra: "Villa Maraini" ist 1976 entstanden. Sie ist das einzige Zentrum das Jahr ein, Jahr aus rund um die Uhr offen steht. Rund 150 Personen sind dort beschäftigt, die Hälfte davon Freiwillige. Das Kennzeichen unseres Zugangs ist, dass wir uns nicht auf eine bestimmte Art von Intervention festlegen, sondern sämtliche der Wissenschaft bekannten Mittel anwenden, um das Phänomen Droge zu bekämpfen. Wir wollen dort nicht nur jene heilen, die mit den Drogen aufhören wollen, sondern auch jenen helfen, bei denen die Motivation aufzuhören, noch nicht ausgereift ist. Es versteht sich, dass man diese anders behandeln muss als erstere. Jährlich behandeln wir an die 3.000 Kranke.

Die Furche: Gelingt es, Drogenabhängige vollständig zu heilen? Und wie aufwändig ist das?

Barra: Unsere Therapien verlangen nicht unbedingt eine stationäre Behandlung. Bei uns übernachten nur diejenigen, die vom Gericht Hausarrest bekommen haben. Die Behandlungen dauern Jahre. Was den Erfolg anbelangt, spreche ich vom Gesetz der 33 Prozent. Nach zwölfjähriger Drogeneinnahme ist ein Drittel der Kranken tot, ein Drittel macht weiter und ein Drittel ist geheilt. Der Ablauf der Zeit erleichtert die Behandlung. Denn mit der Zeit verwandelt sich die Liebe zur Droge in Hass. Der Ablauf der Zeit ist also in sich therapeutisch.

Die Furche: Sie arbeiten viel mit der Polizei zusammen, um die Lebensbedingungen inhaftierter Drogenabhängiger zu verbessern...

Barra: Es versteht sich, dass ein Drogenabhängiger, der in der Haft plötzlich keine Drogen mehr bekommt, eine Abstinenzkrise hat. Deshalb ruft uns die Polizei zu Hilfe. Auf diese Weise konnten wir erreichen, dass es so gut wie nicht mehr zur Selbstverletzung oder zur Verletzung anderer - was früher oft der Fall war - kommt. Dafür sind uns die Polizeikräfte sehr dankbar. Sie haben auch verstanden, dass eine menschliche Haltung für alle vorteilhaft ist, denn Gewalttätigkeit provoziert nur weitere Gewalttätigkeit. Leider erlaubt sich ein zivilisiertes Land wie Italien immer noch Zellen, die einem mittelalterlichen Kerker ähneln. Es ist unerträglich, dass es nagelneue, fast luxuriöse Polizeikasernen gibt, während die winzigen Haftzellen im feuchten Keller liegen, ohne Betten, nur mit Brettern ausgestattet.

Das Gespräch führte Susanne Nati Draxler/Rom.

Professor Dr. Massimo Barra ist Italiener, Begründer und Direktor der "Villa Maraini" in Rom, einer Stiftung des Roten Kreuzes. Sie betreute bisher rund 25.000 Drogensüchtige. Weiters ist er ein Pionier der Aids-Bekämpfpung. Auf diesem Gebiet ist er seit über 20 Jahren tätig. Im Jänner 2003 wurde er als einer von zwei Europäern in den Aufsichtsrat des "Weltfonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria" berufen, wo er die NGOs vertritt.

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