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Die neuen Partner ihrer Eltern zu akzeptieren, ist für Kinder oft schwierig genug, und dann bringt der neue Partner auch noch eigene Kinder mit. Es sei aber ein Mythos, dass die Trennung der Eltern unweigerlich zu Lasten der Kinder gehe, meint der Familiensoziologe Reinhard Sieder.

Jeder kennt das Märchen von Aschenputtel, die unter den Schikanen von Stiefmutter und Stiefschwestern leiden muss. Obwohl es sich hier nur um ein Märchen handelt, hat der Begriff „Stieffamilie“ selbst heute noch einen unangenehmen Beiklang.

„Das Wort ‚Stief-‘ ist ein historischer Begriff und bedeutet ‚verloren, verwaist‘. In früheren Jahrhunderten starb die Frau oft im Kindbett und der Hausherr suchte sich aus praktischen Gründen eine neue Gattin“, erklärt Reinhard Sieder, Sozialhistoriker, Kulturwissenschafter und Familiensoziologe an der Universität Wien und Autor des aktuellen Buches „Patchworks – Das Familienleben getrennter Eltern und ihrer Kinder“. „Familien wollen nicht mehr als ‚Stieffamilien‘ bezeichnet werden, weil dieser Ausdruck nach wie vor gesellschaftlich stigmatisiert ist.“ Daher sage man heutzutage lieber „Fortsetzungsfamilie“ oder „Patchwork-Familie“, was positiver klingen würde. Das Wort „Patchwork“ stehe für Buntheit, Zusammengewürfelt-Sein und Wärme und soll verdeutlichen, dass zusammengesetzte Familien sowohl für die Eltern als auch für die Kinder gelingen können, so Sieder.

Zusammengewürfelt

In seinem Buch nennt Sieder die „sinnliche Dreifaltigkeit von Vater, Mutter, Kind unter einem gemeinsamen Dach“ einen „Familienmythos der westlichen Moderne“. Man schätzt, dass in Österreich mittlerweile zehn Prozent der Familien Patchwork-Familien sind. Die Quote steigt mit der Zahl der Scheidungen, eine genaue Statistik ist jedoch nicht bekannt. Das liege auch daran, dass es sehr viele Konstellationsmöglichkeiten gibt, meint Sieder. Beispielsweise wenn beide Partner in der Familie jeweils mindestens ein Kind aus einer früheren Partnerschaft mitbringen („Zusammengesetztes Patchwork“) und später eventuell noch gemeinsame Kinder bekommen („Super-Patchwork“). Dann gibt es noch „Pendel-Patchworks“, bei dem die Kinder regelmäßig zwischen zwei Haushalten pendeln, oder „Besuchs-Patchworks“, wo die Kinder nur an bestimmten Tagen in einer Familie zugegen sind. Alle Konstellationen hätten jedoch gemeinsam, dass sie viel Geduld, Kommunikationsbereitschaft und Toleranz von allen Beteiligten erfordern würden, um zu funktionieren, so der allgemeine Rat der Experten. Worauf muss ein Paar, das eine solche Familienform eingehen will, aber besonders achten? „Konflikte können auftreten, wenn die neu gebildeten Familien glauben, gleich von Beginn an eine ‚heile Familie‘ sein zu müssen und das unterschiedliche Tempo jedes einzelnen Kindes nicht berücksichtigen“, erklärt Corina Ahlers, Psychotherapeutin im Kompetenzzentrum „Familie Neu“, die mit Patchworkfamilien arbeitet. Oft herrsche bei den beiden neuen Partnern der Wunsch, über die vorangegangene Trennung hinwegzukommen und schnell eine Familie aufzubauen. Es zeige sich aber immer wieder, dass die Kinder dies nicht so rasch annehmen könnten. „Ablehnung der neuen Partnerschaft eines Elternteils kann aus vielen Faktoren entstehen, beispielsweise wenn der biologische Vater oder die biologische Mutter dem Kind einredet, dass es den neuen Lebensgefährten des Elternteils nicht mögen soll. Wenn ein Kind den neuen Partner ablehnt, dann aber meist aus eigenem Impuls heraus, weil es den ‚Rivalen‘ nicht akzeptieren will“, erklärt die Psychotherapeutin.

Aber auch ein neues noch labiles Gefüge des Zusammenlebens könne gut funktionieren, wenn das Kind darauf aufmerksam gemacht werde, dass es zunächst einmal keine „Familie“ im wörtlichen Sinne sei, sondern eine „WG“. Man dürfe eben nicht zu schnell von „Familie“ sprechen. Ahlers meint: „Das Elternteil könnte dem Kind stattdessen erklären: ‚Für mich ist diese Beziehung wichtig, daher wünsche ich mir ein friedliches Zusammenleben. Du musst meinen neuen Partner nicht mögen, aber sei bitte höflich zu ihm.‘ Damit nimmt man dem Kind die Last, dass es bestimmte Erwartungen zu erfüllen hat, und schafft zumindest einen rücksichtsvollen Umgang miteinander.“

Auch das Zusammenleben mit neuen Stiefgeschwistern verlangt große Anpassungsleistungen seitens der Kinder. Positionen müssen neu definiert werden, denn oft rutscht das Kind aus seiner vertrauten Rolle in eine neue. Aus einem Einzelkind wird plötzlich eine ältere Schwester, aus dem jüngsten ein mittleres Kind. Auch hier sei vor allem eines wichtig: den Kindern Zeit lassen, sich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen, rät Ahlers.

Als besonders heikle Situation für das neue Familiengefüge gilt die Geburt eines Halbgeschwisters. Ahlers hat in ihrer Praxis hingegen positive Erfahrung gemacht: „Ich kenne kaum Beispiele, wo ein Kind sich durch das gemeinsame biologische Kind des Paares zur Seite gedrängt fühlte. Ich habe eher den Eindruck, dass ein zusätzliches Geschwisterchen die Vorstellung von ‚Familie‘, die sich im Grunde alle wünschen, realer macht.“ Der hinzugekommene Partner könne laut Ahlers sogar leichter integriert und ins Herz geschlossen werden, weil er nun der „Papa“ oder die „Mama“ vom Halb-Geschwisterchen ist. Die neue Situation könne somit zum Gewinn werden und auch positiv zur Entwicklung des Kindes beitragen.

Trendwende im Image

Dass es nach wie vor in der Gesellschaft Vorurteile gegenüber Patchwork-Familien gibt, darüber sind sich Ahlers und Sieder einig. „Wenn ein Kind zum Beispiel in der Schule Probleme macht, wird das oft darauf zurückgeführt, dass es aus solch einer Familie kommt. Wenn aber alles gut funktioniert, wird selten darüber geredet“, kritisiert Ahlers. Sieder erklärt, dass Patchworks in den letzten zehn Jahren zunehmend positiver gesehen würden. „In den Medien und in der Fachliteratur ist eine ‚Trendwende‘ zu beobachten. Die Bereitschaft und Offenheit gegenüber Patchwork-Familien wächst. Man thematisiert heute nicht mehr nur die Probleme, sondern auch die Leistungen dieser Familien.“

Patchworks.

Das Familienleben getrennter Eltern und ihrer Kinder. Von Reinhard Sieder. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008, 409 S., c 29,50

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