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Wie gelingt der Aufbruch aus einer erschöpften zu einer schöpferischen Demokratie? Eine aktuelle Forschung liefert Denkanstöße zum Wandel der politischen Kultur.

Während im Bundesrat eine Enquete zum Thema Bürgerbeteiligung stattfindet, vertagt der Nationalrat das Demokratiepaket und das Volksbegehren "Demokratie jetzt!“ scheitert. Die Frage stellt sich: Was braucht es für eine lebendige, innovative Demokratie? Und: Wer ist dafür verantwortlich?

In Zeiten steigender Komplexität, zunehmender Geschwindigkeit und der Verschränktheit globaler Probleme kann die Lösungskompetenz weder von den Repräsentanten, noch von Bürgern allein erwartet werden. Lebendige, innovative Demokratie erfordert die Bereitschaft beider Sphären, sich von der jeweils anderen ergänzen zu lassen.

Überforderung und Ohnmacht

Aktuelle Forschungsergebnisse zur Frage, wie zukunftsfähige Politik gelingen kann, zeigen eine Tendenz zur Entkoppelung von Politik und Bürgern. Die Interviews mit Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft im Rahmen der Forschungen zu unserem aktuellen Buch machen deutlich, dass die Entfernung der Lebenswelten in der Folge zu steigendem Unverständnis und Misstrauen führt.

Derzeit krankt die institutionalisierte Politik, wie es ein hochrangiger Landespolitiker ausdrückt, insbesondere daran, "die Komplexität der Herausforderungen und die eigene Überforderung nicht thematisieren zu können“. Ähnlich geht es aber auch den Bürgern, die von "Ohnmachtsgefühlen“ berichten. Wie schwer dieses Phänomen wiegt, wird deutlich, wenn etwa ein Landesrat eingesteht, dass Mandatare "an der Art und Weise, wie Politik betrieben wird, regelrecht vor die Hunde gehen“. Andererseits versteht die Zivilgesellschaft nicht, "wieso so wenig weiter geht“.

Was liegt also näher, als Möglichkeiten der Rückkopplung und des Austauschs zwischen Politik und Bürgern zu schaffen? Im Rahmen von partizipativen Prozessen könnten sich Politik und Bürger wieder enger in Beziehung setzen, um den Bezug zueinander nicht zu verlieren und gemeinsam neue Lösungsansätze zu generieren. Und dadurch, dass man sich in partizipativen Prozessen gegenseitig etwas zutraut, kann auch wieder Vertrauen aufgebaut werden.

Wie kann nun die "Beziehungsarbeit“ zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Bürger gelingen? Dazu braucht es die Fähigkeit sich aufeinander einzulassen und die Bereitschaft, etwas auf den Prüfstand zu stellen: Wie wollen wir in Zukunft leben, arbeiten und wirtschaften? Welche politische Kultur richten wir uns ein?

Mit innovativen, partizipativen Methoden gemeinsam an der Zukunftsgestaltung zu arbeiten, ist Teil des notwendigen Kulturwandels in Politik und Alltag. Werkzeuge dafür, wie etwa der "Bürger-Rat“ als moderierte Partizipationsmethode existieren und werden bereits mit Erfolg angewandt. In Vorarlberg wurde unlängst die "partizipative Demokratie“ in Form von "Bürger-Räten“ in der Landesverfassung verankert: Die zufällig ausgewählten Bürger haben in den bislang über dreißig Räten beispielhaft ergebnis- und lösungsproduktiv an der Zukunft ihres Gemeinwesen mitgearbeitet. So erwies sich das Modell als Möglichkeit, wie es "gelingen kann, die positiven Kräfte in der Gesellschaft zu aktivieren“, so der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner vergangenen Monat bei der Bundesrats-Enquete zum Thema Bürgerbeteiligung.

Beziehungsarbeit und Pioniergeist

Die Diskussion zu grundsätzlichen Fragestellungen, die eigentlich den Kern und die Stärke einer funktionierenden Demokratie ausmachen, mag im Sog der rasanten, globalisierten (Finanz-)Ökonomie für manche rasch ineffizient und nicht "marktkonform“ erscheinen. Mehrere für unsere Forschung interviewte Mandatare bedauern daher, dass "wichtige Grundsatzdebatten und der sachpolitische Diskurs vermehrt parteipolitischen Auseinandersetzungen weichen“. Eine Mandatarin ventiliert gar den Wunsch nach "parteibuchfreien Zonen“ - also geschützten Bereichen - um weiter denken zu können.

Was macht also eine zukunftsfähige politische Kultur aus? Was ansteht, ist ein qualitativer Sprung im Politikverständnis und im demokratischen Miteinander: Es geht in Zukunft nicht mehr - im Sinne einer "großen Erzählung“ - darum, dass Repräsentanten Politik für die Menschen machen, sondern darum, gemeinsam im Rahmen eines "großen Gesprächs“ Politik mit den Menschen zu machen. Politik wird dadurch zu einem ko-kreativen und ko-produktiven Prozess, eine Politik, bei der am Ende nicht Entscheidungen fallen, sondern Mit-Entscheidungen gefunden werden.

Der Schritt von der Zuschauerdemokratie zur Mitmachdemokratie erfordert nicht nur reflektierte Denk- und geänderte Handlungsweisen, sondern auch Mut, Engagement, Pioniergeist und Experimentierfreude - und zwar auf beiden Seiten. Einzurichten sind Zeiten und Räume, in denen vertiefte Gespräche, ein verständnisvoller Austausch und die Aushandlung von widersprüchlichen Interessen und Vorstellungen "in einem Reality-Check auf Augenhöhe“ - wie es eine Vertreterin der Zivilgesellschaft ausdrückt - stattfinden können. Moderierte, partizipative Prozesse helfen jene Möglichkeitsräume zu öffnen, wo Menschen sich wieder als selbstwirksame, politische Wesen und gestaltende Souveräne empfinden können. Das ist genau jene Teilhabe, die von grundlegender Bedeutung für die Lebensqualität von Menschen ist und die damit auch einen wichtigen "Standortfaktor“ eines Gemeinwesens darstellt.

Wir sind Ko-Poduzenten von Politik

Kern eines gewandelten Demokratieverständnisses ist es, dass wir uns als Ko-Produzenten von Politik begreifen. Im Zuge eines kulturellen Wandels könnte mit Hilfe dieser gemeinsam zu erarbeitenden Ergänzungsleistung der Zustand der "erschöpften Demokratie“ (© Michael Kerbler, Ö1) überwunden und der Aufbruch zu einer lebendigen, schöpferischen Demokratie möglich werden.

Der Lebensqualitäts- und Pionierforscher T. Haderlapp und R. Trattnigg, Expertin für Zukunftsfragen, leiten gemeinsam das Institut für kulturellen Wandel.

Zukunftsfähigkeit ist eine Frage der

Kultur. Hemmnisse, Widersprüche und Gelingensfaktoren des kulturellen Wandels. Von Thomas Haderlapp und Rita Trattnigg, oekom-Verlag 2013,

700 Seiten, geb., e 44,95

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